Jeden Freitag läuft die 86-jährige Christel Feige ihren Weg von der Lohrer Altstadt zur Spessarttorhalle, um dort für 90 Minuten am Training der Herzsportgruppe Lohr teilzunehmen – seit 22 Jahren. Die gewitzte Lohrerin erlitt 1995 einen Herzinfarkt und wurde nach der Rehabilitationsmaßnahme an die Herzsportgruppe überwiesen. Es gibt einen Grund für diese Ausdauer, wie die rüstige Seniorin, die zu den ältesten Teilnehmern zählt, preisgibt: „Jeder hier hat sein Malheur. Keiner schimpft über den anderen, wir halten alle zusammen“. Zudem zählt die Rehabilitationssportgruppe zu ihrem festen Freizeitprogramm: „Irgendwas muss man ja tun. Ich kann doch nicht immer eine Stricknadel in der Hand halten“.
Wie Christel Feige ist allen, zur Zeit 56 Teilnehmern, das Gemeinschaftsgefühl wichtig. „Es gibt hier einen Zusammenhalt. Wir haben alle ähnliche Erkrankungen und ich bin nicht alleine“ berichtet auch der 70jährige Norbert Ebert aus Neuendorf, der ebenso nach einem Herzinfarkt seit einem halben Jahr regelmäßig die Gruppe besucht.
Am heutigen Freitag haben sich 30 Mitglieder eingefunden um zu Beginn der Aufwärmphase ihren Pulsschlag zu überprüfen. Jeder Teilnehmer hat eine spezielle Uhr, die während den Übungen die Herzfrequenz misst.
Dr. Margitta Grunewald, die als Ärztin die Herzsportgruppe betreut, berichtet, dass jeder Patient seine Übungen nach dem individuellen Belastungspuls, der sich aus einem Elektrokardiogramm (EKG) ergibt, richten muss. Darauf werden die Pulsuhren eingestellt und schlagen Alarm, wenn dieser unter- oder überschritten wird.
Dann schreitet die Ärztin ein, die während des 90 minütigen Trainings ein wachsames Auge auf die Sportler wirft. Sie steht den Patienten für Fragen zur Verfügung und teilt diese in verschiedene Belastungsgruppen ein, die sich aus den Entlassbriefen der Reha ergeben.
Seit vier Jahren ist Grunewald dabei und übernahm damit nicht nur die medizinische Verantwortung der Probanden ihres Vorgängers Dr. Gerd Johnson, sondern auch gleich den Vorsitz im Verein. „Ich wollte eine Aufgabe nach der Rente“, sagt Grunewald, die zuletzt als Ärztin im Bezirkskrankenhaus tätig war und Sinn in dieser ehrenamtlichen Aufgabe erkannte. „Hier werde ich noch als Ärztin gebraucht“ freut sie sich und zitiert höflich und mit Späßen einen Herren zum Messen des Blutdrucks zu sich auf die Seite. Die Werte der neuen Patienten werden eng überwacht und dokumentiert. Den Teilnehmern Sicherheit im Umgang mit ihrer Erkrankung zu vermitteln, ist Margitta Grunewald und den insgesamt sechs betreuenden Übungsleitern sehr wichtig.
„In unserer Gruppe ist noch nie etwas passiert“, berichtet die Fachübungsleiterin und Ansprechpartnerin Renate Seidel stolz, die seit der Gründung der Reha-Sportgemeinschaft Lohr 1985 für die Abteilung Herzsport zuständig ist. Dafür muss sie mit den weiteren Fachübungsleitern auch alle zwei Jahre ihre Lizenz bei Seminaren auffrischen, um immer auf dem neuesten Stand zu bleiben.
Die jüngsten Patienten sind Mitte 40, die ältesten Mitte 80 weiß Seidel. Alle vereint eine Herzerkrankung. Das kann ein Infarkt, ein Bypass oder eine Verengung sein. Nach dem Krankenhaus geht es auf die Reha, von der die Verordnung der Krankenkasse, am Herzsport teilzunehmen, erfolgt, erklärt Seidel das Procedere. „Wir sind hier ein Team, das ist für die Kameradschaft sehr wichtig“ erörtert die engagierte Übungsleiterin und verweist auch auf einige außersportliche Zusammenkünfte wie eine Weihnachtsfeier und Sommerfeste.
Der Spaß der Teilnehmer ist deutlich zu spüren, als die Patienten zusammen einen großen bunten Fallschirm an den Rändern halten, sich mit diesem im Kreis bewegen und Petzibälle darauf jonglieren. Die betreuende Übungsleiterin Sabine Kreckel fordert ihre Gruppe auf, unter dem Fallschirm hindurch zu laufen: „Jetzt alle Fußballfans“, „Jetzt alle über 70 Jahre“ und „Jetzt alle mit Herzerkrankungen“. Allgemeines Gelächter bricht unter den Teilnehmern aus. Die Stimmung in der Turnhalle ist gut. Sabine Kreckel versteht es ihre Leute zu motivieren.
Mit sanfter Stimme und einem steten Lächeln im Gesicht führt sie durch das Aufwärmprogramm, ehe sich die Patienten in verschiedene Gruppen aufteilen. Eine davon übernimmt Arno Schmitt, ebenfalls Übungsleiter. Die Probanden absolvieren ein Zirkeltraining und trainieren mit Bällen. Auch hier heißt es nach den Übungen den Pulsschlag zu kontrollieren. Alle stehen im Kreis und Schmitt gibt das Kommando 15 Sekunden den Herzschlages zu zählen. „Jetzt mit vier multiplizieren, meine Damen und meine Herren. Sind alle im Sollbereich?“ fragt er in die Runde, die sich anschließend zur Entspannung, mal mit einer Klangschale, mal mittels einer Geschichte, in einen ruhigen Raum zurückzieht.
Alle gehen sehr nett miteinander um und haben sich teilweise auch privat angefreundet. „Ich bin aus Liebe zu meiner Frau dabei“ berichtet der 56-jährige Manfred Hühner aus Neustadt. Seine Frau Magdalena hatte vor wenigen Monaten einen gefährlichen Aortenriss, die Operation gestaltete sich als äußerst riskant. Mit Ängsten startete die 54 Jahre alte Frau in der Herzsportgruppe. Nach nur wenigen Wochen, kennt sie ihren Körper genau. Sie weiß, wie weit sie sich belasten kann und fühlt sich wieder besser. „Und bei meinem Übergewicht kann das auch nicht schaden“ weiß Ehemann Manfred, der seine Teilnahme selber finanziert. Als Mitglied im Verein kommt das 90 minütige Training auf etwa fünf Euro pro Abend. Ein geringer Beitrag für Fitness und Fröhlichkeit.
Während Renate Seidel das Inventar des Vereins, das aus Bällen, Matten, Seilen, aber auch aus einem Defibrillator besteht und größtenteils durch Spendengelder finanziert werden muss vorstellt, kommt Christel Feige aus der Entspannung zurück. Die nette Ur- Lohrerin, wie sie sich ausgibt, schäkert mit den Betreuern und Teilnehmern und verkündet grinsend: „Jetzt nehme ich zu Hause gleich wieder meine Stricknadeln in die Hand, bin ja jetzt entspannt!“.