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Urspringen
Die letzte Kuh verlässt Urspringen
Wieder wird ein Kapitel in der Geschichte "Landwirtschaft auf dem Land" geschlossen.  Die Investitionen für einen Laufstall rechnen sich für Familie Wiesner nicht.
Zum Fototermin führten Raimund Wiesner, sein Sohn Günther und Tochter Monika ihre Kuh Franka auf die Wiese (von links).
Foto: Heidi Vogel | Zum Fototermin führten Raimund Wiesner, sein Sohn Günther und Tochter Monika ihre Kuh Franka auf die Wiese (von links).
Heidi Vogel
 |  aktualisiert: 31.10.2020 02:19 Uhr

Zufrieden und genüsslich kauend liegt Franka in ihrem warmen Stall. Zum Fototermin auf der Wiese hat sie an diesem Tag keine rechte Lust. "Es passiert doch nichts. Der Lastwagen ist doch noch gar nicht da", reden Günther Wiesner und sein Vater Raimund beruhigend auf ihre Kuh Franka ein. Es scheint fast, als hätte das Tier, das vor exakt acht Jahren auf dem Hof der Wiesners geboren wurde, eine Vorahnung, was ihr in der kommenden Woche bevorsteht: Der Transport zum Schlachthof. Franka ist die letzte Kuh in Urspringen.

"Als wir unseren Hof in der Ortsmitte bewirtschaftet haben, hatten wir 16 Kühe. Hier heraußen waren es in Spitzenzeiten 20 Stück", erinnert sich der 69-jährige Raimund Wiesner, der den Hof von seinen Eltern übernommen hat. Im gesamten Ort seien es zu Hochzeiten rund 100 Kühe gewesen.

Befand sich sein landwirtschaftlicher Betrieb zunächst in der Mitteldorfstraße direkt im Altort, siedelte er vor 20 Jahren aus Platzgründen in das weitläufige Anwesen in der Karbacher Straße um. Viel verändert hat sich im Laufe der Zeit, berichtet der Landwirt. "Ich habe schon Kühe gemolken, da war ich noch in der Schule", erinnert sich der 69-Jährige an die beschwerlichen Zeiten, als noch von Hand gemolken wurde. Später wurde eine Melkmaschine eingerichtet, welche die Milch in Eimer pumpte.

Zuletzt nur noch für den Privatgebrauch gemolken

Mit dem Umzug auf den Aussiedlerhof installierte der Landwirt eine Absauganlage, die die Milch über Leitungen direkt in den Milchtank beförderte. "Da war eine automatische Spülung dabei", berichtet Wiesner und fügt an, dass er die damals moderne Anschaffung gegen den Willen seines Vaters getätigt habe. Mittlerweile ist die Melkmaschine seit fünf Jahren außer Betrieb, denn für Franka alleine hat sich das maschinelle Melken nicht mehr gelohnt. Seit diesem Zeitpunkt liefern die Wiesners auch keine Milch mehr an die Molkerei ab, lediglich für den Privatgebrauch haben sie in den letzten Jahren gemolken. Doch auch damit ist seit etwa einem Jahr, seitdem die Kuh der Rasse Gelbes Frankenvieh das letzte Mal gekalbt hat, Schluss.

Und warum muss Franka nun überhaupt den Hof der Wiesners verlassen? "Bei einem Biohof dürfen die Tiere nicht angebunden sein, sondern müssen sich in einem Laufstall aufhalten", erklärt der 32-jährige Günther Wiesner, der im Juli 2018 mit der Umstellung auf Bio-Landwirtschaft begonnen hat. Umbaukosten in Höhe von 50- bis 60 000 Euro wären auf ihn, der im Bauhof der Stadt Marktheidenfeld beschäftigt ist und den Ackerbau im Nebenerwerb betreibt, zugekommen. "Das ist uninteressant für mich. Denn mit Tieren hat man einen Rund-um-die-Uhr-Job", weiß der Junior aus langjähriger Erfahrung.

Mit Umstellung auf Bio-Landwirtschaft begonnen

"Für mich hat das Leben begonnen, als ich nicht mehr melken musste", bekräftigt der Vater den Entschluss des Sohnes. Und das, obwohl Raimund Wiesner im Gespräch deutlich anzumerken ist, dass er die Tierhaltung und Landwirtschaft mit großer Leidenschaft betrieben hat. So standen in seinem Stall nur die traditionellen und keine Hochleistungs-Milchrassen, die etwa das Doppelte an Milch liefern. Seit jeher achtet er auch darauf, möglichst wenig Chemie einzusetzen. So hat er an seine Kühe kein Gen-Soja verfüttert, sondern nur Frischgras im Sommer sowie Gras-Silage, Heu und Futterrüben im Winter.

Und wo wird Franka nun landen, wenn sie der Lastwagen abgeholt hat? "Wahrscheinlich kommt sie nach Bamberg, da ist mittlerweile der nächste Schlachthof", erklärt Raimund Wiesner, der mit einem Preis von rund 1100 Euro für seine Franka rechnet. Denn auch in Sachen Transportweg für die Tiere hat sich im Laufe der Zeit einiges geändert. Kam das Vieh früher zum Schlachten in die örtliche Metzgerei Ullrich, wurde es später zum Schlachthof nach Würzburg transportiert. Inzwischen sind Bamberg oder Crailsheim die nächsten Annahmestellen.

Der Frage, ob denn beim Abschied auch ein bisschen Wehmut aufkommen wird, begegnet Raimund Wiesner mit einem nachdenklichen Schweigen. Sohn Günther zeigt sich pragmatisch: "Freilich ist es schade. Aber wenn es nicht mehr geht, geht es nicht mehr." Außerdem gebe es noch genügend Arbeit. Denn schließlich leben auf dem Hof der Wiesners auch noch vier Schweine, Schafe, Hühner, Enten und Tauben.

 
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Kommentare
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  • freigeist
    Mit tut die Kuh leid. Das Todesurteil ist schon gefällt, dann noch ein Abschiedsfoto. Man sollte ihr auf dem Foto noch einmal in die Augen schauen. Man sollte mit dem Schlachten und dem Fleischkonsum aufhören. Weil die meisten Menschen ihr Gewissen abgestumpft haben, wird es nicht besser für die Tiere.
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  • rainergaiss
    Kann man die Kuh nicht auf einem Gnadenhof unterbringen? Die hätte das, glaube ich, verdient.
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  • sauer.paul.nordheim.de@web.de
    Es ist sehr schade, dass es in Deutschland wohl bald keine kleinen oder mittleren landwirtschaftlichen Betriebe mehr geben wird.

    Das von der Politik und dem Bauernverband schon seit rund 40 Jahren gebetsmühlenartig gepredigte Motto "wachsen oder weichen" hat zur einer Industrialisierung der Landwirtschaft mit Massentierhaltung geführt. Diese ist eine der vielen Ursachen des Klimawandels.

    Die katastrophalen Folgen der Klimakrise sind schon heute vielerorts spürbar. Verantwortlich dafür ist eine Politik, die auf Konsumanreize setzt, immerwährendes Wachstum verspricht und die Welt ökonomisch in Gewinner und Verlierer spaltet. Für den Konsumrausch einer reichen Minderheit zahlen die Ärmsten den Preis.
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  • markmuen
    Naja, im Wesentlichen sind es ja die strengeren Auflagen, die kleine Betriebe zum Aufgeben zwingen. Große Betrieb tun sich da leichter, diese wirtschaftlich vertretbar umzusetzen. Die Verbraucher wollen für Ihre Bio-Ware nun mal nur Discounter-Preise zahlen.
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