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Drei Herzen in der Brust
Halbfinale: Alexandre Orth drückt Brasilien die Daumen, aber auch Deutschland und den Niederlanden.
Zuversicht: Der bei Bosch Rexroth arbeitende Brasilianer Dr. Alexandre Orth tippt für das WM-Halbfinale zwischen Brasilien und Deutschland auf einen 2:1-Sieg für seine Landsleute. Die Deutschen können jedoch Hoffnung schöpfen: Orth lag beim Tippspiel im Kollegenkreis bislang ziemlich oft daneben.
Foto: Johannes Ungemach | Zuversicht: Der bei Bosch Rexroth arbeitende Brasilianer Dr. Alexandre Orth tippt für das WM-Halbfinale zwischen Brasilien und Deutschland auf einen 2:1-Sieg für seine Landsleute.
Redaktion Süd
 |  aktualisiert: 07.07.2014 16:58 Uhr

Dr. Alexandre Orth blickt an diesem Dienstag mit gemischten Gefühlen nach Brasilien. Wenn sich in Belo Horizonte im Halbfinale der Fußballweltmeisterschaft die Gastgeber und Deutschland gegenüberstehen, wird der 36-Jährige natürlich Brasilien die Daumen drücken. Schließlich ist das Orths Heimatland. Allerdings würde ihn auch ein Erfolg der Deutschen nicht grämen, wohnt er doch seit 2002 hier. Seit 2007 arbeitet Orth für die Lohrer Bosch Rexroth AG.

Seit Tagen ist das bevorstehende Spiel Thema in den Gesprächen zwischen Orth und seinen Arbeitskollegen. In dem Tippspiel, das im Kollegenkreis läuft, hat sich der Brasilianer auf einen 2:1-Sieg seiner Landsleute festgelegt. „Wir Brasilianer sind zuversichtlich“ begründet er. Dass der brasilianische Star Neymar verletzt ist und nicht mitspielen wird, wertet Orth nicht unbedingt als Nachteil für Brasilien: „Das wird die anderen Spieler umso mehr anspornen.“

Was den Deutschen Hoffnungen machen kann, ist die Tatsache, dass der Hobbyfußballer mit seinen Tipps zum Spielausgang ziemlich oft daneben liegt. „Ich bin weit hinten“, lacht er mit Blick auf die Rangfolge des Tippspies unter Kollegen. Orths Aussagen machen jedoch deutlich, dass ihm der sportliche Verlauf der Weltmeisterschaft deutlich weniger wichtig ist als das Geschehen rund um die Stadien. Ja, er sei ebenso wie die meisten seiner Landsleute sehr stolz darauf, wie Brasilien bisher seine Gastgeberrolle ausgefüllt habe, sagt Orth. Diese Rolle sei in der brasilianischen Kultur stark verankert. Deswegen hat es Orth auch nicht gewundert, dass die starken Proteste, die es vor der Weltmeisterschaft in Brasilien gab, mit Beginn des Turniers so gut wie verschwunden seien. Die Brasilianer wollten ihre Gäste in würdigem Rahmen empfangen und ihnen die für das Land typische Lebensfreude vermitteln.

Die Stimmung unter seinen Landsleuten sei dennoch geteilt. Auf der einen Seite stehe die Freude über den Sport und die Besucher aus aller Welt, auf der anderen der Zorn auf die brasilianische Regierung. Der Vorwurf, dass Unsummen in den Bau neuer Stadien gesteckt wurden, während es an Schulen, Krankenhäusern und ähnlichem mangele, werde nach der WM wieder die Diskussion im Land und den bevorstehenden Wahlkampf bestimmen, sagt Orth voraus. Er hofft, dass die Regierung aus den Protesten der vergangenen Monate lernt. In zwei Jahren steht mit den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro das nächste sportliche Großereignis an. „Ich hoffe, dass bis dahin abseits der Sportstätten mehr geschaffen wird“, sagt Orth.

Er selbst bekommt die Diskussionen in Brasilien nur noch aus der Ferne mit, seit er für das Studium nach Deutschland gekommen und geblieben ist. Orth, dessen Vorfahren vor vier Generationen aus Deutschland nach Brasilien ausgewandert waren, stammt aus Florianapolis, einer Großstadt im Süden von Brasilien. Die dortige Universität kooperiert mit der in Aachen. Dorthin kam Orth 1999 erstmals, schreib seine Diplomarbeit und arbeitete von 2002 bis 2007 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Aachener Uni. Während dieser Zeit verfasste er seine Doktorarbeit.

„Ich bin auch stolz auf die deutsche Mannschaft.“
Dr. Alexandre Orth Brasilianer in Diensten der Bosch Rexroth AG

Auf der Suche nach einer deutschen Firma, die auch in Brasilien präsent ist, stieß Orth, der mit Ehefrau und Tochter in Waldbüttelbrunn wohnt, auf Bosch Rexroth. Hier arbeitet er seit 2007. Er ist für das Risiko-Management bei Großprojekten zuständig, schwerpunktmäßig in Brasilien.

Mehrfach im Jahr ist er dienstlich in seinem Heimatland. Erst vor einer Woche kehrte er wieder von einer solchen Dienstreise zurück. Die in Brasilien herrschende Fußballbegeisterung hatte er zuvor in sich aufgesogen. Wobei: „In Brasilien ist Fußball auch ohne Weltmeisterschaft Religion.“

Der hohe Stellenwert dieses Sports erkläre auch die starken Emotionen, die die Spieler der brasilianischen Nationalmannschaft bislang nach Siegen gezeigt hätten. Während diese Tränenausbrüche im Ausland bereits für Verwunderung sorgten, sagt Orth: „Die brasilianische Bevölkerung bewertet das als positiv.“ Emotionen und Fußball seien in seiner Heimat untrennbar verbunden.

Während die brasilianische Volksseele am Dienstagabend also vermutlich noch stärker als die deutsche in Wallung sein wird, wird Orth an einem Ort sitzen, der die Halbfinalspiele der Weltmeisterschaft für ihn noch komplizierter macht: in den Niederlanden. Dort, am Rexroth Standort in Boxtel, arbeitet Orth meist drei Tage pro Woche. „In mir schlagen also drei Herzen“, sagt Orth mit Blick auf die Tatsache, dass auch die Niederländer noch im Rennen sind. Da Oranje noch dazu gegen Argentinien, den fußballerischen Erzrivalen der Brasilianer spielt, steht für Orth fest, wer aus diesem Duell ins Finale einziehen soll.

Das Spiel der Deutschen gegen Brasilien wird sich Orth wohl zusammen mit holländischen Kollegen anschauen. „Das wären sicher starke Verbündete“, lacht er in Kenntnis der deutsch-holländischen Fußballrivalität. Bis zum Finale am Sonntag wird Orth jedoch wieder in Deutschland sein. Er hofft darauf, dass ihm dann die Deutschen die Daumen drücken – wenn Brasilien gegen die Niederlande spielen sollte. Sollte daraus nichts werden und Deutschland ins Finale einziehen, könnte sich Orth auch freuen: „Ich bin auch stolz auf die deutsche Mannschaft.“ sagt er. Der deutsche Fußball habe einen langfristigen Plan, die Nationalmannschaft einen schönen Spielstil. Orth: „Ich wäre nicht beleidigt, wenn Deutschland gewinnt.“

 
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