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KARLSTADT
Dieter Ilg begeistert bei "Häuser und Höfen"
Jazz mit Europaformat: Rainer Böhm, Dieter Ilg, Patrice Héral (von links)
Foto: joachim fildhaut– | Jazz mit Europaformat: Rainer Böhm, Dieter Ilg, Patrice Héral (von links)
Joachim Fildhaut
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:08 Uhr

Am Freitag startete das dreitägige Festival „Musik in historischen Häusern und Höfen“ im Nordwestwinkel der Karlstadter Befestigungsmauern. Der gepflasterte Platz unterm Roten Turm bekam eine kleine Bühne, ein großes Mischpult und Besuch von einem der tonangebenden Kontrabassisten Europas, Dieter Ilg mit seinem Trio.

Die Band interpretierte an diesem klaren Sommerabend voller Schwalbenpfiffe bekannte und weniger bekannte Beethoven-Motive, teils unverkennbar, teils nicht wiederzuerkennen.

Piano, Bass, Schlagzeug und ein Klassiker: Berühmt wurde diese Konstellation durch den Jazzpianisten Jacques Loussier mit seinem „Play Bach“. In Karlstadt nun bewegt der Bandleader zum Konzertauftakt seine Hände an den vier dicken Saiten entlang, als wolle er einer Melodie den Puls fühlen, die ganz ohne sein Zutun gerade eben von selbst entsteht. Patrice Héral hinter den Trommeln lässt eine rhythmische Breitseite nach der anderen über die Bühne rollen, orchestral volltönend aus dem Handgelenk, ohne seinen Oberkörper zu rühren.

Weder er noch Ilg wiederholen dabei ein einziges kleines Muster. Jede Sechzehntelnote ist neu. Repetitiv spielt allein Rainer Böhm am Klavier. Überraschung: Das Tasteninstrument und die Begleiter haben ihre Rollen getauscht! Das Dieter Ilg Trio stellt gleich zu Beginn klar: Wir können die ganze Musikgeschichte einfach umstülpen.

Diese programmatische Erklärung dauert aber allenfalls zwei Stücke lang: durch eine Variation der Pastorale-Sonate und durch ein seltsames Klanggebräu, aus dem sich ganz langsam das Chormotiv der Neunten herausschält. Ilg macht sich oft das Vergnügen, ein musikalisches Motiv nicht auf-, sondern vielmehr einzulösen.

Jazz auf der Höhe der Gegenwart

Das Publikum lauscht gebannt, wippt im Takt, der den ganzen Abend lang immer deutlich erkennbar bleibt. Es genießt zeitgenössischen Jazz ganz auf der Höhe der Gegenwart, und dazu gehören eindeutige Rhythmen und Melodien, die Musik unmittelbar genießbar machen.

Dann und wann lässt Ilg sein gewaltiges Instrument singen oder er zupft rasend virtuos. Doch am meisten formuliert er Tonfolgen vollkommen schlicht, als würde er sachlich sagen: Ich buchstabiere euch mal ganz behutsam die Substanz dieser Musik.

Locker bestuhlt ist das Hofriethgärtlein, ein paar Stuhlreihen sind sogar frei geblieben. Die Stimmung ist trotzdem bei Hörern, Musikern und der kommunalen Kulturchefin Kornelia Winkler - als Vertreterin des Veranstalters, der Stadt - hervorragend.

Silberhaariges Publikum

Vom Alter her kam ein typisches Jazz- und Klassikpublikum zusammen - das heißt in der Mehrheit eher schon silberhaarig. In kleinen Grüppchen nutzte man die lange Pause gern für einen Schoppen. Drum herum hatten die Techniker Stadtmauern und Bäume mit einigen wenigen farbigen Strahlern höchst ästhetisch ausgeleuchtet.

Damit zurück zum Konzert. In eine völlig eigene Klangwelt zog sich das Trio pro Titel zurück. Bezeichnend, wie Ilg eine Ansage beendete: „Bis gleich.“

Die Grundidee des Programms „Mein Beethoven“, für das der Bandleader seinen dritten Musikpreis „Echo“ erhielt: Beethoven war ein großartiger Improvisator, und Improvisation ist ja eine Kernkompetenz der Jazzer. Aber das Trio nutzte sein Konzept keineswegs als Freibrief. Es spielte Beethövliches in allen möglichen Formen. Da intonierte der Pianist ausgerechnet dann besonders klassisch, wenn Beethoven ein irisches Volkslied adaptiert hatte. Dann und wann griff Böhm hochdramatische Akkorde, wie man sie mit „Ludwig van“ verbindet. Und die Kunst des überraschenden Umbruchs hat das Dieter Ilg Trio auch von der Wiener Klassik übernommen.

Zwei Fragen machten das Konzert zusätzlich spannend: Was haben die Drei im Repertoire und werde ich es erkennen? Während die Marken-Akkorde von Mondscheinsonate, „Für Elise“ und fünfter Sinfonie ausblieben, gab es umso aufregendere Pathétique- und Sturmsonaten-Varianten. Mit dem zweiten Satz aus der siebten Sinfonie, der getragenen Kriegsprozession, brachte die Band einen Mega-Hit als zweite Zugabe.

Mit frühromantischer Musik für Gitarre und Querflöte setzte das Duo Mattick und Etschmann die Reihe am Samstag in Stetten fort. Das Finale gehörte wieder einem Kontrabass: Irmi Haager sang zur eigenen Begleitung und zu Alexander Wienand am Piano Jazzklassiker in der Amtskellerei.

 
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