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ROTHENBUCH
Dreh im Hafenlohrtal: Spessart-Sagen ganz anders inszeniert
Dreharbeiten Inspiriert von Spessart-Sagen arbeiten Matthias Noe und Dominik Lando an der Kurzfilmserie „Spessart-Tales“. Als Kleindarstellerin mit am Set im Hafenlohrtal: die kleine Emilia aus Partenstein.
Der Titel steht. Die Produktion des Kurzfilms wird noch knapp ein Jahr in Anspruch nehmen. Grafik: Philipp GroteBildtext
Foto: Screenshot Roland Pleier | Der Titel steht. Die Produktion des Kurzfilms wird noch knapp ein Jahr in Anspruch nehmen. Grafik: Philipp GroteBildtext
Roland Pleier
 |  aktualisiert: 27.04.2023 07:23 Uhr

Saskia rennt los. Zum fünften, sechsten, siebten Mal schon stolpert die Schauspielerin den holprigen Hang hinunter in Richtung des Bächleins, das sich grade mal fünf Kilometer von Rothenbuch her zum Ahlmichdamm geschlängelt hat. Die Hafenlohr ist nur zu erahnen, das Gras hoch, das Wetter erträglich warm an diesem Tag. Die langen Haare zu einem einfachen Pferdeschwanz seitlich gebündelt, trägt Saskia schwarze Leggins, einen dunkel gemusterten Rock drüber, ein okerfarbenes Top unter der dunkelbraunen Jacke und eine zusammengeknuddelte Decke: ein Baby, die spätere Hexe Ida. So wird es zumindest aussehen, wenn „Flussabwärts“, der dritte Teil der Kurzfilm-Serie Spessart-Tales, zu sehen sein wird. Irgendwann im nächsten Jahr, im Internet, bei einem Film-Festival, vielleicht auch mal im Kino.

Saskia Simunek ist Profi mit Model-, Bühnen- und Filmerfahrung. Ihr Handwerk gelernt hat die 29-Jährige an der Wiesbadener Schule für Schauspiel. Ausdauer hat sie, laufen kann sie: In Leichtathletik ist sie ebenso „sehr gut“ wie in Badminton, Gymnastik, Radfahren, Turnen und Volleyball, wie ihr Profil ausweist. Sie spricht Englisch, Französisch, Spanisch, Deutsch und Hessisch. Doch reden muss sie herzlich wenig bei diesem Dreh im Hafenlohrtal. Das Sagen hat Matthias Noe. Er ist der Mann, der die Kappe auf hat, er der Regisseur bei dieser dritten Episode im Geiste der Spessart-Sagen.

„Der Wald weiß den Weg“

Saskia Simunek spielt die Hexe Sanni, die Tante der Hexe Ida, die in dieser Rückblende noch ein Baby ist. Bild zwei des künftigen Kurzfilms wird an diesem Nachmittag als erstes gedreht. „Sanni und Ida entkommen den Häschern – der Wald weiß den Weg“, so die Beschreibung des Motivs im Drehplan. Den Blick auf das Decken-Knäuel gerichtet, schreitet Saskia diesmal hinunter zu dem mannshohen Farn. Die Kamera gleitet auf einer zwei, drei Meter langen Schiene in gleicher Richtung mit. Noch einmal eine Regieanweisung von Matthias Noe, noch einmal das Ganze. „Wuff … wuff!“, deutet er jetzt etwa Gewaltiges an. Saskia alias Sanni stockt. Und noch einmal Noe, gestikulierend, retardierend: „Wuff … wuff … wuff.“ Jetzt löst Saskia das Bündel von ihrer Brust, hebt es an über Kopfhöhe und hält es demonstrativ in Richtung der Erscheinung vor ihr: „Im Wald passiert etwas Atemberaubendes. Die Hexe Sanni hofft, dass der Wald das Baby aufnimmt und beschützt“, hat ihr Noe die Situation geschildert.

Gut eine Stunde dauert es, bis der Regisseur zufrieden, bis allein diese kurze Sequenz im Kasten ist – wahrscheinlich nur Sekunden in dem geplanten 45-Minüter. Die Häscher – der Bullige, der Große, der Dünne und der Kleine – einplant für Motiv eins, sind viel später dran: Die Szene „Die Häscher kommen an“ wird erst ab 18 Uhr gedreht, nach dem „Mittagessen“. Schließlich hat man sich erst um 13 Uhr zum „Frühstück“ am Set getroffen – an der Grillhütte im nahen Rothenbuch.

Fürs Catering – zum „Mittagsessen“ wird gegrillt – sorgt Produzent Dominik Lando höchstselbst. Um 11 Uhr hat er Simunek in Frankfurt abgeholt. Während des Drehs steht er oft an der Seite Noes, umgeben von einem Dutzend Leuten. Kamera, Ton, Requisite, Statisten. Auch ein dreiköpfiges Kamerateam des Bayerischen Fernsehens ist dabei, dreht Bilder für einen Beitrag in der „Frankenschau aktuell“, filmt Filmer beim Filmen.

Filter vor den Linsen werden den Tag im Film zur Nacht machen. Die grüne und blaue Wand bei der nächsten Szene werden durch Computer-Technik zur fantastischen Kulisse werden. Harry Käs, der später den Kleinen der Häscher geben wird, wird eingespannt, die grüne zu halten. „Dann komm ich aber in den Abspann“, witzelt der Kleindarsteller: „Greenscreen-Operator: Harry“. In Hollywood sei das nicht anders, spinnt er weiter: „Wer durchs Bild gelaufen ist, kommt in den Abspann.“ Das kleine Intermezzo löst die konzentrierte Spannung nur für einen kurzen Moment.

Die Pfeife will nicht qualmen

Umringt von den Wänden und der Crew kauert Saskia als Sanni vor ihrem Bündel, soll eine Pfeife zum Qualmen bringen. Die Pfeife war das Zaubermittel ihrer verstorbenen Schwester, soll das Baby beruhigen. Doch scheint sie schlecht gestopft. Ida zieht und zieht – oft vergebens. Mehrfach muss Kostümbildnerin Karina Augusto ran, neu anzünden. Zwei der Komparsen bekommen Taschenlampen in die Hand gedrückt, lassen die Lichtkegel über die Kauernde irren, als würden die suchenden Häscher nahen.

Die wohl größte, weil nicht technische Herausforderung aber kommt nach der nächsten Klappe. Denn die nächste Statistin ist erst 14 Monate alt: Emilia soll dem Decken-Bündel ein Gesicht geben. Ein paar Sekunden nur genügen. Doch selbst das ist nicht ganz ohne.

Man kennt sich: Schützenhilfe aus Lohr

Erst einen Tag zuvor hat Produzent Dominik Lando die Kleine gecastet: In seinem Namen hat der Lohrer Weinwirt Matthias Mehling einen Aufruf in der Facebook-Gruppe „Ob Mopper oder Schnüdel“ gepostet. Man kennt sich: 2014 stellten Noe und Lando ihren ersten gemeinsamen Kurzfilm „Und ob ich schon wandert“ beim Filmfest in Mehlings stattKino vor. Noe trägt nicht zufällig auch ein Horrorwittchen-Sweatshirt.

Auf Mehlings Facebook-Post hin haben sich prompt Orlando und Christina Torrente aus Partenstein gemeldet. Sie erscheinen zeitig am Set, beobachten das konzentrierte Treiben jetzt schon über eine Stunde aus sicherer Entfernung von oben, wo ein paar Zaungäste stehen, darunter ein Chirurg aus Offenbach, ein Freund des Projekts.

Emilia kennt den Drehplan nicht

Doch Emilia, die kleine Statistin, kennt den Drehplan nicht. Zudem ist sie ein aufgewecktes Mädchen und hoch interessiert am Geschehen um sie herum. Wieso dann ruhig liegen bleiben, in die dunkle Decke eingemummt? Immer wieder richtet sie sich neugierig auf. Da helfen auch Geduld und Geschick der Kostümbildnerin wenig. Die Eltern drehen eine Runde mit ihr, bis die Kleine endlich einschläft. Die ganze Crew atmet auf. „Die Eltern waren wunderbar – als hätten sie das schon öfter gemacht“, lobt Lando, „intuitiv richtig.“ Emilia darf heim, die Crew zum Grillen. Es ist Halbzeit beim abendlichen Mittagessen.

Drei Seiten nur umfasst das Drehbuch für diesen Tag. Sieben der 13 Einstellungen bekommen Noe & Co. in den Kasten. Dann, es ist schon dunkel, beendet Regen die Dreharbeiten vorzeitig. Muss das restliche Material für den Trailer später gedreht werden? Reichen die Einstellung für einen Drei-Minüter aus? Das wird sich erst nach dem Sichten des Materials weisen.

Noe, dem Drehbuchautor und Co-Produzent, bleibt nichts anderes übrig, als es mit jener Gelassenheit zu tragen, mit der er auch als Regisseur agiert. Ruhig und klar seine Anweisungen. Keiner spricht laut. Nur ab und an ruft Aufnahmeleiter Holger Heinz: „Ruhe, Aufnahme!“ Dann wird auch nicht mehr geflüstert.

Geredet wird in dem Fantasy-Mystery-Märchen-Film ohnedies wenig. Die Bilder wirken im Verbund mit Musik. Das Film-Genre wollen sie wieder wachküssen, hoffähig machen, die beiden Partner, die sich bei Dreharbeiten zu der Krimi-Serie „Ein Fall für zwei“ kennengelernt haben: Noe als Regieassistent, Lando als Aufnahme-Assistent. Geschichten wollen sie erzählen, inspiriert von Spessart-Sagen, sagt Lando. Die Ideen dazu hat Noe, der in Karlstein bei Aschaffenburg aufgewachsen ist und in Mainz Germanistik und Anglistik studiert hat.

In „Flussabwärts“ geht es um Ida, eine Hexe aus dem Spessart, die in Frankfurt lebt und ihr Geld damit verdient, dass sie mit verfluchten Liebesschlössern Liebespaare auseinander bringt. Die Geschichte endet mit einem uralten Hexen-Ritual mitten auf dem zugefrorenen Main. Das Eis ist längst angerichtet – in der Greenbox im Studio. Der Dreh im Hafenlohrtal ist eigentlich nur für den Trailer gedacht, eine Rückblende. Doch gibt es noch kreativen Spielraum.

Geld von vielen Gönnern

„Matthias kann gut Geschichten erzählen“, charakterisiert ihn sein Produzent. „Und er hat eine unheimlich schöne Bildästhetik.“ Lando, Betriebswirt mit Bachelor-Abschluss, verkauft seinen Regisseur nach Kräften. Muss er auch. Denn die zwei, beide 35 Jahre alt, treiben ihr Geld zum Teil mit Crowdfunding ein. 8000 Euro haben sie sich als Etappenziel gesetzt, erreicht auf den letzten Drücker, 26 Tage nach dem Dreh im Hafenlohrtal. Die Filmförderung des Landes Hessen, die HessenFilm und Medien GmbH, hat 22 500 Euro zugesagt. Immerhin sind zwölf der 15 Drehtage in Wiesbaden, Darmstadt und Frankfurt angesetzt, also in Hessen. Noe und Lando rechnen mit einem Gesamtbudget von 45 000 Euro.

Je nach Höhe ihres Beitrags werden auch die bislang 69 Förderer entlohnt: Wer etwa 100 Euro beisteuerte, bekommt eine signierte Blu-ray-Disc des Films, das gesamte signierte Drehbuch, den Vorgänger-Film „Vorm Lindig“ als exklusiven Streaminglink und den Soundtrack als digitalen Download. Zudem wird er im Abspann erwähnt. „Je mehr Geld wir zur Verfügung haben, umso besser wird auch das Ergebnis“, verspricht Lando.

Arbeiten ohne Gage

Die Crew bekommt grade mal die Spesen ersetzt. Saskia Simunek, derzeit ohne festes Engagement, macht ohne Gage mit. Weil ihr das Projekt gefalle, erklärt sie. Das sei dann ein „reines Hast-Du-Lust-Engagement“. Auch der Wiener Komponist Bernhard Eder verlangt nichts für sein Werk. Nur die Musiker des Orchesters, das die akustische Kulisse einspielen wird, bekommen Aufwandsentschädigungen. Für die Spezialeffekte - möglicher Partner ist die Medienproduktionsfirma „Tag & Nacht Media“ aus Darmstadt – werden wohl einige tausend Euro kosten.

Nicht zu vergessen: die Ausrüstung ist nur geliehen. Nach dem Drehtag im Hafenlohrtal ist Lando gut damit beschäftigt, alle Gerätschaften und den Leihwagen wieder zurückzubringen. Und Saskia Simunek? Die 29-Jährige – Spielalter als Darstellerin 19 bis 30 Jahre – rennt schon wieder. In einem Video-Clip auf ihrem Facebook-Profil stürmt sie als Agentin aus einem Darmstadter Hotel und verfolgt einen Mann. Doch das ist wieder eine ganz andere Geschichte …

Genre-Filme, inspiriert von Spessart-Sagen

Für ihre Kurzfilm-Reihe Spessart-Tales sind fünf Folgen geplant. Fertig gestellt sind „Vorm Lindig“ (Edge Of The Wood) und „Im Finsteren Tal“ (Valley Of Shadow). Zu sehen sind sie bislang nur bei Filmfesten oder anderen Events. Die beste Chance, den Film vor allen anderen zu sehen, ist im Crowdfunding aktiv zu sein und zumindest den Stream zu buchen. Kostproben sind zu finden unter noefilm.de

Zu der Serie inspiriert hat den Drehbuchautor und Regisseur Matthias Noe das Büchlein Spessart-Sagen des Heimatforschers Valentin Pfeifer (1886-1964), der in Sommerau (Lkr. Miltenberg) aufwuchs und in Lohr die Präparandenschule besuchte.

Genres-Filme folgen bestimmten, leicht wiedererkennbaren Grundmustern und -szenarien. Im Grunde ist so gut wie jeder Film irgendeinem Genre zuzuordnen. Zu den Film-Genres, die besonders einprägsam, erfolgreich und in gewisser Weise wesensverwandt sind, zählen Science Fiction, Fantasy, Horror, Action, Thriller und Mystery. Zu den bekanntesten Genre-Filmen gehören etwa „Metropolis“ (1927, Science-Fiction, Regie: Fritz Lang), „Nosferatu“ (1922, Gruselfilm, Friedrich Wilhelm Murnau) und die Edgar-Wallace-Filme (1959-1972).T

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Foto: Roland Pleier
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Foto: Roland Pleier
Produzent Dominik Lando (links) und Regisseur Matthias Noe.
Foto: Roland Pleier | Produzent Dominik Lando (links) und Regisseur Matthias Noe.
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Foto: Roland Pleier
So muss man sich dann den Film vorstellen: Hexe Ida wird verfolgt von ihrem Schatten.
Foto: Screenshot spessart-Tales | So muss man sich dann den Film vorstellen: Hexe Ida wird verfolgt von ihrem Schatten.
 
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