Feuersalamander im Sommer, ein reichliches Angebot an Baumfrüchten und Pilzen im Herbst und bizarre Eiszapfen im Winter – die Triefensteiner Klingelbachschlucht hat zu jeder Jahreszeit etwas zu bieten. Jetzt im Frühling ist der Boden des bewaldeten Steilhangs nicht nur grün, sondern duftet auch würzig: Viele Feinschmecker kommen hierher, um den wild wachsenden Bärlauch zu ernten.
Landschaftsarchitekt Michael Maier aus Hasloch ist ausgewiesener Natur- und Landschaftsführer im Naturpark Spessart. Mehrmals im Jahr kommt er zur Schlucht, um Interessierten die Flora und Fauna zu erklären. Für ihn ist die bewaldete Landschaft am Hang mit ihren Felsen einmalig: „Ich kenne keinen anderen Flecken, wo es so viele verschiedene Bäume und Sträucher gibt“, sagt er.
Neben dem Bärlauch blühen jetzt im Frühjahr auch der lilafarbene oder weiße Lerchensporn und das Scharbockskraut mit seinen gelben, sternförmigen Blüten. Vereinzelt kann man wilde Schlüsselblumen und Wolfsmilchpflanzen entdecken. Die Blätter von Salomonssiegel, Brennnessel, Sauerampfer, Aronstab und Farn sprießen. Gab es in den vergangenen Jahren nur wenige Stellen, an denen die Einbeere wuchs, scheint sie sich mittlerweile stärker ausgebreitet zu haben, stellt Maier bei seinem Frühjahrsrundgang fest.
Pflanzen mit Heilkräften
Während der Naturführer Pflanzen bestimmt, weist er auch auf deren Heilkräfte hin: „Im Prinzip kann man fast alles essen.“ Nur leider würden sich die Menschen oft nicht trauen, Kräuter und Früchte aus der freien Natur zu verzehren. „Wir essen meistens Gekauftes und wissen nicht, was wir damit zu uns nehmen. Das ist viel gefährlicher“, sagt er.
Die Besitzer des seit 1992 als Naturdenkmal geschützten Gebietes greifen kaum in die Vegetation ein. Efeu und Waldreben nehmen Baumstämme ein, Farne und Sauerklee wachsen auf totem Holz. Kastanien, Hainbuchen, Eichen, Linden und verschiedene Ahornsorten gedeihen einträchtig neben wilden Kirschbäumen, Eiben und Douglasien.
Der vielfältige, alte Baumbestand ist vermutlich auf die ehemalige fürstliche Parkanlage zurückzuführen, von der jedoch kaum Details bekannt sind.
Vielleicht war das Gebiet um die Klingelbachschlucht (wird auch als Klingenbachschlucht bezeichnet) für unsere Vorfahren ein magischer Ort – Maier beschreibt es jedenfalls als solchen: Holundersträucher gelten als „Tor zur Unterwelt“; die Blütendolden und Beeren haben heilende Wirkung. Es wachsen Eschen, aus denen Druiden ihre Stöcke schnitzten. Märchen ranken sich um die Quellen und um Frau Holle zu Triefenstein, die so manchem vorbeiziehenden Handwerksburschen den Kopf verdrehte und einem bescheidenen Familienvater Goldmünzen für Essen und Medizin schenkte.
Um das 13. Jahrhundert herum regierten die Herren der „Neuenburg“. Strategisch gelegen am steil abfallenden Hang zum Main, mit Blick über das weitläufige Tal bis in den Spessart, gab es nur einen Zugang zu der befestigten Burganlage in Richtung Altfeld zu verteidigen. Wer genau hinschaut, erkennt noch Überreste, beispielsweise den Wehrgraben. Archäologische Untersuchungen 1989 ergaben Hinweise darauf, dass hier bereits rund 500 Jahre vor Christus eine Siedlung stand.
Maier hält es für wahrscheinlich, dass sich der Name des Gebietes um den Klingelbach aus dem alemannischen Wort „Klinga“ ableitet, das Schlucht bedeutet. Die Marktgemeinde Triefenstein, zu der Lengfurt, Homburg, Rettersheim und Trennfeld gehören, verdankt ihren Namen dem ganzjährig „triefenden Stein“, einem großen Felsen, an dem Wasser herabrieselt.
Unmittelbar an den Wald schließt sich das Kloster an. Es wurde 1102 als Augustiner Chorherrenstift gegründet. Im Jahr 1803 löste man es im Zuge der Säkularisation auf und es gelangte in den Besitz der Fürsten von Löwenstein, die es 1986 an die evangelische Christusträger Bruderschaft verkauften.
Die sieben Schluchten
In den Buntsandstein entlang des Maines haben sich im Laufe der Jahre insgesamt sieben Schluchten gegraben. Die größte birgt besonders für Kinder eine aufregende Kletterpartie über schmale Pfade und Steinblöcke. Mit festem Schuhwerk und etwas Geschick lässt sich der Wasserfall erobern. Bevor das Nass hier ankommt, fließt es durch den Lössboden von Altfeld und Rettersheim.
Rechter Hand rieselt kalkhaltiges Wasser in das Buntsandsteinbett des Bachlaufs. Es stammt aus dem Quellgebiet des Bocksbergs bei Rettersheim, einer Muschelkalkerhebung. Durch die kaskadenartigen Kalk-Sinterablagerungen und das Moos „wächst“ der Felsen aufwärts. Dies ist eine Seltenheit für die Spessartregion.
Neben vielen Bäumen, Sträuchern und Heilpflanzen gibt es in der nahezu unberührten Natur auch eine Artenvielfalt an Vögeln, Eichhörnchen, Schmetterlingen, Käfer, Libellen, Raupen oder Ameisen zu entdecken.
Weitere Führungen
Natur- und Landschaftsführer Michael Maier bietet im Rahmen des Programms „Naturpark Spessart“ weitere Führungen: Wanderung im Naturschutzgebiet „Homburger Kallmuth“ am Donnerstag, 22. Mai, ab 17.30 Uhr und Sammlung von Kräuterbüschel und Würzbürde am Donnerstag, 24. Juli, ab 17.30 Uhr. Anmeldung ist jeweils erforderlich unter Tel. (0 93 42) 91 55 82. Weitere Informationen: www.naturpark-spessart.de/
Die Klingelbachschlucht kann auch ohne Führung begangen werden; eine schöne Wanderroute bietet beispielsweise der rechtsmainische Triefensteiner Kulturwanderweg.