
„Der Schwan auf dem Schlosssee ist gestorben.“ Kein gutes Omen für den alten Grafen. Mit ihm, Philipp III. von Rieneck, ging nun 1559 die Grafschaft zu Ende. Gänzlich sollten Name, Wappen und Helmzier aber nicht aus der Geschichte verschwinden: Philipp hatte dafür gesorgt, dass die Grafen von Hanau sie weiterführen durften. Einst hatte dieses Geschlecht in die rieneckische Familie eingeheiratet; 250 Jahre lang hatte man mehr miteinander gestritten, als dass man zusammengearbeitet hätte, selbst darüber, wer einen ganzen und wer einen halben Schwan als Helmzier führen durfte.
Um 1275 sah es noch so aus, als ob die Rienecker die Herren des ganzen Spessarts werden könnten, aber dann gehen Kämpfe mit den Erzbischöfen von Mainz verloren. 1333 stirbt Ludwig aus der Linie Rieneck-Rothenfels ohne männliche Erben. Schon vorher war die Gesamtgrafschaft zwischen ihm und der Lohr-Grünsfelder Linie geteilt worden, und zudem wollte der Rothenfelser die Hanauer zu seinen Erben machen. Diesen Plan ändert er zwar, als ihm endlich eine Tochter geboren wird, was die Hanauer freilich nicht akzeptieren wollen.

Nach 1333 ziehen sich die Streitigkeiten in militärischer wie in juristischer Form über Jahrzehnte hin; schließlich gehen weite Teile des rieneck-rothenfelsischen Besitzes verloren. Gewinner sind das Erzstift Mainz, das Hochstift Würzburg und die Hanauer. Es ist nicht geglückt, was das Hauptziel der Territorialpolitik war: eine zusammenhängende Grafschaft zu schaffen.
Mit dem Ende des 14. Jahrhundert ist ein wesentlicher Abschnitt erreicht, die künftige Politik der Rienecker kann nur noch von relativ bescheidenen Grundlagen ausgehen. Zwar verbleiben dem Geschlecht noch rund 150 Jahre, doch „große Sprünge“ sind nicht mehr zu machen. Zeitweise erhält man Rothenfels verpfändet, zeitweise Burg, Amt und Stadt Gemünden, Burg Saaleck und die Stadt Hammelburg. Dies sind jedoch keine Erweiterungen der Herrschaft mehr, sondern Geldanlageobjekte und Einnahmequellen, von vornherein zeitlich befristet.
Am 1. März 1431 erscheint Rieneck unter den Grafen und Herren, die zum Hussitenzug aufgerufen werden. Rieneck soll fünf bewaffnete Reiter stellen; ein Vergleich mit den Kontingenten anderer Herrschaften vermittelt einen Eindruck vom Stellenwert der Grafschaft: Wertheim muss ebenfalls fünf Reiter stellen, Büdingen elf, Hanau zwölf, Eppstein fünf, Mainz 200, Würzburg 80, Nassau zehn, Heinsberg 30. Die bescheidene Größe der Grafschaft wird damit gut dokumentiert.
Streit zwischen Philipp I und Philipp II
Unter den Söhnen des Grafen Thomas II. (gest. 1431), Philipp I. d. Ä. und Philipp II. d. J., beginnt nun aber die Phase, die fast zielgerichtet zum Ende der Grafschaft führt. Der jüngere Sohn war anfangs zum Geistlichen bestimmt worden, um die Einheit des Territoriums zu sichern. Philipp d. Ä. besitzt aber „nur“ eine einzige Tochter, Dorothea, und er befürchtet das Aussterben des rieneckischen Hauses. So schließt er 1454 mit seinem Bruder einen Vertrag, der unter anderem bestimmt: Philipp d. J. soll in den Laienstand zurücktreten und mit ihm gemeinschaftlich regieren; hat d. Ä. innerhalb von acht Jahren keine Söhne, soll d. J. heiraten. Hat d. Ä. Söhne, soll d. J. nicht heiraten, aber in der Regierung verbleiben. Stirbt Amalia, die Frau Philipps d. Ä., innerhalb der acht Jahre, soll d. Ä. nicht mehr eine neue Ehe eingehen, d. J. hat dazu aber die Erlaubnis.
Philipp d. J. wird also wieder weltlich, doch kommt es bald zu Streitigkeiten zwischen den Brüdern. 1460 wird festgestellt, dass sie die Grafschaft geteilt hatten, dies aber höchst schädlich gewesen sei und sie nun zur gemeinsamen Regierung zurückkehren wollten. Philipp d. J. erhält dafür die Erlaubnis, sich zu einem beliebigen Zeitpunkt zu verheiraten. Er beschließt, dies sofort zu tun und heiratet Margarethe von Eppstein-Königstein. Wichtigster Vertragspunkt der beiden Brüder war aber: hinterlässt einer von ihnen nur weibliche Nachkommen, so haben diese keine Anrechte auf die Grafschaft Rieneck.

Die nochmals versuchte gemeinschaftliche Regierung scheitert jedoch wieder, 1462/63 werden wieder Teilungsverträge errichtet. Philipp d. Ä. erhält, grob gesprochen, den Grünsfelder Teil mit Wildenstein, der Jüngere den Lohrer Teil. Partiell handeln die Brüder gemeinsam, doch wird immer wieder deutlich, dass sie sich nicht gut verstehen.
Der Ältere bemüht sich nun, seinem Bruder nichts zukommen zu lassen. 1467 schließt er für seine Tochter Dorothea die Heiratsabrede mit Friedrich V., Landgraf von Leuchtenberg (Oberpfalz). Entgegen den früheren Verträgen verspricht er, dass Dorothea nach seinem Tod seinen Teil der Grafschaft erben soll, wofür sie kein Heiratsgeld erhält. Die Zimmersche Chronik bemerkt sarkastisch: "Hat landtgraf Friderrich ein grefin von reineck verheirat, war ein ainzige dochter; die bracht im die herrschaft Grunsfeldt und sonst groß guet zu. Das half im wol wider in satel." Der Leuchtenberger war nämlich ziemlich verschuldet.
Das Ende der Grafschaft: Teil 1
Was Philipp zu diesem entscheidenden Schritt bewogen hat, ist nicht ganz zu klären. Abneigung gegen den Bruder, Liebe zur eigenen Tochter, Aufbau einer eigenen Dynastie – diese und wohl noch mehr Faktoren sind zueinandergekommen. 1486 übergibt Philipp die Grafschaft an Tochter und Schwiegersohn. Seit Jahren muss sein Bruder darauf gewartet haben. Den Ehevertrag konnte er nicht anfechten, denn dies lag außerhalb seiner Kompetenz, jetzt versucht er aber mit allen Mitteln, diesen Erbgang für ungültig erklären zu lassen.
Doch die jahrelangen Auseinandersetzungen führen nur zu einem Ergebnis: Rieneck geht fast leer aus, Grünsfeld und die dazugehörigen Besitzungen werden von Dorothea an Würzburg zu Lehen aufgetragen, um so einen mächtigen Schutzherrn zu gewinnen; nur Wildenstein kann man halten. Auch die Versuche von Philipps d. J. Sohn Reinhard bleiben erfolglos. Es ist eine Zeit, in der jeder auch um den kleinsten Besitz kämpft, jeder seine Rechte - oder was er dafür hält – gegen den anderen verteidigt und sich dabei nicht selten ins eigene Fleisch schneidet.
Das Ende der Grafschaft: Teil 2
Als Reinhard 1519 stirbt, ist sein Sohn Philipp III. gerade 14 Jahre alt. Mehr noch als sein Vater verstrickt er sich in Prozesse und ist doch meist der Unterlegene. Im Gegensatz zu seinem Vater und seinem Großvater scheint er allerdings von tätlichen Auseinandersetzungen wenig zu halten. Bezeichnend für ihn ist seine einzige größere Erwerbung: Nach der teilweisen Zerstörung des seit Jahrhunderten mit den Rieneckern verbundenen Klosters Schönrain am Main im Bauernkrieg 1525 kauft er die Gebäude auf und wandelt sie in eine Art Sommerresidenz um.

Philipp lebt in Wohlstand, aber nicht in Luxus; er regiert die Grafschaft gut, gibt aber gegen Ende seines Lebens oft weit mehr aus, als er einnimmt. Der Grund dafür ist: Er und seine Frau Margarethe von Erbach besitzen keine Kinder. Sehr intensiv setzt er sich für die neue Bewegung der Zeit ein, für die Reformation, und in einem langwierigen und höchst interessanten Prozess führt er sie in seiner Grafschaft durch. Aber er erkennt genau, dass gerade jetzt, im Zeitalter der Entdeckungen, der Wandlungen auf vielen Gebieten, die große Zeit der Grafschaft Rieneck endgültig vorbei ist. In melancholischen Worten verkündet sein Epitaph in der Pfarrkirche zu Lohr 1559 seinen Tod und das Ende der Grafschaft:
DER WOLGEBORN HER PHILIPS GRAFF ZV RIENECK STARB IM IAR CHRISTI M CCCCCLVIIII DEN III SEPTEMPRIS SEINES ALTERS IM LV IAR SEINER REGIERVNG IM XXXXI IAR VND HAT MIT DER WOLGEBORNEN FRAVEN MARGARETHEN GREVIN ZV ERPACH XXXVI IAR IN DER EHE GELEBT IST ON KINDER ABGESTORBEN VND DER LETST IN SEINEM GESHLECHT GEWESEN
Die Grafschaft wird nun unter die Erben aufgeteilt, unter die Isenburger, die Hanauer, Erbach, Mainz und Würzburg. Die Auseinandersetzungen sind langwierig und oft recht unerfreulich, besonders für Margarethe. Sie zieht sich schließlich auf Schönrain zurück, wo sie am 8. August 1574 stirbt. Die Erben sind zu knickrig, um ihr ein ordentliches Grabmal zu setzen: Es bleibt ihr nur eine kleine Grabplatte in der Lohrer Kirche. Der Hauptteil der Grafschaft, das sind alle Passivlehen von Mainz und die rieneckischen Aktivlehen, fallen 1559 an das Erzstift heim, und ins Lohrer Schloss zieht ein mainzischer (Ober-)Amtmann.
Bis zu ihrem eigenen Aussterben 1736 führten die Hanauer das Andenken an die Rienecker weiter. Ein Teil der ehemaligen Grafschaft wird 1673 März 14 von Kurmainz an Johann Hartwig von Nostitz (Nostiz), Oberstkanzler des Königreichs Böhmen, verkauft, der hierdurch die Reichsgrafenwürde erlangt. Seither erscheint auch die „Grafschaft Rieneck“ wieder auf Karten. 1807 wird sie vom Fürstprimas Carl Theodor von Dalberg aufgekauft, der in der Rheinbundakte schon die Souveränitätsrechte erhalten hatte. Sein Fürstentum Aschaffenburg fällt 1814 an Bayern.
Zum Autor: Dr. Theodor Ruf ist Kreisheimatpfleger für den Altlandkreis Lohr, er schrieb zahlreiche Beiträge zur Geschichte der Region Main-Spessart. Seine Dissertation verfasste der Historiker über die „Die Grafen von Rieneck“.