
"Obersinn und der obere Sinngrund waren landauf, landab berüchtigt", schrieb der ehemalige Obersinner Pfarrer Sebastian Wolf über Verstöße gegen Recht und Ordnung Mitte des 19. Jahrhunderts. Damals wurde im Sinngrund beispielsweise viel gewildert, 1848/49 trieben Haufen von bis zu einem Dutzend Mann ihr Unwesen. Vielleicht schon damals, auf jeden Fall in den zwei Jahrzehnten danach, betrieb auch eine Obersinner Familie, die auch sonst von sich reden machte, dieses frevlerische Handwerk: die Wehners. Der Würzburger Stadt- und Landbote schrieb im August 1860 vom "berühmten Hause Wehner". Neben Wilderei waren Einbrüche und Körperverletzung einer ganzen Reihe von Familienmitgliedern nicht fremd. Höhepunkt war eine spektakuläre Festnahme mehrerer Wehners in einer gemeinsamen Aktion bayerischer und hessischer Gendarmen.
Vor allem anhand historischer Zeitungsberichte lässt sich die kriminelle Seite der Wehner'schen Familiengeschichte nachzeichnen. Einem breiteren Publikum wurde die berüchtigte Familie 1856 bekannt. Damals kam heraus, dass ein Philipp Wehner mit seinen Söhnen Peter und Johann und dem Neffen Philipp schuld am Tod von 50 Schweinen war. Die Männer und Knaben vergifteten vom Herbst 1854 bis ins Frühjahr 1855 in Obersinn und Jossa Schweine mit Phosphor. Anschließend verkauften sie die toten oder erkrankten Tiere billig als "Wildschwein" oder als Wurst ("Knobelinen") nach Hammelburg, Würzburg und Schweinfurt.
Die Wehners, über die im Folgenden zu lesen sein wird, waren offenbar alle Kinder oder Neffen und Nichten des in Mittelsinn geborenen Philipp Wehner. Im März 1859 sollen die ledigen Burschen Kaspar, Johann und Peter Wehner in Wartmannsroth einen Gastwirt und einen Landwirt bestohlen haben, weswegen sie dringend gesucht wurden. Außer Kleidung sollen sie ein Lamm und ein Schaf gestohlen und unweit des Ortes geschlachtet haben. Der "höchst übel beleumundete" Johann Wehner soll zudem im Juni 1859 drei Bürger in Modlos bestohlen haben, weswegen er dringend gesucht wurde.

Die Not war damals bekanntlich groß im Sinngrund wie im ganzen Spessart. Die Wehners gehörten zu denen, die es deshalb nicht so genau mit Recht und Ordnung nahmen. Philipps Kinder Adam, Katharina und Karolina Wehner wurden 1861 wegen mehrfachen Diebstahls zu je acht und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Allerdings versuchten sie offenbar, sich durch Flucht ihrer Strafe zu entziehen. Die 24-jährige Katharina Wehner – es ist unklar, ob es sich um dieselbe wie oben handelt, da es wohl zwei gab – wurde 1863 wegen Landstreicherei zu einer 21-tägigen "geschärften Arreststrafe" verurteilt und anschließend aus Bayern ausgewiesen. Das war im Mai. Im August war sie aber spätestens wieder im Lande, wurde für 30 Tage weggesperrt und erneut ausgewiesen.
Kaspar Wehner zückte das Messer
Aufsehenerregend war jedoch vor allem der Fall des Kaspar Wehner. 1859 wurde der Tagelöhner wegen "Concubinats", also einer unehelichen Beziehung, des Landes verwiesen. Das "übelberichtigte Subjekt" blieb allerdings nicht lange fern, denn Ende Februar 1860 verletzte er in einem Obersinner Wirtshaus den "Cooperator" (Hilfsgeistlichen) Grünewald mit mehreren Messerstichen. 1860 suchte die Polizei Wehner, weil er aus dem Gefängnis im hessischen Schwarzenfels ausgebrochen war. Dort war er inhaftiert, nachdem er einen Kaplan Steigerwald verletzt hatte. Nun machte er mit weiteren Mitgliedern der Familie Wehner "die Gegend von Obersinn und Brückenau unsicher", wie der Stadt- und Landbote schrieb.
Schließlich nahmen bayerische und hessische Polizisten den Flüchtigen im August 1863 zusammen mit vier Genossen, offenbar alle Wehner, fest. Wehner hatte sich im Wald in einer Hütte aus Grassoden und Steinen versteckt, die von drei Seiten nicht zu sehen gewesen sein soll. Ein Loch zur Waldseite hin führte schließlich zur Entdeckung Wehners.
Die Wehners waren, obschon Obersinner, allesamt Hessen. Das kam daher, weil Obersinn bis 1863 zum Teil bayerisch, zum Teil hessisch war. "Kondominat" nannte sich dies. Im Fall der im Wald Festgenommenen führte das zu einem Kompetenzgerangel: Verhaftet wurden sie zwar von bayerischen Polizisten aus Brückenau, weshalb sie dort abgeliefert wurden, doch da sie auf Kondominatsgebiet gefasst wurden, sollten sie vor ein Kondominatsgericht gestellt werden, wie das hessische Amt Schwarzenfels verlangte. Die Aschaffenburger Zeitung schrieb dazu: "Wer hätte geglaubt, daß man sich je um die Beherbergung dieser Wehner streiten würde?"

Sein Bekanntheitsgrad wurde am 3. November 1865 Kaspar Wehner bei einem Straßenraub zum Verhängnis. Das Würzburger Abendblatt berichtete in seiner Ausgabe vom 18. November von einer ledigen Margaretha Ries aus Oberwestern (Lkr. Aschaffenburg), die an jenem Tag im "Roßbacher Wald", also wohl zwischen Obersinn, Roßtal und Zeitlofs (Lkr. Bad Kissingen), von einem ihr unbekannten Mann überfallen wurde. Der Unbekannte, der dabei einen falschen Bart trug, überfiel die Frau und zwang sie mit vorgehaltenem Messer zur Herausgabe des Inhaltes ihres Korbes und ihres Geldbeutels.
Dem "interimistischen" (vorübergehenden) Mittelsinner Stationskommandanten Ebinger gelang es, durch "um- und vorsichtiges Recherchiren" als Täter den "noch aus dem Condominate vielberüchtigten ledigen Kaspar Wehner von Obersinn auszumitteln". Der passte offenbar ganz genau auf die Beschreibung des Täters.
Mithilfe eines Gendarms verhaftete Ebinger den Räuber Wehner in einer Nacht- und Nebelaktion um 4 Uhr und übergab ihn dem königlichen Landgericht Gemünden. Der Artikel schloss mit dem Wunsche, dass der verhaftete Wehner die höchste Strafe erhalten möge und "dadurch, da er auch schon bejahrt ist, zeit Lebens unschädlich gemacht" werde. Doch man sollte von Kaspar Wehner noch mehr hören. Vorausgesetzt, es gab nicht mehrere gleichen Namens. Im März 1867 wurde er wegen "Gewaltthätigkeit gegen einen öffentlichen Diener", wegen Wilderei und Misshandlung seiner Schwester Sabina zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Neben anderen Mitgliedern einer Obersinner Wildererbande wurde dabei auch ein Johann Wilhelm Wehner verurteilt.
Interessant auch die Geschichte von Anton Wehner, der schon 1866 wegen "Selbstbefreiung aus dem Gefängnisse" zu 30 Tagen Haft verurteilt worden war und im Juli 1868 aus seiner Zelle in der Lohrer Fronfeste zu fliehen versuchte. Dafür brach der 23-jährige Schuhmachergeselle den Fußboden zur darunter liegenden Zelle durch und wollte den Ofen einreißen, um durch das entstehende Loch zu entkommen. Allerdings machte der beim Einreißen des Ofens entstehende Staub den Gefängniswärter auf die Sache aufmerksam und Wehners Plan misslang.
Der seit 1860 "trotz seiner Jugend schon vielfach mit Arrest, Gefängniß und Zuchthaus" mehrfach vorbestrafte Wehner – vom Condominatsgericht Mittelsinn ebenso wie vom Criminalgericht Hanau, vom Landgericht Gemünden, vom Appellationsgericht von Unterfranken und vom Bezirksgericht Lohr – versuchte vor seinem Prozess im Dezember 1868, wo er sich wegen diverser Diebstähle (darunter neun Riemen Schweinefleisch in Ruppertshütten) verantworten musste, ganze sechsmal aus der Fronfeste in Lohr auszubrechen.
Vor Gericht leugnete Wehner. "Alle Obersinner stehlen und schieben dann die Schuld auf den Anton Wehner", behauptete er. Das nahm ihm das Gericht jedoch nicht ab und verurteilte ihn zu elf Jahren Zuchthaus mit anschließender Polizeiaufsicht.
In Obersinn war niemand vor Diebstählen sicher
Bis in die 1870er Jahre hinein, so Pfarrer Wolf in seinen Aufzeichnungen, sei in Obersinn niemand vor Diebstählen sicher gewesen, auch das Vieh in den Ställen nicht. "Es bildeten sich früher wirkliche, organisierte Räuberbanden, die ,Wehner‘ (gemeinhin ,Preußen‘)", schrieb Wolf, "die von hier aus ihre Züge weit in das Land hinein machten." Der gebürtige Obersinner Anton Schäfer erinnert sich, dass es noch in seiner Jugend in Obersinn das Schimpfwort "Wehner" für "Spitzbuben aus Hessen" gab.
Und was ist aus all den Wehners geworden? "Die meisten von ihnen starben im Zuchthaus", so Pfarrer Wolf, der einst selbst Opfer eines Diebstahls durch Adam Wehner geworden war. Einer davon, so ist in den Matrikelbüchern Obersinns zu lesen, war Anton Wehner. Der Fast-Ausbrecher starb 1875 auf der Kulmbacher Plassenburg, damals ein Zuchthaus, an Lungentuberkulose. Am Rande des Prozesses gegen Anton Wehner 1868 wurde erwähnt, wie es damals um weitere Familienmitglieder stand: Sein Vater und seine Mutter waren zum Zeitpunkt des Prozesses bereits tot – gestorben im Zuchthaus. Seine drei Brüder Kaspar, Adam und Philipp Wehner saßen damals in der Strafanstalt Ebrach längere Gefängnisstrafen ab. Ein Wehner soll, so erzählt man sich in Obersinn, beim Wildern von einem Förster erschossen worden sein – und zwar von hinten.
Die Wehners in der Dichtung
Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter https://www.mainpost.de/dossier/geschichte-der-region-main-spessart/
Wie oft wird den diese Familie noch erwähnt..mindestens einmal im Jahr gibt es diesen Bericht..Was will uns die Mainpost damit sagen???
Soll es heißen in Obersinn gab/ gibt es die größten Verbrecher..oder was sollen diese ständigen Berichte..Sind die restlichen Sinngrundgemeinden frei von Schuld und Sünde?
Wen interessiert das??
Haben wir nicht andere Probleme wie Räuber von "1800-Barfuss"..?
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Zimmermann, Main-Post Digitales Management