Für Carola Kasamas war der 24. Dezember 2019 ein besonderer Tag. Denn es war der letzte Heiligabend, an dem sie ihren "Um´s Eck"-Laden in der Ortsmitte von Urspringen geöffnet hatte. Nach 121 Jahren in Familienbesitz schließt die 62-jährige Einzelhändlerin, die neben Lebensmitteln, Getränken und Schreibwaren auch den Postservice und eine Reinigungsannahme anbot, an diesem Samstag ihr Geschäft endgültig.
"Es ist heute schon ein besonderer Tag. Teilweise verabschiedet man sich von den Kunden. Es ist aber auch das erste Weihnachtsfest, an dem ich fast keinen Stress habe", sagt Carola Kasamas, die das Einzelhandelsgeschäft seit rund 25 Jahren in Eigenregie führt und es zuvor, seit den 80er Jahren, bereits zusammen mit ihrer Mutter Irmgard betrieben hatte. Musste sie in der Vergangenheit bereits an Heiligabend für die Tage nach den Weihnachtsfeiertagen planen und sich um die Warenbestellungen kümmern, konnte sie diesmal die Festtage relativ entspannt angehen. "Die Feiertage waren sonst immer mit Arbeit verbunden", berichtet die Urspringerin, die vor einem Vierteljahr publik gemacht hat, dass sie ihren Laden zum Jahresende schließen wird.
Seit zwei Jahren über Nachfolge nachgedacht
"Der Entschluss zu diesem Schritt ist in diesem Jahr gereift, beschleunigt wurde er durch die Insolvenz meines Lieferanten", erklärt die 62-Jährige mit stockender, leicht wehmütiger Stimme. Nach kurzem Nachdenken fügt sie an, dass sie sich bereits vor etwa zwei Jahren, als sie ein Seminar mit dem Thema Nachfolgereglung besucht hatte, erstmals ernsthafte Gedanken gemacht habe.
"Nach diesem Vortrag war ich in einem Zwiespalt und hatte bereits schlaflose Nächte", erinnert sich die gelernte Steuergehilfin. Immer mehr Auflagen und die Digitalisierung, die beispielsweise ein neues Kassensystem erfordert, aber auch die Entwicklung in der Gesellschaft haben ihre Entscheidung beeinflusst. Auch sind ihre Gefriertruhe und die Kühltheke in die Jahre gekommen, so dass hier in Kürze eine kostspielige Neuanschaffung nötig gewesen wäre.
Das Fass quasi zum Überlaufen gebracht hat im März die Insolvenz ihres Großhändlers LHG. "Da hatte ich teilweise keine Ware und somit auch keinen Umsatz, das hat mir oft Bauchweh bereitet", gibt sie offen zu. Bereits damals habe sie Bürgermeister Volker Hemrich informiert, weil sie nicht wusste, ob sie den Sommer übersteht. "Es ist so viel zu machen, sowohl vom zeitlichen, wie auch finanziellen her. Als Einzelkämpfer schaffe ich es einfach nicht", betont sie und gibt zu, dass sie lange mit sich gerungen habe.
Schwester winkte wegen des hohen Zeitbedarfs ab
Denn auch ihre Schwester Sabine Eckert, die seit vielen Jahren als Angestellte mitarbeitet, wollte das Geschäft nicht übernehmen. "Ich hatte keine Ambitionen, denn ich weiß, was alles dahinter steckt", erklärt Eckert, die bei Bedarf mit anpackte oder im Sommer während der Urlaubswoche ihrer Schwester die Vertretung übernommen hat, angesichts des enormen Zeitaufwands.
Und wie wurde der Entschluss, das Geschäft zu schließen, im Umfeld aufgenommen? "Mein Familien- und Freundeskreis hat mich bestärkt. Aber auch aus dem Umkreis habe ich sehr viel Verständnis erfahren", berichtet Kasamas mit Erleichterung in der Stimme. "Die Stammkundschaft ist schon sehr traurig", ist sie sich bewusst und erhält von Marliese Hart, die gerade ihre Einkäufe bezahlt, zustimmendes Nicken. "Hier hat man alles bekommen. Und wenn einmal etwas nicht da war, hat es Carola umgehend besorgt", lobt Stammkundin Marliese Hart das große Engagement der Einzelhändlerin.
Der Laden war immer auch ein Ort der Begegnung
Ihr Mann Gerhard kann nur beipflichten und erwähnt die tolle Zusammenarbeit mit den Vereinen. "Wenn bei einer Veranstaltung abends um 23 Uhr etwas ausgegangen war, konnte man es bei Carola noch holen", gibt er an. Während sich das Ehepaar verabschiedet, blickt Kasamas zurück: Sie habe in all den Jahren kaum Negatives erlebt oder Probleme gehabt. "Die Sorgen und Nöte, die mir die Leute anvertraut haben, sind mir teilweise sehr zu Herzen gegangen", erinnert die 62-Jährige, die durch ihre herzliche Art für zahlreiche Kunden auch eine wichtige Ansprechpartnerin war. Der Laden war immer auch ein Ort zum Reden und Begegnen.
Und wie geht es für die Urspringerin nun weiter? "Da ich immer im Einzelhandel tätig war und sehr wenig Rente beziehen würde, habe ich mir eine neue Beschäftigung gesucht", berichtet Kasamas, die an diesem Freitag und Samstag zum Totalausverkauf letztmals die Ladentüre öffnen wird, mit inzwischen feuchten Augen. Und worauf freut sie sich künftig am meisten? "Auf ein freies Wochenende", sagt sie, die ihr Geschäft in all den Jahren kein einziges Mal geschlossen hatte, nach kurzem Nachdenken eher zögerlich.