zurück
NEUSTADT AM MAIN
Die Detektivin in der Kittelschürze
Gastwirtin-Original „Die Emmy“ war eine Institution. Nun ist ihr Berggasthof Pfalzbrunnen zu. 51 Jahre lang war Emma Struppe dort tätig. Unglaublich, was sie zu erzählen hat.
Da ging's hoch zur Emmy: 400 Meter die Pfalzbrunnenstraße hinauf, 50 Meter über dem Maintal, liegt der Berggasthof Zum Pfalzbrunnen, der seit Jahresanfang geschlossen hat.
Foto: Roland Pleier | Da ging's hoch zur Emmy: 400 Meter die Pfalzbrunnenstraße hinauf, 50 Meter über dem Maintal, liegt der Berggasthof Zum Pfalzbrunnen, der seit Jahresanfang geschlossen hat.
Roland Pleier
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:21 Uhr

Die weiße Kittelschürze zieht sie immer noch an, einen braunen Schurz drüber gebunden. „Damit die Arbeit nicht so nah an mich kommt“, scherzt sie und setzt sich an den Tisch gleich neben dem Tresen. Dabei möchte man meinen, sie hat nichts mehr zu arbeiten. Denn der Berggasthof „Zum Pfalzbrunnen“ hat seit Jahresanfang zu. Emma Struppe hat Schluss gemacht – nach 51 Jahren am höchsten Punkt der Neustadter Siedlung.

Es ist nicht selten so, dass sie erst einmal flunkert, taktiert mit ihren Sprüchen und Antworten. „Ich fühl mich auch wohl in der Schürze“, schiebt die 81-Jährige dann ernsthaft hinterher. Kein Wunder: „Die Emmy“, wie sie alle nennen, ist praktisch mit diesem Kleidungsstück groß geworden.

Die Spätwintersonne lugt unter den Rollläden hindurch, zeichnet einen schrägen Schatten an die holzgetäfelte Wand im Gastraum. Der ist wie immer, unverändert. Nur leer. Die Jalousien hat sie hochgezogen wegen der Blumentöpfe, die sie am Fensterbrett aufgereiht hat. Nach Wochen des Wartens endlich hat sie sich breit schlagen lassen für ein Interview.

Berge von Unterlagen gesichtet und sortiert

Davor hatte sie noch unendlich viel zu tun: 51 Jahre Wirtschaft abwickeln. „Es muss ja alles durchgeguckt werden“, stöhnt sie. „Ich hab jetzt schon 20 Ordner, von 1980 bis 2000, die hab ich jetzt scho all sortiert. Ich hab' draußen noch zwei Wannen voll steh'. Die müssen noch g'schredderd werden. Sie könne sich vorstellen, was ich da 14 Dooch, drei Woche nur mit dem Mist gemacht hab. Ich kann sie scho nicht mehr seh.“

Da kommt der Blick in die Vergangenheit ganz recht. Wobei: Als Tochter des Engelwirts kann oder will sie von der Kindheit und Jugend nicht viel erzählen, „weil ich hab dahemm im elterlichen Betrieb viel müsse arbeit'“, sagt sie. Die Mutter war mit 51 Jahren gestorben, als sie ein Teenager war. „Da musst ich zur Hand geh'n.“ Da kam es schon mal vor, dass sie am Montagmorgen in der Schule eingenickt ist. „Und wenn sie auch schläft, sie gibt immer richtige Antwort“, zeigte der Lehrer Verständnis. Dafür hat er sie „im Rechnen durch und durch gemacht“. Deswegen rechnet sie heut' noch viel im Kopf. „Ich brauch kein' Taschenrechner. In der Beziehung bin ich firm“, sagt sie selbstbewusst.

Anzeige für den Anbieter YouTube über den Consent-Anbieter verweigert

Acht Jahre Bedienung in einer Gaststätte in Frankfurt

Rechnen musste sie ein Leben lang. Vier Jahre half sie im väterlichen Engel mit, acht Jahre dann war sie Bedienung beim Wirtsehepaar Bommesheim in einer Gaststätte am Frankfurter Südbahnhof, die sie sogar mit in Urlaub nahmen. So kam sie damals schon zum Führerschein: Damit sie ihren Chef als Fahrer ablösen konnte.

Dieweil ging's mit dem Engel bergab. 1963 musste der Vater verkaufen. Die Gemeinde erwarb den Gasthof, gab ihn dann später an den jetzigen Eigentümer weiter, der die Gaststätte nebst Fremdenzimmer seit gut drei Jahren an das Landratsamt vermietet hat als Flüchtlingsunterkunft. Kein schönes Kapitel für Emmy. Zu erben gab's nichts. Als sie mit 28 nach Lohr zurückkehrte, hatte sie immerhin so viel gespart, dass es für einen Bauplatz in der Neustadter Siedlung gereicht hat, wie sich herausstellen sollte.

Sie landete bei Rexroth. „Ich hab nach Arbeit geguckt – mein Mann hat nach einer Frau“, bringt sie auf den Punkt, was dann passierte. Er, Georg Struppe, ein Heimatvertriebener aus dem Egerland, fuhr mit sogenannten „Ameisen“ (Hubwagen) „das Zeug im Hof hin und her“, sie arbeitete in der Kantine und im Kiosk, wo er Brotzeit holte. „Auf einmal hat's halt gefunkt irgendwie“, schmunzelt Emmy. „Es musst' so sei. Ich konnt' meinem Schicksal nicht aus dem Weg geh'n.“

Eigentlich war statt des Gasthofs nur ein Wohnhaus geplant

1966, ein Schlüsseljahr. Im Januar Hochzeit, Geburt des ersten Sohnes, Bau und Eröffnung des Gasthofs. Eigentlich war nur ein Wohnhaus geplant. Doch da es damals in der Siedlung einen regelrechten Ferienwohnungsboom gab, disponierten die Struppes um. „Da warn ja als 100 Fremde in der Siedlung gewohnt, privat überall.“ Und die wollte man nicht zum Essen ins Dorf schicken.

Wieder musste Emmy viel rechnen. Es war ein Start mit leeren Taschen. „Er hat ja auch nix g'habt von zuhaus'“, verdeutlicht sie. Einen Wäschekorb habe ihr Mann angeschleppt, darin sein Bettzeug und von der Mutter gestrickte Strümpfe. „Er war ja eines von zehn Kindern – Sie können sich vorstellen, dass da kein Kapital da war.“ Emmy schnauft kurz durch. „Was da steht“, blickt sie durchs Fenster aufs Nachbarhaus, „haben wir alles mit uns're Händ' gemacht.“

Und mit Hilfe der Brauerei Faust. Bei sieben Brauereien habe sie vorgesprochen. Faust sei die achte gewesen. Das gewährte Darlehen habe die Chefin gar von ihrem Privatkonto aus überwiesen, stellte sie später fest, „– da hatten wir noch keinen Liter Bier verkauft“. Mit der Brauerei seien sie „gut g'fahrn“ deutet Emmy auf die beiden Urkunden für 25 und für 50 Jahre Treue, die über ihr an der Wand hängen.

Den Namen hat sich der Brauereivertreter ausgedacht

Der Brauereivertreter war es auch, der dem Berggasthof seinen Namen gab. „Pfalzbrünnchen“, wie die Quelle neben der Gaststätte genannt wird, fand er unpassend. „Da Haben wir halt ,Pfalzbrunnen‘ draus gemacht, damit es sich ein bisschen besser anhört. Wir haben‘s nur besser ausgebaut vom Namen her.“

Und es lief gut in den 60er und 70er Jahren, damals noch mit Fremdenzimmern. Da gab es ja im Dorf noch die Krone, den Engel, in der Siedlung unten das Café Durchholz und die Kupferkanne – und eine ganze Reihe Privatvermieter. Zur Hochsaison nutzte Georg Struppe seinen Urlaub, um Emmy zu helfen. Selbst Urlaub gemacht haben sie 20 Jahre lang nicht. „Da haben wir gebuckelt und bezahlt.“ Erst als es dann ein bisschen besser wurde, reisten sie mal in den Schwarzwald, mal nach Basel, Slowenien, Italien, Ungarn. „Wir haben das alles genossen.“

Doch nicht nur das. Auch im Urlaub hat Emmy oft einen Blick in die Küche geworfen. „Ich war nit nur in Urlaub,“ sagt sie, „ich hab auch geguckt wie's da abgeht“, lächelt sie verschmitzt. „Ich hab' mir auch das Kochen mit den Augen gestohlen.“

Die großen Portionen haben die Gäste angelockt

Emmy war bekannt für ihre großen Portionen. „Deswegen sind sie (die Gäste) auch gekommen“, ist sie überzeugt. Alles selbst gemacht mit Fleisch vom Metzger aus Oberndorf und Brot aus Hafenlohr. Und wenn sich ein Gast mal den Magen verdorben hatte, dann gab's eben Haferschleimsuppe. Viele Wandergruppen waren zu Gast, die aus Bergrothenfels und Würzburg über 20 Jahre lang. Und den Freizeitreitern aus Lohr reichte sie das Bier auch gerne zum Küchenfenster hinaus.

„Ja, ich hab' schöne Stunden g'habt“, resümiert sie nach 51 Jahren in der Küche und hinterm Tresen. „Richtfeste, Feierlichkeiten, Geburtstagsfeiern, Leichenschmaus...“ In der Fremdenzimmer-Zeit, die für sie 1988 zu Ende ging, war sogar einmal ein Prominenter zu Gast: Takeo Ischi übernachtete bei ihr nach seinem Auftritt bei der Spessartfestwoche. Emmy eilt in die Küche und holt eine Autogrammkarte. Sie habe ihn nicht gekannt, erzählt sie, weil sie nicht wie ihr Mann Fernseh schaute. Erst glaubte sie ihm nicht, als er ihn ankündigte. Doch als er dann kam und jodelte, da jubilierte er: „Siehste!“ Beim Frühstücksjodler war sie dann gänzlich überzeugt.

Mit einem Zechpreller hatte sie auch zu tun – das erste und einzige Mal im 45. Jahr nach der Eröffnung. „Aber ich bin zu meinem Geld gekommen“, schiebt sie flugs hinterher. Als sie tags darauf in der Zeitung las, dass er auch andernorts aktiv gewesen war, Marlboro geraucht und Weizenbier getrunken habe, da erwachte ihr detektivischer Spürsinn. „Da war ich mit dem Gedanken unterwegs: Wenn ich den sehe, dann halte ich ihn an und frage ihn, ob er eine Marlboro für mich hätte. Dann hätte ich ja schon gemerkt, ob das ein Raucher ist.“ Die Polizei kam, sie identifizierte ihn unter mehreren Fahndungsfotos sofort. „Es war die Nummer drei!“ Der Mann wurde gefasst, sein Vormund zahlte die Zeche.

Manchen Gast hat sie vorsichtshalber selbst nach Hause gefahren

Emmy und ihre Gäste. So manchen hat sie selbst nach Hause gefahren, damit er nicht betrunken in sein Auto steigt. Allzu Neugierige freilich wusste sie als Wirtin – rau, aber herzlich, grundehrlich und sauber, hilfsbereit und immer Rücksicht nehmend, wie sie sich selbst beschreibt – auch mal ins Bockshorn zu jagen. Einem Radler, der nach ihrem Verdienst gefragt hatte, gab sie es faustdick: „Sie werden lachen: Wir haben im Lotto gewonnen!“, beschwatzte sie ihn nach dem Motto: „Komm her, Dir hänge ich gleich eine richtige Laus auf den Pelz, damit Du etwas zu schleppen hast.“ Der Gast habe das auch so mitgenommen. „So hab' ich die Leut' fertig gemacht“, verrät sie, „so hab ich die Leut' gebügelt.“

Das hat sich bis heute nicht geändert. „Ich bin schon in Rente, ich tu jetzt privatisieren“, erzählt sie den Leuten heute. „Bis jetzt hab ich noch Arbeit. Und wenn die Arbeit geschafft ist, dann leg' ich mich hin und schlafe.“ Kurz vor der Schließung war nochmals ein ganzer Schwung Erlacher hier. Auch die waren natürlich neugierig. Emmy zeigte sich wiederum schlagfertig: „Ich habe ja noch Überstunde abzufeiern. Und dann mach ich meine Kreuzfahrt“. Durchgegangen sei das, grinst sie, „das ist perfekt in Erlach angekommen“. Sie sei schon wiederholt angesprochen worden, wann es denn losgeht. Die Antwort: „Im Sommer, wenn's wärmer ist.“

Gerne hätte sie den Pfalzbrunnen übergeben

Emmy ist stolz, dass sie so lange durchgehalten hat. Selbst als sie nach einer Brustkrebs-Operation ein Dreivierteljahr geschlossen hatte – ihr Mann war 2006 gestorben – öffnete sie die Tür bei Bedarf und sagte: „Wenn ich net grad Chemo krieg', bin ich dahemm." Gerne hätte sie den Pfalzbrunnen auch übergeben. Doch der eine Sohn ist Zimmermann, der andere Elektriker. „Ich hab gemerkt: Sie ziehen alle in eine andere Richtung“, erklärt sie ohne Groll. „Sie haben ihre Berufe, es ist keiner mehr dabei.“

Über sich selbst sagt Emmy: „Also Wirtin würde ich noch einmal machen. Von diesem Beruf lass ich nicht ab. Ich hänge an dem Wirtschaftsbetrieb mit Leib und Seele.“ Sie halte es da mit Johannes Jopi Heesters, der im Alter von 105 Jahren noch auf der Bühne stand. „Der hat seinen Beruf auf der Bühne ausgeübt“, sagt Emmy, „und ich mache halt die Wirtschaft da. Ich hab das immer gern gemacht und ich bin auch mit den Leuten zurechtgekommen.“

Jetzt könnte sie eigentlich ein Buch schreiben

Und was macht Emmy im Ruhestand jetzt wirklich, wenn sie die Waschkörbe voller Akten geleert hat und gerade nicht schläft? Ihre Memoiren verfassen? Gut möglich. „So a Buch könnt ich schreib“, sagt sie und deutet mit Daumen und Zeigefinger eine Spanne von zehn Zentimetern an. „Und das hab ich alles im Kopf: Die Jahrgäng' und das ganze Werk“, versichert sie. „Ich schreib' ja alles auf. Wenn ich Langeweile hätt', würd ich weiterschreiben.“

„Auf einmal hat's halt gefunkt irgendwie. Es musst' so sei. Ich konnt' meinem Schicksal nicht aus dem Weg geh'n.“
Wie Emmy Müller und Georg Struppe Mitte der 1960er Jahre bei Rexroth zusammenkamen
Emmy Struppe beim Spülen: Acht Jahre lang arbeitete sie als junge Frau beim Ehepaar Bommesheim, bis diese ihre Gaststätte am Frankfurter Südbahnhof schlossen.
Foto: Struppe | Emmy Struppe beim Spülen: Acht Jahre lang arbeitete sie als junge Frau beim Ehepaar Bommesheim, bis diese ihre Gaststätte am Frankfurter Südbahnhof schlossen.
Alles wie gehabt: Emmy Struppe kommt aus der Küche in ihre Gaststube mit zwei Dutzend Plätzen. Dazu gab es noch ein etwas kleineres Nebenzimmer.
Foto: Roland Pleier | Alles wie gehabt: Emmy Struppe kommt aus der Küche in ihre Gaststube mit zwei Dutzend Plätzen. Dazu gab es noch ein etwas kleineres Nebenzimmer.
_
Foto: Roland Pleier
Emma Struppe, genannt Emmy, mit der Autogrammkarte von Takeo Ischi.
Foto: Roland Pleier | Emma Struppe, genannt Emmy, mit der Autogrammkarte von Takeo Ischi.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Neustadt am Main
Roland Pleier
Detektive
Gaststätten und Restaurants
Marlboro
Südbahnhof Frankfurt
Takeo Ischi
Urlaub und Ferien
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top