zurück
KABUL/EUSSENHEIM
„Die Bedrohungslage in Afghanistan ist unterschiedlich“
Bearbeitet von Markus Rill
 |  aktualisiert: 20.07.2017 03:57 Uhr

Peter Utsch aus Eußenheim (Lkr. Main-Spessart) ist seit Anfang April in Afghanistan im Einsatz. Der Bundeswehr-Oberst leitet ein Team mit 60 Militärberatern aus verschiedenen Nationen und ist Chefberater des afghanischen Korps-kommandeurs. Im Interview schildert der 60-Jährige die Eindrücke seines vierten und voraussichtlich letzten Afghanistaneinsatzes.

Frage: Herr Utsch, Sie sind seit April in Afghanistan – zum wiederholten Male. Stellen Sie Veränderungen gegenüber vorherigen Einsätzen fest?

Peter Utsch: Das Umfeld, die Menschen, Gepflogenheiten und Landschaften sind mir seit meinem ersten längeren Aufenthalt in Afghanistan im Jahr 2008 bekannt. Daran hat sich nichts verändert. Anders verhält es sich mit der Bedrohungslage, die für uns insgesamt schwieriger geworden ist. Entsprechend haben wir unser Verhalten auf ein instabiler gewordenes Umfeld auszurichten.

Was genau sind Ihre Aufgaben vor Ort?

Utsch: Ich bin Chef beziehungsweise Kommandeur eines Teams von 60 Militärberatern aus verschiedenen Nationen. Dieses Team berät den Stab des 209. Korps der Afghanischen Nationalarmee sowie die Kommandeure zweier afghanischer Ausbildungseinrichtungen. Unser Arbeitsschwerpunkt befindet sich im Camp Shaheen, etwa 20 Kilometer von unserem eigenen Lager Camp Marmal in Mazar-e Sharif entfernt. Den Weg in diese afghanische Kaserne legen wir nahezu täglich, meist mit Hubschraubern, zurück. Neben meiner Führungsaufgabe bin ich der Chefberater des afghanischen Korpskommandeurs und seines Stellvertreters. Der Kommandeur ist für rund 17 000 Soldaten in ganz Nordafghanistan zuständig. Wir beraten unsere afghanischen Partner hauptsächlich darin, wie die zahlreichen täglichen Arbeitsprozesse verbessert und effizienter gestaltet werden können. Jeder Berater verständigt sich über einen Sprachmittler mit seinem afghanischen Partner. Über 60 Prozent meiner Dienstzeit werden durch die Beratertätigkeit in Anspruch genommen.

Wie ist die Sicherheitslage in Ihrem Einsatzgebiet und im Rest des Landes?

Utsch: Die Bewertung der Sicherheitslage gehört nicht zu meinen Aufgaben als Kommandeur des Militärberaterteams. Bei der Bewertung bin ich auf die Einschätzung unserer Fachleute sowie die Meinungen ihrer afghanischen und internationalen Partner angewiesen. Allgemein gilt es festzuhalten, dass sich die Sicherheits- und Bedrohungslage in den verschiedenen Regionen Afghanistans teilweise sehr unterschiedlich darstellt. Landesweit betrachtet ereignen sich täglich kleinere und größere Anschläge und Angriffe regierungsfeindlicher, terroristischer oder auch krimineller Kräfte. Auch in der allgemein etwas weniger betroffenen Provinz Balkh mit ihrer Hauptstadt Mazar-e Sharif ereigneten sich im vorangegangen, aber auch diesem Jahr, wiederholt schwere Angriffe und Anschläge. So zum Beispiel der Anschlag auf das Deutsche Generalkonsulat in Mazar-e Sharif im November 2016 oder auch der bisher verheerendste Angriff von Aufständischen gegen eine Einrichtung der afghanischen Streitkräfte, das Camp Shaheen in Mazar-e Sharif im April 2017 mit mehr als 140 Gefallenen auf Seiten der afghanischen Streitkräfte.

Hat der Anschlag in Kabul, der die deutsche Botschaft in Mitleidenschaft gezogen hat, die Sicherheitslage für deutsche Einheiten verändert?

Utsch: Der Anschlag hat noch einmal bestätigt, dass die bereits bisher von uns getroffenen Maßnahmen zum Eigenschutz bei Bewegungen außerhalb von Camp Marmal erforderlich waren und sinnvoll sind. Der Eigenschutz hat Priorität im Rahmen der Auftragserfüllung. Allerdings sehe ich keinen Anlass, jetzt überzogen zu reagieren und jede fremde Person oder Beobachtung einem Generalverdacht zu unterziehen.

Haben Sie Kontakte zur Zivilbevölkerung?

Utsch: Bis auf einen Kurzbesuch beim Gouverneur der Provinz Balkh, General Atta Mohammad Noor, hatte ich bisher keine Kontakte zur Zivilbevölkerung. Umso zahlreicher waren allerdings die Kontakte mit den Vertretern der afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräfte, vor allem der Armee und der Polizei. Diese fanden, von Ausnahmen abgesehen, täglich statt.

Ist Afghanistan denn ein sicheres Herkunftsland? Halten Sie es für gerechtfertigt und human, dass derzeit Rücktransporte von Flüchtlingen stattfinden?

Utsch: Diese Frage kann ich nicht beantworten, sie steht in keinem Bezug zu meinen derzeitigen Aufgaben.

Welche Hinweise oder Ratschläge würden Sie einem Familienmitglied oder Freund geben, der dieser Tage nach Afghanistan reist?

Utsch: Ich weise in diesem Zusammenhang auf die bestehende einschlägige Reisewarnung des Auswärtigen Amtes hin und empfehle, sich beim Auswärtigen Amt Rat zu holen, sofern die Reise unumgänglich ist.

Mittel- und langfristig gesehen: Welche Entwicklung erwarten Sie in Afghanistan? Was müsste geschehen, um das Land zu befrieden? Welchen Einfluss können und sollten andere Staaten ausüben, um eine positive Entwicklung zu ermöglichen und voranzutreiben?

Utsch: Sicherheit und Entwicklung liegen in erster Linie in den Händen der Afghanen. Aus meiner Sicht kommt es darauf an, dass die afghanische Regierung ihre Autorität weiter stärkt und ihre Beziehungen zu den Anrainerstaaten, allen voran Pakistan, weiter verbessert. Dies dürfte der Schlüssel für den Erfolg eines innerafghanischen Friedensprozesses sein.

Und der ist die Grundlage für alles Weitere. Das zu erreichen, ist Sache der verantwortlichen Politiker und ihrer Berater. Mein Betätigungsfeld sind die afghanischen Streitkräfte. Diese haben dank internationaler Unterstützung binnen weniger Jahre eine Stärke von über 170 000 Angehörigen erreicht. Um die Funktionsfähigkeit der afghanischen Streitkräfte zu erhalten und – was zwingend geboten ist – weiter zu verbessern, bedarf es einer Fortsetzung der gegenwärtigen Beratertätigkeit durch die internationale Staatengemeinschaft. Wie lange das noch nötig ist, lässt sich schwer vorhersagen. Die Aufgabe ist jedoch nicht binnen weniger Monate zu erledigen.

Oberst Peter Utsch (Dritter von rechts) zu Gast im Camp Pamir in der Nähe von Kunduz. Rechts von ihm der Berater des Kommandeurs der dort stationierten 20. Division der afghanischen Nationalarmee.
Foto: Bundeswehr / Christoph Lammel | Oberst Peter Utsch (Dritter von rechts) zu Gast im Camp Pamir in der Nähe von Kunduz. Rechts von ihm der Berater des Kommandeurs der dort stationierten 20. Division der afghanischen Nationalarmee.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Eußenheim
Afghanische Regierungen
Afghanisches Militär
Anschläge
Auswärtiges Amt
Entwicklung
Friedensprozesse
Nationen
Nordafghanistan
Oberst
Reisewarnungen
Sicherheitslage
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top