„Ich habe nichts gemacht“, sagte ein 33-jähriger Zeitarbeiter zur Anklage wegen Betrugs in 31 tatmehrheitlichen Fällen. Der Staatsanwalt wirf ihm vor, einem jüngeren Mann in etwa vier Monaten fast 45 000 Euro abgeknöpft zu haben. Zudem ist er angeklagt, weil er von einer Metzgerei aus Lohr über zehn Kilogramm Fleisch- und Wurst bezog aber nie bezahlte. Ein Urteil gab es dazu am Amtsgericht Gemünden nicht, nach fünfeinhalb Stunden Verhandlung setzte die kleine Strafkammer (Berufsrichter Thomas Schepping und zwei Schöffen) das Verfahren aus und verwies es ans Landgericht. Neben einer Gefängnisstrafe kommt nämlich auch die Unterbringung des Angeschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (Forensik) in Betracht. Letzteres kann aber erst die große Strafkammer (drei Berufsrichtern und zwei Schöffen) verhängen.
In Bar kennengelernt
Die Geschichte hinter der Anklage klingt unglaublich: Beim „Party-Machen“ in einer Würzburger Bar trafen sich im September zufällig der 33-Jährige und ein 24-jähriger Medientechnologe aus dem Landkreis Würzburg. Dabei soll sich der Angeklagte als Geschäftsführer einer Rollrasenfirma ausgegeben haben. In der Folgezeit „lieh“ er sich mehrfach Geld, weil er an Konten nicht herankomme, insgesamt 6000 Euro hob der jüngere Mann von seinem Konto ab und übergab sie in bar. Ende Oktober 2016 folgen 2600 Euro für einen gebrauchten BMW, den er nie bekam.
Für die Idee, eine Shisha-Bar in Lohr zu übernehmen, verschuldete sich der 24-Jährige sogar. Er nahm einen Kredit über 23 000 Euro auf und übergab davon 20 000 Euro sowie später 11 700 Euro aus einem Bausparvertrag dem Angeklagten.
Zugang zum Konto
Letztlich tätigte der Zeitarbeiter auch noch Überweisungen vom Konto seines Opfers per Telefon. Insgesamt 4330 Euro landeten auf drei Verschiedenen Konten von Bekannten und Verwandten. Weil die Sparkasse Mainfranken aufgrund geänderter Geschäftsbedingungen 2680 Euro erstatten musste, gehört auch sie zu den Geschädigten.
Zu den Tatvorwürfen sagte der 33-Jährige zunächst nichts, sondern ließ seinen Anwalt eine Erklärung verlesen. Demnach habe er sich nie Geld geliehen; das Geld sei stattdessen einvernehmlich gemeinsam verbraucht worden, überwiegend zum Partymachen. Dazu hätten auch mehrtägige Ausflüge nach Nürnberg mit Bordellbesuchen gehört. Den Autokauf habe man gemeinsam fingiert, um gegenüber dem Vater des Medientechnologen die Auflösung eines Sparbuchs rechtfertigen zu können. Danach habe man das Geld gemeinsam in Stuttgart verprasst. Als aus der Shisha-Bar nichts wurde, hätten sich die zwei Männer eine „flotte Woche“ in Nürnberg gemacht. Die Überweisungen habe er in Rücksprache mit dem Kontoinhaber gemacht.
Blindes Vertrauen
„Ich habe ihm blind vertraut“ war wohl die wichtigste Aussage des als Zeugen geladenen Geschädigten. Er ist sich sicher, dass sich der vermeintlich gute Freund als Geschäftsführer ausgab, „da war er sehr stolz drauf“ und sogar behauptete, er könne Freikarten zu Bundesligaspielen besorgen. Die Geschichten, warum er gerade nicht an sein Geld komme, hätten immer schlüssig geklungen. Zur „flotten Woche“ in Nürnberg gab er an, damit hätte der angebliche Kauf der Bar gefeiert werden sollen. Er habe aber nicht gewusst, dass dazu sein eigenes Geld verwendet wurde.
Den gebrauchten BMW, zu dem es sogar einen Kaufvertrag gab, habe er nur auf Handyfotos gesehen. Von den Überweisungen habe er erst aus seinen Kontoauszügen erfahren, die IBAN habe er dem Angeklagten für Rückzahlungen gegeben. Tatsächlich habe er keinen Cent wieder gesehen und dass er den Kredit und das Bauspardarlehen mit 500 Euro monatlich tilgen muss (und das noch ziemlich lang) mache ihm zu schaffen.
Frau beeindrucken wollen
Nach dieser Zeugenaussage wurde der Angeklagte etwas gesprächiger. Nach dem Kennenlernen in der Bar, habe er den jungen Mann in seiner damaligen Wohnung in Heidingsfeld übernachten lassen. Dabei habe er sich in die Schwester seiner damaligen Freundin verliebt und diese Frau in der Folgezeit beeindrucken wollen, unter anderem mit der Möblierung eines Kinderzimmers und dem Kauf der Shisha-Bar. Die Wohnung mit kaputten Möbeln habe kaum zu einem Geschäftsführer gepasst, zudem sei er zu 90 Prozent behindert und könne weder richtig lesen noch schreiben, was der 24-Jährige wisse.
Gutachten als Wendepunkt
Zum Wendepunkt der Verhandlung sollte das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen werden. Er kannte den Angeklagten bereits auf früheren Verfahren und bestätigte seine Diagnose eines vielschichtigen Störungsbildes auf fünf Ebenen. Die Behinderung (Konzentrationsstörungen, Lernbehinderungen, ADHS) sei durch eine Hypoxie mit Sauerstoffmangel im Gehirn entstanden. Zu den Störungen gehörten ein vermindertes Selbstbewusstsein, verminderte Impulskontrolle und Realitätsverschiebung. Verschlimmert werde das noch den den übermäßigen Gebrauch von Cannabis (ein bis drei Gramm pro Tag laut Angeklagtem) und Alkohol. Rechtlich könne man von einer verminderten Schuldfähigkeit ausgehen; eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt habe schlechte Erfolgsaussichten. Angezeigt sei eigentlich die Einweisung in eine psychiatrisches Krankenhaus, bei Vermögensdelikten sei das aber kaum möglich.
Gesetzesänderung
Bei letzterem irrte sich der Gutachter. Nach einer Verhandlungspause, in der vom Verteidiger eigentlich ein Beweisantrag zum Anhören einer weiteren Zeugin formuliert wurde, erklärte Richter Thomas Schepping, dass die Verhandlung dafür nicht unterbrochen, sondern ausgesetzt wurde. Mit der Änderung des relevanten Paragraphen 63 des Strafgesetzbuches sei die Grenze auf 5000 Euro Vermögensschaden herabgesetzt worden.
„Nutzen Sie die Zeit und tun Sie sich etwas Gutes“, riet der Richter dem Angeklagten noch. Der steht nämlich seit elf Monaten unter offener Bewährung, hat aber Bewährungsauflagen nicht erfüllt. Für einen Bewährungshelfer und einen Betreuer war er so unzuverlässig zu erreichen, dass ein Richter letztlich die Betreuung als Hilfsangebot aufhob. Die Tage des 33-Jährigen in Freiheit dürften gezählt sein, sollte ihn die große Strafkammer nicht in die Psychiatrie einweisen sondern zu einer Freiheitsstrafe verurteilen, wird die resultierende Gesamtstrafe über zwei Jahren Knast liegen, so dass keine Bewährung (Strafaussetzung) möglich ist. Ein Freispruch scheint ausgeschlossen.