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KREUZWERTHEIM
Drei Jahrzehnte im Leben von Vierlingen
Lebenswege: „Vierlinge an der Uni-Klinik“ hieß die Meldung vor drei Jahrzehnten. Wie geht's den vieren heute? Ein Treffen – an der Uni-Klinik.
Geschwistertreffen an der Uni-Klinik: die „Schaefer-Vierlinge“ (von links) Hannes, Katharina, Rebecca und Bastian auf der Säuglingsstation.
Foto: T. Obermeier, Schaefer | Geschwistertreffen an der Uni-Klinik: die „Schaefer-Vierlinge“ (von links) Hannes, Katharina, Rebecca und Bastian auf der Säuglingsstation.
Sabine Dähn-Siegel
Sabine Dähn-Siegel
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:39 Uhr

Vierlinge geboren“, „Eineiige Vierlinge als Wunder“, „Vierfacher Kindersegen der raren Art“ – Mehrlingsgeburten machen immer wieder mal Schlagzeilen, Kliniken und Medien berichten gerne darüber. Geht es der Mutter und allen Säuglingen gut – was keineswegs immer der Fall ist, da es sich bei Mehrlingsgeburten immer um Frühchen mit geringem Geburtsgewicht handelt – gibt's manchmal weitere Meldungen über das (garantiert) turbulente Leben der Familien in den ersten Monaten zu Hause, den ersten Geburtstag... Und dann? Sendeschluss. Selten, dass bekannt wird, wie sich der Nachwuchs entwickelt, mit dem Mehrlingsstatus zurechtkommt, wodurch sich das Leben dieser Kinder von Gleichaltrigen unterscheidet.

Vierlinge in der Uni-Klinik

„Vierlinge in Uni-Klinik“ hieß es im April 1986 auch in dieser Zeitung. Zwei Mädchen, zwei Jungs. Jetzt, über drei Jahrzehnte nach der Geburt in der Würzburger Universitätsfrauenklinik, ergab sich die Chance, die laut Bastian, Hannes, Katharina und Rebecca „doch ganz normale“, laut Statistik aber außergewöhnliche Geschichte des Quartetts (weiter) zu erzählen.

Wer hat schon mehrere gesunde am selben Tag im selben Jahr geborene Geschwister, kam mit ihnen am selben Tag im selben Jahr in den Kindergarten, in die Schule, erhielt das Zeugnis der Hochschulreife? Wie viele Mehrlinge schlossen zeitgleich dieselbe Ausbildung ab, wie viele schlugen die akademische Laufbahn ein?

Beide Brüder angehende Mediziner

Für die jungen Männer, beide angehende Mediziner, gehörte vor kurzem ein Blockpraktikum in der Universitäts-Kinderklinik dazu. Als dort der Leiter der Kinderkardiologie Privatdozent Dr. Johannes Wirbelauer angesichts der Frühchen in den Wärmebetten mutmaßte, „bei Ihrer Geburt haben Sie sicherlich viel mehr gewogen“, erntete er prompt Widerspruch von Hannes. Der gab sich als einer der vor über 30 Jahren auf dieser Station betreuten und auch dank der mütterlichen Weihnachtspost in Erinnerung gebliebenen „Schaefer-Vierlinge“ zu erkennen. Begeistert über ihre einstigen Schützlinge, blätterten die Kinderschwestern Monika Klien und Christa Schmitt in alten Aufzeichnungen. Mit 1590 Gramm Geburtsgewicht hatte Hannes zwar mehr Gewicht auf die Waage gebracht als sein eineiiger Bruder Bastian (1400 g), aber weniger als die zweieiigen Schwestern (1650 bzw.

1730 g). Ganz ordentlich für Mehrlinge, die sieben Wochen zu früh per komplikationsloser, geplanter Kaiserschnitt-Geburt auf die Welt gekommen waren, nicht hatten beatmet werden müssen und bereits nach wenigen Tagen vom Brutkasten ins Wärmebettchen, von der Frühgeborenen-Intensiv- auf die „normale“ Frühgeborenenstation hatten umziehen können. Selbst trinkfähig, hatten alle vier dann zum errechneten Geburtstermin nach Hause nach Kreuzwertheim (Lkr. Main-Spessart) gedurft.

Sorgen durch die Vierlinge?

So groß das Glück ist, gesunde Kinder zu haben – aber ein Quartett auf einen Streich? Hat das bei den Eltern Vera und Edgar Schaefer nicht auch jede Menge Sorgen ausgelöst? Eher nicht, sagen ihre Söhne. Die beiden 30-jährigen Männer legen demnächst ihr zweites Staatsexamen ab. „Aber solche Fragen kann unsere Mutter besser beantworten.“

Was sie bereitwillig macht. Offen spricht sie über die komplizierte Vorgeschichte dieser Wunsch-Schwangerschaft, in der sich zunächst drei Kinder angekündigt hatten. Über die Möglichkeit eines „selektiven Fetozids“ (gezielte Abtötung im Mutterleib während des frühen Stadiums, um den verbleibenden Feten günstigere Umstände zu schaffen) seien sie als werdende Eltern aufgeklärt worden. Doch „das kam für uns nicht infrage“. Außerdem beruhigten die Ärzte damals, dass Vierlinge trotz aller gegebenen Risiken „noch ganz gute Chancen hätten“, so die heute 63-Jährige. Sie sagt: „Wir waren realistisch, haben uns nicht verrückt gemacht und immer alles auf uns zukommen lassen.“

Unterstützung während der Schwangerschaft

Große moralische Unterstützung erhielt Vera Schaefer während und auch nach der Schwangerschaft durch den seit 1982 bestehenden ABC-Club (eine internationale Drillings- & Mehrlingsinitiative). Von Industrie- wie auch privater Seite erreichten Babyausstattungs- und Windelspenden die Familie. Und natürlich war das Anfang 1986 eingeführte Erziehungsgeld ein willkommener staatlicher Zuschuss – 600 Mark für zehn Monate, allerdings unabhängig von der Anzahl der Kinder.

Die Erkenntnis, dass gerade Eltern von Mehrlingen finanziell im Nachteil sind, weil sie ja alles auf einmal in x-facher Ausführung benötigen, setzte sich staatlicherseits erst Jahre später durch.

Bruder von Vierlingen

Neben dem vier Jahre älteren Sohn Benjamin gleichzeitig vier „Minis“ zu versorgen, das kostete viel Kraft – und Geld sowieso. „Ohne Helfer? Undenkbar!“ Glücklicherweise hatten Schaefers „immer Hilfe im Haus“: Angehörige, Unterstützer aus dem Freundes- und Mitarbeiterkreis der eigenen Apotheke. Im ersten Jahr abwechselnd zwei Nachtschwestern – auch wegen der Baby-Überwachungsgeräte, die häufig Fehlalarm gaben –, ein Kindermädchen bis zum Kindergartenalter. Trotzdem stellte sich bei der in die Hausfrauen-und-Mütter-Riege gewechselten Apothekerin Vera Schaefer mitunter das Gefühl der „Massenabfertigung“ ein. „Außerdem war es gewöhnungsbedürftig, dass die Familie nie für sich war.“

Das Quartett wuchs und gedieh, durchlief die – wenn möglich zu Hause durchgeführten – üblichen Untersuchungen, fing sich mal gleichzeitig, mal nacheinander die normalen Kinderkrankheiten ein. „Wir haben halt teilen gelernt“, sagen Hannes und Bastian trocken. Nicht nur das Krankenlager, auch große Geschenke, bis ins Teenageralter die Kinderzimmer (obwohl im während der Schwangerschaft geplanten Haus viel Platz ist), häusliche Aufgaben. Pflichten auf den großen Bruder abzuwälzen, das ging nicht, da habe „die Mama schon aufgepasst“.

Suche nach Spielkameraden blieb aus

Wurde nicht geguckt, wer das größere Schnitzel bekommt, weniger mithelfen muss? Gab?s keine Eifersüchteleien? „Nein“, heißt es unisono. Warum auch? „Wir hatten eine tolle Kindheit, haben klasse Familienurlaube gemacht.“ Und sie hatten einen Riesenvorteil gegenüber Solisten: „Spielkameraden mussten wir nie suchen“, sagt Katharina. Andererseits: Interesse an ihrem Leben als Vierling konnte die junge Frau noch nie so recht nachvollziehen. „Wir sind doch nichts Besonderes, für uns ist das ganz normal.“

Lernen und Schule sind Themen, bei denen die Entwicklungsunterschiede der eineinigen Zwillingsjungen zu den in Temperament und Äußerem nicht verwechselbaren Schwestern deutlich hervortraten. „Wir waren Träumer, saßen noch an den Hausaufgaben, wenn die anderen Kinder längst draußen tobten“, räumen Hannes und Bastian ein. Dass nie eine „Ehrenrunde“ drohte, hätten sie der elterlichen, vor allem mütterlichen Hilfe zu verdanken. Dass die Abi-Noten bei allen vieren nicht sofort zum Beginn des Wunschstudiums befähigten, hatte auch positive Seiten: abgeschlossene Berufsausbildungen (Hannes und Katharina: Pharmazeutisch-technische Assistenten, Bastian und Rebecca: Physiotherapeuten) und Bafög. Während Katharina der Pharmazie treu blieb und heute in einer der Apotheken des großen Bruders als Filialleiterin arbeitet, hat Hannes den Zwillingsbruder trotz Wartezeit noch vom Medizinstudium überzeugen können. Vom ersten und anstrengendsten Semester und der ersten missglückten Prüfung („trotz Lernens“) haben sich beide nicht entmutigen lassen und ihr Studium bis dato problemlos und erfolgreich gemeistert. Sie erwägen, sich später mal niederzulassen, „nicht unbedingt im selben Fach, aber möglichst im selben Haus“, sagen die Jungs mit der engsten geschwisterlichen Bindung. „Es geht auch ohne Bruder, aber . . .“

Selbst Kinderärztin werden

Die Vierte im Bunde? Auch Rebecca, verheiratet, Mama eines einjährigen Sohnes, der bald ein Geschwisterchen bekommt, hat sich der Medizin zugewandt. Lernen falle ihr leicht, sagt die Studentin, die ihr Osteopathie-Studium und die Weiterbildung zur Heilpraktikerin berufsbegleitend absolviert hat. „Von klein auf“, sagt sie, wollte sie Kinderärztin werden. Gut möglich, dass sie es irgendwann auch mal mit Mehrlingen zu tun bekommt.

 
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