Eine Ära endet im Lohrer Stadtwald. Bernhard Rückert, seit 1988 im Forstdienst der Stadt und seit 1992 Leiter der städtischen Forstverwaltung, geht in Ruhestand. Am Freitag hatte er seinen letzten Arbeitstag. Unter Rückerts Regie entwickelte sich der Stadtwald zu einem bundesweit anerkannten Vorzeigeobjekt für naturnahe Waldwirtschaft, das immer wieder Ziel von Fachexkursionen und Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen ist. Der Start dieser Entwicklung war 1988 freilich eine ausgesprochen zähe Sache.
Schon Rückerts Anstellung bei der Stadt war ein Politikum. In einer hauchdünnen Kampfabstimmung votierte der Stadtrat für ihn und gegen den Sohn des damaligen langjährigen Stadtforst-Leiters Siegfried Hauk. Die knappe Mehrheit der Räte wollte wohl nicht zuletzt den Eindruck der Ämterpatronage und "Erbförsterei" vermeiden. In der Verwaltung freilich hätten viele lieber einen anderen Ausgang der Personalentscheidung gesehen.
Ablehnende Haltung
Das bekam Rückert zu Beginn deutlich zu spüren. Ein Jahr lang sei er unter anderem vom damaligen Bürgermeister Gerd Graf immer wieder gefragt worden, ob er nicht wieder in den Staatsdienst zurückwechseln wolle, erinnert sich Rückert. Kaum einer habe geglaubt, dass er die ablehnende Haltung ihm gegenüber länger als ein halbes Jahr aushalten werde. Doch Rückert dachte nicht daran, seinen Plan aufzugeben. Einige Jahre zuvor war der aus dem Steigerwald stammende Forstmann, der seine Ausbildung als bayernweit Bestplatzierter abgeschlossen hatte, gegen seinen Willen aus dem staatlichen Revierdienst an die Lohrer Forstschule abkommandiert worden. "Ich wollte unbedingt wieder zurück in den Wald", erklärt Rückert, weswegen er für den Wechsel zur Stadt nicht nur die Widerstände, sondern auch spürbare Gehaltseinbußen in Kauf nahm.
Der Lohrer Stadtforst ist mit rund 4100 Hektar der drittgrößte Kommunalwald in Bayern. Diese Größe und der Laubholzreichtum hätten ihn gereizt, sagt Rückert, daneben natürlich auch die Gestaltungsmöglichkeit und die mit der Aufgabe verbundene Chance, "sich persönlich weiterzuentwickeln". Als Hauk 1992 in den Ruhestand ging, übernahm Rückert, der bis dahin normaler Förster im Stadtwald war, die Leitung. Von Anfang an hatte er das Ziel, eine naturnahe Forstwirtschaft zu etablieren.
Viel Überzeugungsarbeit
Wie fast alle anderen Wälder sei der Stadtwald damals ein "stark wirtschaftlich orientierter Betrieb mit waldbaulichen Traditionen noch aus den 1960er Jahren" gewesen. Es habe systematische, kahlschlagähnliche Eingriffe und große Nadelholz-Aufforstungen gegeben. Die Wildbestände, so Rückert, seien im Stadtwald "weit überhöht", die daraus resultierenden Schäden enorm gewesen. Der Begriff Ökologie sei damals in Forstkreisen "fast ein Schimpfwort" gewesen. Um den Kurs zu ändern, war von Rückert anfangs viel Überzeugungsarbeit gefragt. Innerhalb der städtischen Forstmannschaft wurde über seine Vorstellungen von Totholzmehrung, Biotopbäumen und punktueller statt flächiger Baumfällung kontrovers diskutiert.
Rückert spricht in der Rückschau von einem Generationenproblem, zurückzuführen auf frühere Inhalte der forstlichen Ausbildung. "Natürlich musste ich auch mal auf den Tisch hauen und sagen, dass es jetzt so gemacht wird", blickt er zurück. Beim politischen Entscheidungsgremium, dem Stadtrat, war ein anderes Agieren gefragt. Auch dort, so sagt Rückert, sei anfänglich "kaum Verständnis für ökologische Zusammenhänge oder die Bedeutung der Jagd für den Wald" vorhanden gewesen. Es habe "teils knüppelharten Widerstände" gegeben. Sein Glück sei es gewesen, so Rückert, dass der 1990 ins Amt gekommene Bürgermeister Siegfried Selinger "die Zusammenhänge begriffen und immer voll hinter der Sache gestanden" habe.
Gemeinsam lotsten die beiden den Stadtrat bei dessen jährlichen Waldfahrten in die wenigen Forstbetriebe, die sich schon früher auf den Weg hin zu naturnahem Wirtschaften und angepassten Wildbeständen gemacht hatten. "Da hat man dann gesehen, was das bringt", sagt Rückert. Als Schließlich auch im Lohrer Stadtwald erste Ergebnisse des neuen Kurses sichtbar geworden seien, "haben es immer mehr interessant gefunden", so der Forstmann. Allerdings habe es bis zu einem breiten Sinneswandel "mindestens zehn Jahre gedauert".
Jagd ein Dauerthema
Heute sieht der Stadtwald ganz anders aus als noch vor 30 Jahren. Damals, so sagt Rückert, "konnte man im übertriebenen Sinn im Wald fast von Rechtenbach bis Lohr schauen". Heute sehe man oft kaum 20 Meter weit, weil vielerorts junge Waldbäume wachsen. Der Wald habe eine viel naturnähere Struktur, weise eine Mischung alter und junger Bäume auf gleicher Fläche auf, so Rückert. Eines seiner Dauerthemen war stets die Jagd. Mit dem vehementen Bemühen, überhöhte Wildbestände auf ein waldverträgliches Maß zu reduzieren, machte sich Rückert wohl die meisten Feinde, ließ sich jedoch auch hier nicht von seiner Linie abbringen.
Die in Eigenregie bejagten Teile des Stadtwaldes sind heute in einem vom Bundesamt für Naturschutz unterstützten Projekt eines von bundesweit 19 Beispielrevieren für das Bemühen um waldverträgliche Wildbestände. Jedoch bejagt die Stadt nur rund die Hälfte ihres Waldes in Eigenregie, der Rest ist an private Jäger verpachtet. Weil die privaten Jäger andere Interessen als ein Waldbesitzer hätten, könne es in diesen Bereichen kaum gelingen, die Wildbestände im nötigen Maß zu reduzieren, sagt Rückert.
Größter Fehler
Dass er vor Jahren nicht auf den für ihn überraschenden Vorschlag aus dem Stadtrat eingegangen sei, den kompletten Stadtwald mit ausgesuchten Jägern in Eigenregie zu bejagen, bezeichnet Rückert heute als seinen größten Fehler. Er hofft, dass dieser in näherer Zukunft vom Stadtrat korrigiert wird. Den Stadtwald sieht Rückert für die Zukunft gut aufgestellt. Die naturnahe Bewirtschaftung helfe nicht nur den Arten, sondern sei auch "absolut wirtschaftlich". Mann müsse weniger investieren, weil vieles natürlich ablaufe, könne aber gleichzeitig mehr dickes Holz ernten, weil Vorräte deutlich höher seien und man die Bäume älter werden lasse, erklärt Rückert.
Weil sich die Einstellung der Gesellschaft gegenüber dem Wald geändert hat, spielen neben der Wirtschaftlichkeit jedoch längst auch Gesichtspunkte wie Erholung, Ökologie sowie der Klima- und Wasserschutz eine immer wichtigere Rolle im Forst. "Wir erfüllen im Stadtwald heute bei allen Aspekten höchste Standards und erzielen dennoch kontinuierlich einen Überschuss", sagt der Forstmann. Dass die Stadt 200 Hektar ihres Waldes dauerhaft aus der Nutzung genommen hat, kann für Rückert nur der Anfang sein. "Da muss gerade im öffentlichen Wald mehr kommen", sieht er Lohr und andere öffentliche Waldbesitzer in der Pflicht.
Rückert spricht von einem Verdoppeln der Schutzgebiete in den kommenden Jahrzehnten. Auch mit dieser Ansicht ist er in Forstkreisen immer wieder angeeckt. Rückert indes betont, dass er zur Forstwirtschaft und zu Eingriffen in den Wald stehe, "weil wir Holz brauchen". Um die Eingriffe zu kompensieren, müsse man jedoch auch Flächen aus der Nutzung nehmen. "Die Natur braucht mehr Freiraum", sagt Rückert. Dieser Gedanke sei in Forstkreisen "auf breiter Front noch nicht angekommen". Der Mensch sehe sich eben lieber als Macher und wolle auch in der Natur was bewegen. Doch wenn man in der Natur etwas bewege, passiere dies gerade im Wald meist zum Nachteil der Natur, sagt Rückert. Er ist überzeugt: "Der Mensch kann Natur nicht noch natürlicher machen. Das kann nur die Natur selbst. Wenn man sie lässt."
Zum Guten entwickelt
Am Freitag nun ließ Rückert los von seiner Aufgabe im Stadtwald. "Man schläft ruhiger, wenn die Verantwortung weg ist", hat er mit dem Näherrücken des Ruhestands festgestellt. Es sei schon auch Belastung gewesen, all die Kämpfe auszutragen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Doch heute sei der von ihm eingeschlagene Kurs des Stadtwaldes seinem Eindruck nach in Lohr "als gut akzeptiert", sagt Rückert. "Nach Anlaufschwierigkeiten hat es sich doch zum Guten entwickelt", zieht der 65-Jährige Bilanz. Er habe, so Rückert, "beinahe erreicht, was mein Ansinnen war". Ganz zufrieden dürfe man ja nie sein, sagt der Forstmann und lacht herzhaft.