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Karlstadt
Die Nazis und der Schwimmbadbau: Wie die Region baden ging
Aus der Geschichte Main-Spessarts (121): Im 19. Jahrhundert gab es am Main schon abgesteckte Badeplätze. Erste Freibäder in Karlstadt, Marktheidenfeld und Gemünden wurden während der Nazi-Zeit gebaut. Wie die Region baden ging - von Flussbädern bis zum Wonnemar.
Das Karlstadter Freibad wurde am 12. Juni 1938 eröffnet. Sportler mit Hakenkreuz-Fahnen stürzten sich von den Sprungtürmen in die Fluten. Am Pult ist Bürgermeister Friedrich Held.
Foto: Stadtarchiv Karlstadt, Drexler | Das Karlstadter Freibad wurde am 12. Juni 1938 eröffnet. Sportler mit Hakenkreuz-Fahnen stürzten sich von den Sprungtürmen in die Fluten. Am Pult ist Bürgermeister Friedrich Held.
Klaus Gimmler
 und  Martina Götz
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:43 Uhr

Die Lage ist einmalig. Direkt am Main gelegen, folgt der Blick auf der anderen Seite von der steilaufsteigenden Kulisse der Burgruine Karlsburg über den Mühlbacher „Gutsberg“ bis zum Laudenbacher „Esel“. Hier hat Karlstadt das einst kälteste Quellwassserbad Unterfrankens und trotzdem das wärmste Badewasser aller umliegenden Freibäder.

Als viele „Wasserratten“ im heutigen Landkreis Main-Spessart an heißen Sommertagen im gefährlichen Main planschten, eröffnete Karlstadt 1938 ein modernes Freibad am sicheren Ufer – nur ein paar Meter von der Mainbrücke entfernt und fußläufig nahe an der Altstadt. Es war eine Gemeinschaftsleistung, zu der Bürgermeister Friedrich Held die Karlstadter Männer aufgerufen hatte. Und die fühlten sich berufen, in ihrer Stadt ein 50 Meter langes Schwimmerbecken für die körperliche Ertüchtigung und ein Planschbecken für ihre Kinder zu errichten.

Schon 100 Jahre zuvor hatte es einen im Main abgesteckten Badeplatz gegeben, wie ein Eintrag vom 2. Juli 1836 im Stadtarchiv Karlstadt beweist. Der beginnende Dampfschiffverkehr und die Bestimmung, „wenn das Dampfschiff passiert, haben die Badenden entweder im Wasser zu bleiben oder sich zu bedecken“ sowie der Tod eines 16-Jährigen durch Ertrinken 1846 veranlassten den Magistrat 1861, einen Fischer als Aufsicht einzusetzen. Es folgten Jahre mit wechselnden abgesteckten und beaufsichtigten Badeplätzen entlang des Karlstadter Ufers.

Das Badehäuschen mit vier Badekabinen  in Mühlbach.
Foto: Paul Meder | Das Badehäuschen mit vier Badekabinen  in Mühlbach.

Da hatten es die Mühlbacher schon besser. Die Buben hatten in den sicheren Altwassern Richtung Karlburg und Laudenbach ihre eigenen Badestellen. Ausgewählte und zahlende Erwachsene genossen ein Bad im Main in einem privat gebauten hölzernen „Hallenbad“ am Ende der Fährgasse der heutigen Gasse Am Mühlbach, das das Gemeindeprotokoll schon 1792 erwähnte. 1886 durften die Karlstadter am Mühlbacher Ufer am Ende der heutigen Straße Am Mühlbach an gleicher Stelle ein Häuschen mit vier Badekabinen bauen.

Buben nackt auf den Sandbänken

Nicht nur der Pfarrer Veitenthal schimpfte über die „Schamlosigkeit und ausgelassene Rohheit beim Baden“, auch das Bezirksamt bemängelte 1875, dass die Buben auf den im Fluss entstandenen Sandbänken nackt herumlaufen. 55 Bürger forderten 1883 mit ihrer Unterschrift eine Badeanstalt, weil Karlstadt von den bedeutenden Orten am Main vom Bamberg bis Mainz keine hatte. Doch das scheiterte am fehlenden Geld.

Das Flussbad bei Karlstadt mit Umkleidekabine war ab 1910 über zwei Stege vom Ufer aus erreichbar. Es gab für Frauen und Männer getrennte Badezeiten.
Foto: Unbebkannt | Das Flussbad bei Karlstadt mit Umkleidekabine war ab 1910 über zwei Stege vom Ufer aus erreichbar. Es gab für Frauen und Männer getrennte Badezeiten.

1910 errichtete der Stadtmagistrat auf Karlstadter Seite ein Flussbad mit zwei Holzhäuschen auf Pontons, das über zwei Stege vom Ufer aus erreichbar war, unterhalb der Drahtseilbahn zwischen Steinbruch und Zementwerk, am heutigen Fußballplatz des FV 1920. Es hatte ein Damenbassin, Umkleidekabinen, ein Lehrschwimmerbecken und ein im Main auf 17 Metern Länge abgestecktes Flussbadebecken. Für die Aufsicht und Sicherheit stellte die Stadt einen Bademeister ein. Für die männlichen und weiblichen Besucher gab es bis 1932 getrennte Badezeiten. Die Kinder lernten erstmals unter Anleitung das Schwimmen. Im Sommer 1930 war für Volksschüler das Baden verpflichtender Turnunterricht. Sogar Kriegsgefangene durften 1916 freitags von 18 bis 19 Uhr baden. In den Wintern wurde die Holzanlage abgebaut.

Die Nazis vereinnahmten den Schwimmbad-Bau für ihre Ideologie

Ein „Jahrhundertwerk im Tausendjährigen Reich“ gingen Stadtrat und Bürger nach dem Baubeschluss am 22. Juli 1937 an, getragen vom „hinreißenden Rhythmus, der die deutschen Gemeinden seit der Machtübernahme erfaßt hat. (…) Es (Karlstadt) hat eine Großtat vollendet, die ihm noch nach Jahrhunderten zur Ehre gereichen wird“, schrieb die Nazi-Postille „Mainfränkische Zeitung“. Vor der Ehre aber stand der Schweiß. Im Anschluss an die Wiese südlich der Mainbrücke (heute Campingplatz) und nördlich vom FV-Fußballplatz legte der Stadtrat ein 10.000 Quadratmeter großes Grundstück fest.

Das neu gebaute Freibad Karlstadt im Jahr 1938.
Foto: Unbekannt | Das neu gebaute Freibad Karlstadt im Jahr 1938.

Das neue Bad sollte 6000 Quadratmeter Rasen, 1500 Quadratmeter Plattenterrasse und Versorgungsräume und Schwimmfläche in einem Schwimmerbecken haben, das 50 Meter lang und 20 Meter breit war und eine maximale Wassertiefe von 4,50 Meter aufwies. Dort standen drei hölzerne Sprungtürme, ein, drei und fünf Meter hoch. Das Becken verfügte über zwölf Startblöcke. Das Nichtschwimmerbecken hatte die Ausmaße von 25 mal 20 Metern. Unter einem Holzsteg konnte man zwischen Nichtschwimmer- und Schwimmerbecken durchschwimmen. Ein Planschbecken gehörte den Kleinsten. Die Becken hatten gestrichene Betonwände. In 25 Kabinen zogen sich die Besucher um. Die Duschen wurden mit Karlstadter Trinkwasser gespeist, die Schwimm- und Planschbecken aus dem reichlich sprudelnden, aber 14 Grad kalten Mühlbach aus der Broili-Schlosspark.

Auf Bitte des Magistrats sagte das Zementwerk Geld und Zement im Wert von 30.000 Reichsmark zu. 207 Karlstadter mit Schaufel, Pickel oder Fuhrwerk für den Erdaushubtransport erbrachten 1032 Arbeitsstunden. Die Gesamtbaukosten: 84.000 Reichsmark.

Am Sonntag, 12. Juni 1938, regnete es, und es war windig. Trotzdem war ganz Karlstadt auf den Beinen. Im Sonntagsstaat scharten sich die Menschen dichtgedrängt in mehreren Reihen um die Wasserbecken. Sportler mit Hakenkreuz-Fahnen stürzten sich von den Sprungtürmen in die Fluten. Die lokalen Nazi-Größen Bürgermeister Friedrich Held, NS-Kreisleiter Max Sorg und NS-Ortsgruppenleiter Josef Rupp feierten in Lobeshymnen das große Bauwerk, sich selbst und die NSDAP.

Abwärme vom Zementwerk wird genutzt

Am 1. August 1970 begann eine neue Ära, die bis heute den Badespaß zu einem einzigartigen Erlebnis macht: Das Beckenwasser kann bis auf 30 Grad aufgeheizt werden, was viele Schwimmfreudige auch aus der weiteren Umgebung anzieht. Möglich macht es die sogenannte Abwärme, eine Leitung zwischen dem Zementwerk Schwenk und dem Freibad. Das benachbarte Zementwerk verfügt über einen Luft-Wasser-Wärmetauscher, das Freibad über einen Wasser-Wasser-Wärmetauscher.

Bevor die heiße Luft durch den Kamin des Drehofens in die Atmosphäre entfleucht, wird sie in den Luft-Wasser-Wärmetauscher abgeleitet und erwärmt das durchlaufende Wasser in der Leitung auf 80 Grad, das zum Wasser-Wasser-Wärmetauscher im Freibad strömt. Edelstahlplatten entziehen dem Wasser 40 Grad und leiten es an das Beckenwasser weiter. Das nur noch 40 Grad heiße Wasser in der Ringleitung fließt zurück zum Wärmetauscher im Zementwerk, wo es wieder auf 80 Grad erhitzt wird. So entsteht ein ständiger Kreislauf. Im Freibad regulieren die Schwimmmeister die Wärme in den Becken auf die gewünschte Temperatur, meist um die 24 Grad.

Trotz der „molligen Wärme“, wie die Main-Post 1982 schrieb, nahmen die Besucherzahlen ab. Ab 1988 wurden das Freibad und sein Platz am Main zum Politikum, weil ein Architekt für das 20-Millionen-DM-Projekt ein Erlebnisbad mit Wildbadströmung, mehreren Sprungtürmen sowie ein Hallen- und Dampfbad mit Saunen vorschlug. Letztlich wurde auch der Plan mit der Umsiedlung des Bades in ein großgedachtes Sportzentrum am Hirschfeld, weit weg vom Main, aber nahe der Mülldeponie, zu den Akten gelegt. Jahre vergingen mit neuen Konzeptionen, Schließung des Planschbeckens und einem Gerichtsprozess um das Architektenhonorar.

Der Rondello-Pavillon war lange Zeit das Markenzeichen des Karlstadter Freibades.
Foto: PaMartina Amkreutz-Götz | Der Rondello-Pavillon war lange Zeit das Markenzeichen des Karlstadter Freibades.

Seit 3. Juni 2017 haben die Karlstadter „Wasserratten“ nun ein neues Freibad mit einem Kleinkinder-Planschbecken, einem Nichtschwimmerbecken mit Rutsche in einer Größe von 528 Quadratmetern und zwei geteilte Schwimmerbecken in der Gesamtgröße von 817 Quadratmetern. Nach dem Sommer 2017 meldete die Besucher-Jahresbilanz knapp 82.000 für Karlstadt. Im Abstand von etwa 20.000 und 40.000 weniger Besucher folgten die Bäder in Lohr und in Zellingen. Auch wenn viele Stammgäste gegen den Rückbau des 50-Meterbeckens protestierten, scheinen die meisten heute versöhnt mit der neuen Beckenanordnung zu sein.

Das Karlstadter Freibad steht beispielhaft für viele Bäder im heutigen Landkreis Main-Spessart. Auch in Marktheidenfeld haben die Nazis den Bau eines Schwimmbades vorangetrieben. Da dem Sport in der nationalsozialistischen Ideologie ein besonderer Stellenwert zukam, hatte 1936 der Turnverein seine Sportanlagen an den Verein „Gelände der Jugend“ abgegeben, der 1938 das sportliche Angebot mit dem Bau eines Familienbades im Mainvorland an der Lengfurter Straße erweiterte. Die damalige Badeordnung verbot „Ärgernis erregende Badeanzüge“ und die „Dreiecksbadehose ist verboten“.

Das Erlebnisbad Wonnemar wurde 2012 in Marktheidenfeld eröffnet.
Foto: Berthold Diem | Das Erlebnisbad Wonnemar wurde 2012 in Marktheidenfeld eröffnet.

Bis zu Beginn der 1970er-Jahre blieb das beliebte Freibad in Betrieb. Im Jahr 1976 wurde das Hallenbad Maradies eingeweiht, die Eröffnung des Freibads am Maradies folgte 1983. Da der Sanierungsbedarf immer größer wurde, setzte sich im Stadtrat die Meinung durch, ein komplett neues Bad zu bauen und es wurde mit der InterSpa Gruppe ein Partner gefunden. Die Eröffnung des Wonnemars Marktheidenfeld war im Dezember 2012.

Das Freibad in Gemünden wurde in den Lindenwiesen 1938 erbaut.
Foto: Ferdinand Heiligenthal | Das Freibad in Gemünden wurde in den Lindenwiesen 1938 erbaut.

In Gemünden wurde 1938 in den Lindenwiesen zwischen Saale und Mühlgraben, im Feuchtgebiet „Krötenlöchle“, das heutige städtische Schwimmbad erbaut. Zuvor hatte es wie in vielen anderen Orten Flussbäder gegeben. Das Flussbad von 1922 in Gemünden auf der linksmainischen Seite war nur mit dem Fährboot „Hol über“ zu erreichen. Umgeben war es von einem Laufsteg, der von fassförmigen Pontons getragen wurde. Aus diesem Nichtschwimmer-Bereich gelangten Schwimmer über eine Treppe in den Main. Frauen durften von 8 bis 14 Uhr, Männer danach baden, schreibt Kreisheimatpfleger Bruno Schneider, der die Geschichte der Gemündener Bäder aufgearbeitet und im Büchlein niedergeschrieben hat.

In Lohr empfanden in den 50er Jahren viele Lohrer die Badestelle am Mainufer als Zumutung. Bei Massenbesuch seien die der Verhältnisse völlig unhaltbar. Die Lohrer Zeitung berichtet von einer schwarz-grün-braunen Brühe, in der man herumplätschert“. Doch es dauerte bis 1962, bis das lange ersehnte Freibad am heutigen Standort eröffnet wurde. Damals wurde es von Festrednern als das „schönste Bad in Unterfranken“ bezeichnet.

Beliebt ist das Freibad in Zellingen. Es wurde 1954 eingeweiht.
Foto: Berthold Diem | Beliebt ist das Freibad in Zellingen. Es wurde 1954 eingeweiht.

1952 beantragte eine Interessengemeinschaft der Zellinger Vereine den Bau eines Schwimmbades. Im Juni 1954 wurde es am jetzigen Standort eingeweiht. Das Ziel war, das allgemeine Sportangebot und den Fremdenverkehr zu fördern.

Der Naturbadesee Arnstein wurde 1997 angelegt.
Foto: Silvia Gralla | Der Naturbadesee Arnstein wurde 1997 angelegt.

1973 wurde das Terrassenbad in Frammersbach eröffnet. Für das Bad wurde ein Schwimmbadverein gegründet, der erfolgreich Spenden sammelte und die Gemeinde beim Grundstückskauf unterstützte. Nach der Eröffnung wurde der Verein wieder aufgelöst. Das Freibad in Burgsinn wurde 1972 mit ei­nem 50-Me­ter-Schwim­mer­be­cken samt Sprung­turm und ei­nem gro­ßen Nicht­schwim­mer­be­cken in Betrieb genommen. Das Waldbad Lengfurt wurde 1981 eröffnet und der Naturbadesee Arnstein wurde 1997 angelegt.

Literatur: Amkreutz-Götz: 70 Jahre Freibad und 170 Jahre Badespaß, Jahrbuch Karlstadt 2008/09.

Zur Autorin: Martina Amkreutz-Götz war 37 Jahre Redakteurin der Main-Post in Karlstadt. Sie ist Gründungs- und Vorstandsmitglied des Geschichts- und Heimatvereins Mühlbach 1987 und Mitglied im Historischen Verein Karlstadt.

Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter https://www.mainpost.de/dossier/geschichte-der-region-main-spessart

 
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