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Karlstadt
Die Frauen, die für echte Spitze zuständig sind
Wer kann heute noch mit spindelförmigen Holzspulen und Garn feine Spitzen machen? Alle, die in Karlstadt im Kurs von Hermine Schwager waren. Ein Besuch.
Feine Spitze! Echte Könnerinnen klöppeln mit bis zu 100 Klöppeln - Meisterinnen gar mit bis zu 200. 
Foto: Thinkstock | Feine Spitze! Echte Könnerinnen klöppeln mit bis zu 100 Klöppeln - Meisterinnen gar mit bis zu 200. 
Pat Christ
Pat Christ
 |  aktualisiert: 20.05.2019 02:11 Uhr

Frauen, die vom Klöppeln leben? In den Abruzzen gibt es sie heute tatsächlich immer noch. "Auch in Spanien und Portugal", sagt Hermine Schwager. Hierzulande aber sind professionelle Klöpplerinnen, die vom Spitzenverkauf leben könnten, längst ausgestorben. Als Freizeitvergnügen ist die alte Technik neuerlich indes wieder en vogue. "Ich könnte noch viel mehr Kurse geben, wenn ich mehr Zeit hätte", sagt Hermine Schwager, leidenschaftliche Handarbeiterin aus Eschau im Kreis Miltenberg. , die seit mehr als 30 Jahren klöppelt.

Sie selbst klöppelt seit mehr als 30 Jahren. Feuer fing sie durch ihre Schwiegermutter, die aus dem Sudetenland stammte. Ein Faible für Handarbeiten hatte Hermine Schwager schon gehabt. In der früheren Berufsfachschule in Wörth am Main unterrichtete sie textiles Gestalten.

In den 1980er Jahren zeigte ihr die Schwiegermutter dann, wie man klöppelt: "Damals war ich bei meinen drei Kindern zu Hause, ich hatte also etwas mehr Zeit." Das Eintauchen in die Geheimnisse des Klöppelns begann mit einem Klöppelkissen: "Das stopften wir mit dem ‚Grummet' genannten, zweiten Schnitt Heu." Mit wenigen Klöppelpaaren fing Schwager an. Heute ist sie mühelos imstande, 100 Klöppel zu drehen und zu kreuzen. Das zeugt von großer Kunstfertigkeit. Wobei es Klöppelmeisterinnen gibt, die ihre Fäden mit mehr als 200 Klöppel verschlingen.

Was für Könner, die den Durchblick behalten. 
Foto: Thinkstock | Was für Könner, die den Durchblick behalten. 

Das Klöppeln bereitete Schwager so viel Vergnügen, dass sie sich in die Materie vertiefte, unterschiedliche Techniken erlernte und  1994 beim Deutschen Klöppelverband eine Ausbildung zur Kursleiterin absolvierte. Einfach sei das nicht gewesen. Ähnlich wie Schüler, die Vokabeln pauken, musste Schwager Spitzenarten lernen.

Denn Spitze ist keineswegs gleich Spitze. Da gibt es die durch geometrische Motive gekennzeichnete Torchon-Spitze, die gern für Decken oder Läufer verwendet wird. Es gibt die "Cluny-Spitze", die ihren Ursprung im gleichnamigen französischen Kloster haben soll. Und die "Chantilly-Spitze", deren Charakteristikum florale Motive sind und die meist aus schwarzer Seide hergestellt wird.

Die Muster der Spitzen finden sich in sogenannten Klöppelbriefen. Die haben für Klöpplerinnen dieselbe Bedeutung wie Architektenpläne für Bauleute. Mit Stecknadeln werden die Klöppelbriefe unter dem zu klöppelnden Werk befestigt. Während ihrer Ausbildung, erzählt Hermine Schwager, musste sie drei verschiedene Spitzen entwerfen und dazu Klöppelbriefe schreiben.

Inzwischen bietet die 69-Jährige fast monatlich in Karlstadt einen vom Bezirk Unterfranken organisierten Klöppel- und Weißstickereikurs an. Der dauert jeweils einen kompletten Tag. Mit dabei sind Frauen aus der ganzen Region, die gerne gemeinsam handarbeiten.

Anfänger lernen im Kurs in Karlstadt erst einmal, mit zwei Klöppelpaaren zurechtzukommen.
Foto: Pat Christ | Anfänger lernen im Kurs in Karlstadt erst einmal, mit zwei Klöppelpaaren zurechtzukommen.

Wie Helga Weber. Die 71-Jährige stickt, strickt, häkelt und macht Makramee-Arbeiten: "Doch", sagt sie, "das Klöppeln ist mit all dem nicht zu vergleichen." Stricken zum Beispiel könne man mühelos beim Fernsehen, die Hände leisten da automatisch ihren Dienst. Beim Häkeln müsse man schon öfter auf die Maschen gucken. "Beim Klöppeln braucht es die volle Konzentration", sagt die pensionierte Sonderschullehrerin.

"Beim Klöppeln braucht es volle Konzentration." 
Helga Weber im Klöppelkurs des Bezirks Unterfranken 

Vor allem ist Geduld vonnöten. Die Klöppel-Werke wachsen im Schneckentempo. Je komplizierter und filigraner ein Spitzenmuster, umso mehr Zeit muss braucht das Klöppeln. Brigitta Jüls, die ein wenig abseits von den anderen Frauen in einer Fensternische vor ihrer Klöppelrolle sitzt, ist gerade mit einer solch aufwändigen Arbeit beschäftigt.

Aus jeansblauem Leinengarn möchte die 78-Jährige zwei jeweils 1,55 Meter lange Spitzenbänder anfertigen, die später quer über ihrem Wohnzimmertisch liegen sollen. Ein Band ist fertig, die  ehemalige Schulsekretärin brauchte dafür eineinhalb Jahre. Seit Ende 2018 sitzt Brigitta Jüls jetzt am zweiten Band. Mit Dutzenden Nadeln sind die Fäden für dieses Torchonspitzen-Kunstwerk auf der Rolle festgesteckt.

Diese Klöppel hat Brigitta Jüls von ihrer Mutter geerbt, sie stammen aus den Dreißigerjahren.
Foto: Pat Christ | Diese Klöppel hat Brigitta Jüls von ihrer Mutter geerbt, sie stammen aus den Dreißigerjahren.

42 Klöppelpaare hat Jüls im Einsatz. "Hören Sie mal, wie die klingen", sagt die Karlstadterin. "Ganz anders, als die Klöppel, die man heute bekommt." In der Tat: Jüls geschichtsträchtigen Klöppel klackern auffallend hell. Jüls Mutter hatte sie der Tochter vererbt: "Sie wurden wahrscheinlich in den 1930er Jahren produziert."

"Sie hat uns regelrecht eingeklöppelt."
Brigitta Jüls über die Handarbeiten ihrer Mutter

Die Mutter sei eine leidenschaftliche Klöpplerin gewesen. Einst zum Leidwesen ihrer Kinder: "Sie hat uns regelrecht eingeklöppelt", sagt Jüls schmunzelnd. Berge von Klöppelware stapelten sich daheim, denn die Mutter produzierte nicht nur für den Eigenbedarf: "Sondern für die Amerikaner." Das kam der Tochter bei der Kommunion zugute. Damals, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, konnten die wenigsten Familien ihre Kommunionkinder prächtig ausstatten. Doch die kleine Brigitta durfte, dank der Einnahmen aus dem Verkauf der Klöppelarbeiten, im schneeweißen Kleid zur Erstkommunion. Mit Kerze und allem Drum und Dran.

Am über 1,50 Meter langen Spitzenband für den Wohnzimmertisch klöppelt Brigitta Jüls länger als ein Jahr.
Foto: Pat Christ | Am über 1,50 Meter langen Spitzenband für den Wohnzimmertisch klöppelt Brigitta Jüls länger als ein Jahr.

Erst sehr viel später, als sie selbst schon Familie hatte, ließ sich Jüls von der Mutter in die Geheimnisse des Klöppelns einweihen. Die alte Dame kam mit dem Zug angereist, um der Tochter die Grundbegriffe beizubringen. Ein Spitzenrand sollte um ein Taschentuch geklöppelt werden: "Am Abend verabschiedete sie sich und meinte, beim nächsten Mal würde sie mir zeigen, wie man Ecken klöppelt." Dazu sei es jedoch nie gekommen: Auf dem Heimweg erlitt die Mutter einen Herzanfall und starb.

Anfänger, die sehen, was Brigitta Jüls klöppelt, geht durch den Kopf: Das lerne ich nie! Doch Hermine Schwagers Kurse sind so angelegt, dass jeder Teilnehmer schon beim ersten Mal mit einem eigenen, kleinen Kunstwerk nach Hause geht. "Ich habe als erstes dieses Lesezeichen angefertigt", zeigt Helga Weber aus Lohr, deren Kinder ihr vor fünf Jahren den Kurs bei Hermine Schwager zum Geburtstag schenkten.

In ihren Kursen bringt Schwager den Frauen - und vereinzelten Männern - nicht nur Techniken bei. Die Teilnehmer erfahren auch, welche Spitzenarten es gibt und womit geklöppelt werden kann. Garn in verschiedenen Farben und Stärken ist das am weitesten verbreitete Material. "Doch man kann auch mit Papierstreifen, dünnem Leder oder Draht klöppeln." Besonders exquisite Klöppelkunstwerke sind aus Gold- oder Silberfäden gemacht. Paramente, also Textilien, die in der Liturgie verwendet werden, wie Messgewänder, Stolen, Chorröcke oder Tuniken, sind häufig mit kostbarer, geklöppelter Goldspitze verziert.

Handarbeitsseminar des Bezirks Unterfranken: Den Kurs "Weißstickerei und Klöppeln"gibt es wieder an den Samstagen 1. Juni, 29. Juni und 20. Juli, jeweils von 9.30 bis ca. 15 Uhr. Veranstaltungsort ist im Pfarrheim St. Maria, Kirchplatz 16, in Karlstadt. Mitzubringen sind für die Weißstickerei Näh- u. Stecknadeln, Nähgarn, gut schneidende Stoffschere, Handmaß (L. bis 20 cm, aus festem Kunststoff), Pfeiltrenner, Notizheft und Schreibzeug. Stickgarn und Leinen bringt Kursleiterin Hermine Schwager. Für Klöppeln braucht es 1 Klöppelrolle, 1 Klöppelständer (Tisch- oder Bodenständer), ca. 6 Paar Hülsenklöppel, Stecknadeln, Schere, Kleber, Maßband, Häkelnadel Nr. 0,7 – 1. Das Klöppelzubehör kann bei Bedarf nach telefonischer Rücksprache mit der Kursleiterin gegen Leihgebühr ausgeliehen werden. Teilnahmegebühr 10 €, zuzüglich Materialkosten. Infos bei Hermine Schwager, Tel. 093 74 / 29 67. Anmeldung bei Elisabeth Erdmann, Tel. 093 53 / 88 30. 

 
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