Zweifellos auffallen wird sie, wenn sich am Samstag, 17. August, der Festzug des Gautrachtenfestes durch die Straßen Marktheidenfelds (Lkr. Main-Spessart) schlängelt, die Gruppe aus dem Marktheidenfelder Stadtteil Glasofen: Neben vielen farbenfroh gekleideten Trachtengruppen des Trachtenverbands Unterfranken wirkt die nachgestellte Hochzeitsgesellschaft der „Glasf’lder“ auf den ersten Blick eher wie ein Trauerzug.
Die Herren tragen zur Lederhose einen schwarzen Mantel. Auch die Damenkleider haben gedeckte Farben: schwarze Röcke und dunkle Mieder. Die Schürzen sind allenfalls blau oder lila. Nur die Braut darf eine goldfarbene Schürze tragen. Die Tracht in der „Grafschaft“ hob sich von der der Umgebung ab. Warum war das so?
Als „Grafschaft“ werden heute noch die Dörfer rund um den evangelischen Kirchenstandort Michelrieth, zu dem auch Glasofen gehört, bezeichnet. Die eigentliche Grafschaft Wertheim umfasste ein größeres Gebiet im Vorspessart. Die Menschen dort setzten sich im 18. Jahrhundert nicht nur in ihrem Glauben von der Umgebung ab, sondern auch mit einer eigenen Kleiderordnung, in Sitten und Sprache. Die typische Tracht dieser „Brauchtumsinsel“ wurde im bäuerlichen Alltag auch noch zwei Jahrhunderte später getragen.
Der Begriff Tracht beschreibt „das, was getragen wird“, also die Kleidung, aber auch Schmuck, Frisur oder Accessoires. Andernorts gebe es kaum noch Kleidungsstücke von damals, betont Heinz Matschiner aus Glasofen. Die Grafschaftstrachtengruppe „Die Glasf’flder“, in der er und seine Frau Elisabeth sich engagieren, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Erinnerungen an die traditionelle Bekleidung wach zu halten. „Wir haben das Glück, dass noch viele Fotos von Menschen in unserer Tracht vorhanden sind“, so Heinz Matschiner.
Viele Fotos zeigen noch die alte Tracht
Traditionsbewusste Familien stellen alte Stücke als Dauerleihgabe zur Verfügung. Diese seltenen Originale befinden sich im Museumsdepot der Stadt Marktheidenfeld. Die hölzernen Schränke, hinter deren Türen die Schätze lagern, wirken unscheinbar – eben so, wie sie früher in Großmutters Schlafzimmer standen. Trachtenberaterin Elisabeth Matschiner berichtet, dass zum Beispiel die vorhandenen Männergehröcke noch aus einer Zeit stammen, als es noch keine Nähmaschinen gab. Nähte und Stickereien sind von Hand ausgeführt worden.
In den Schränken stapeln sich Lederhosen, Mieder, Frauenhemden, Unterröcke und in großen Hutschachteln Flitterkränze – jene kunstvollen Kopfbedeckungen, deren Tragen Jungfrauen vorbehalten war. Sie ähneln in ihrem Aussehen Kronen, die über und über mit Stoffblumen, Glaskugeln und goldfarbenen Glücksbringern, dem sogenannten Flitter, verziert sind. Der heidnische Schmuck in Form von Spiegeln, Trauben oder Eicheln, erklärt Elisabeth Matschiner, sollte das Böse abwenden oder Fruchtbarkeit symbolisieren.
Der Verein besitzt sechs dieser Kränze. Einige waren arg ramponiert, weshalb Matschiner sie restaurierte. Die Beschaffung der Einzelteile war nicht einfach. Wo bekommt man filigrane blaue Glaskugeln her, die früher im Spessart geblasen wurden? Wie werden die handgearbeiteten Stoffblüten gewachst? Wie verdrahtet man die etwa 100 künstlichen Blumenköpfe am Spanholzgestell? Insgesamt, so schätzt Elisabeth Matschiner, besteht ein Kranz aus mehr als 500 Einzelteilen und wiegt etwa 400 Gramm.
Das Aufsetzen der Brautkrone erfordert viel Geduld
„Das fachkundige Aufsetzen der Brautkrone erfordert von den Helfern viel Erfahrung und von der Braut viel Geduld“, sagt Heinz Matschiner. Bis die junge Frau angezogen ist, dauert es mindestens eine Stunde. Ihre Haare werden zu kunstvollen Zöpfen geflochten und das Haupt mit breiten Seidenbändern umwickelt. Daran wird der Kopfschmuck festgesteckt.
Auch das Anziehen der anderen Teile des Brautgewandes folgt einer strengen Tradition. Weil Hochzeiten in der Regel nach der Erntezeit im Herbst stattfanden, tragen die Frauen mehrere wollene Unterröcke. „Das ist äußerst unbequem“, weiß Elisabeth Matschiner. Der schwarze Überrock wurde in exakte Falten gelegt. Nach dem Tragen musste er sofort wieder ordentlich verstaut werden, damit das plissierte Muster beibehalten wurde. Nachbildungen werden heute aus Kunstfaserstoffen hergestellt; einmal mit Wasserdampf plissiert, bleiben die Falten erhalten.
Die goldene Seidenschürze des Brautgewands wird von einem grünen Band gehalten. Elisabeth Matschiner weiß nur von einer einzigen erhaltenen Original-Schürze. Diese kann man im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg sehen. Unter den Röcken lugen dicke, gestrickte Kniestrümpfe hervor. Das weiße „Hemd“ aus Leinen, wie die Bluse der Frau bezeichnet wurde, hat einen hochgeschlossenen Stehkragen.
Ein schwarz-samtenes Mieder, bestickt mit bunten Streublumen, ergänzt die Hochzeitstracht. Die ausgestopften Schößchen – heute bei den Mädchen eher weniger beliebt, schaffen Fülle um die Hüften und haben einen praktischen Nutzen: Sie halten den Rock dort, wo er sitzen soll.
Die Brautjungern werden "Schmollmaden" genannt
Zudem gehört ein Mutzen (schwarze kurze Jacke) aus warmem Tuch zur Ausstattung. Die Rückenpartie ist mit einem Lebensbaum bestickt, der Fruchtbarkeit symbolisiert. Darüber tragen die Frauen ein weißes Schultertuch. Die Tracht der „Schmollmaden“, wie die Brautjungfern bezeichnet wurde, ähneln der der Braut sehr. Sie weichen nur in Details ab. Während sie etwa bunten Glasperlenschmuck umlegen, hat die Braut einen „Pudel“ aus schwarzen Wollfäden um den Hals.
Selbstverständlich putzen sich nicht nur die Frauen heraus, auch die Männer tragen zu ihrer hellen, hirschledernen Sonntagshose, die mit großen Silberknöpfen und einer aufwändigen Stickerei versehen ist, ein schwarzes Kamisol. Das ist ein langschößiger Mantel aus dunklem Tuch mit Stehkragen. An der Brust und am dreispitzigen Hut des Bräutigams werden Kunstblumen, passend zur Brautkrone, angebracht.
Beim Festzug tragen die Mitglieder der Grafschaftstrachtengruppe nicht die historischen Kleidungsstücke, so wie zur Gründung 1951. Sie sind zu selten und wertvoll, weshalb sie lediglich als Muster für Neuanfertigungen herangezogen werden. Fachfrau auf diesem Gebiet ist Elisabeth Matschiner, die auch als Gautrachtenberaterin des unterfränkischen Trachtenverbands andere Vereine berät.
Die Trachtenberaterin gibt regelmäßig Kurse
Zudem organisiert sie regelmäßig Kurse zu alten Handwerkstechniken, etwa wie man Staucher herstellt. So heißen in der Mundart Pulswärmer für Frauenhände. In den vergangenen Jahren haben insbesondere die Frauen der „Glasf’lder“ viel Zeit, Arbeit und Geld in die Vervollständigung der Tracht investiert. Accessoires wie Tücher, Borten, Krägen, Hosenträger oder Beutel fertigen sie selbst.
Für die Tanzkleider haben sie enganliegende schwarze Tuchmutzen und dunkle, festliche Schürzen schneidern lassen. Die Männer bekamen langschößige Grünkittel, wie sie früher an den Werktagen getragen wurden. Aufwändigere Arbeiten erledigt eine Schneiderin nach originalgetreuem Vorbild.
Einzelanfertigungen haben ihren Preis. „Eine Lederhose kostet mindestens 1400 Euro“, schätzt Heinz Matschiner. Deshalb hat jetzt ein Trachtenhändler in der Region das Schnittmuster „Grafschaft“ im Sortiment und kann günstiger fertigen. Es ist gar nicht so einfach, die passenden Stoffe für Röcke, Hemden & Co. zu beschaffen. Für die goldene Schürze einer kürzlich hergestellten Brauttracht ist Elisabeth Matschiner bei einem Händler am Tegernsee fündig geworden. Plissiert wurde der Stoffe bei einer Schneiderin in Rettersheim, die noch eine der seltenen Maschine hierfür besitzt.
Material, Farben und Ausstattung der Trachten verrieten viel über Familienstand, Beruf und die persönlichen Verhältnisse des Trägers. Wer es sich leisten konnte, trug edle Stoffe auf. „Die Kleidung für Frauen waren nie einteilig. Sie bestanden immer aus einem Oberteil und einem Unterteil“, erklärt Elisabeth Matschiner. Wenn etwa die Hüften breiter wurden, konnten die Mädchen ihr Mieder trotzdem noch tragen. Passte es dann irgendwann nicht mehr, wurde es an die Schwester oder die Tochter weitergegeben.
Unsere Vorfahren legten bei der Herstellung und dem Tragen ihrer Kleidung weniger Wert auf das modische Aussehen, sondern darauf, dass ihre Tracht einen praktischen Nutzen erfüllte und nachhaltig war.