Es ist der Fluch der fränkischen Erbteilung: Oberhalb der Bahnlinie zwischen Sackenbach und Neuendorf reihen sich auf einer Länge von nur etwas mehr als 400 Metern 91 handtuchförmige Grundstücke aneinander. Manche sind weniger als zwei Meter breit aber über 100 Meter lang. Grenzsteine gibt es nur vereinzelt. Dafür stehen bei manchen der Grundstücke über 20 Personen als Eigentümer im Grundbuch.
91 Grundstücke, 140 Eigentümer
Zu welchen Problemen solche Strukturen führen können, zeigt ein aktueller Fall: Vor wenigen Tagen hat die Deutsche Bahn, vertreten durch ihre Tochter DB Fahrwegdienste GmbH, 140 Eigentümer angeschrieben. In dem Brief weist sie auf die Verkehrssicherungspflicht hin.
Bei einer Streckenbegehung habe man festgestellt, dass durch den Bewuchs der Waldgrundstücke „die Sicherheit des Eisenbahnbetriebes nicht mehr gewährleistet ist“. Vor Ort zeigt sich in der Tat, dass etliche Bäume am Waldrand eine Größe erreicht haben, die sie bei einem Umstürzen auf die Oberleitung oder gar auf vorbeifahrende Züge stürzen lassen könnte.
Das nimmt die Bahn zum Anlass, Grundstückseigentümer darauf hinzuweisen, dass sie im Zuge der Verkehrssicherungspflicht verpflichtet seien, „erkennbare Mängel auf eigene Kosten zu beseitigen“. Ansonsten, so die Bahn mit Verweis auf Paragrafen, müssten die Waldbesitzer im Falle eines Schadens straf- und zivilrechtlich Verantwortung tragen.
Bahn setzt Frist von 30 Tagen
„Wir fordern Sie (. . .) auf, die notwendigen Maßnahmen in den nächsten 30 Tagen vorzunehmen“, endet das Schreiben der Bahn. Verbunden ist es mit dem Hinweis, dass eventuelle Fällungsarbeiten wegen der Nähe zum Zugverkehr vor Beginn mit der zuständigen Bahn-Stelle in Würzburg abzustimmen und der Vollzug der Arbeiten zu melden seien.
Etliche Grundbesitzer in heller Aufregung
Diese Aufforderung setzte im Verbund mit dem etwas forschen Ton etliche Grundstückseigentümer in Aufregung. Beim Vermessungsamt gingen Anrufe Ratsuchender ein, auch bei der Stadt Lohr, sogar beim Sackenbacher Jagdpächter.
Die Aufregung ist erklärbar. Schließlich beginnt für nicht wenige der betreffenden Waldbesitzer das Problem schon damit, dass sie gar nicht genau wissen, wo ihr Grundstück überhaupt liegt. Der schlauchförmige Zuschnitt der Flächen macht dort ebenso wie andernorts im fränkischen Erbteilungsland die Waldbewirtschaftung seit Jahrzehnten uninteressant bis unmöglich.
Bahn: Vertrauensvolle Zusammenarbeit
Bei etlichen Bäumen dürfte sich nur schwer feststellen lassen, ob sie nun auf diesem oder jenem Grundstück stehen, wessen Eigentum sie sind, wer genau sich um die Fällung der den Bahnverkehr gefährdenden Bäume kümmern muss.
Die Bahn will ihr Schreiben nicht als Drohung verstanden wissen. Man wolle „im Zuge einer vertrauensvollen Zusammenarbeit“ die Eigentümer nur darauf hinweisen, dass von deren Grund eine möglicherweise folgenschwere Verkehrsgefährdung ausgehe, erklärte eine Unternehmenssprecherin auf Nachfrage der Redaktion.
Notfalls Ersatzvornahme möglich
Sollte die 30-tägige Frist ungenutzt verstreichen, werde man eine weitere Frist gleicher Länge setzen. Sollte sich auch dann nichts tun, bestehe in Extremfällen und bei Gefahr in Verzug die Möglichkeit, „unter Beteiligung der Bundespolizei eine Ersatzvornahme durchzuführen, um einen größeren Schaden zu verhindern“, so die Pressesprecherin.
Bahn verweist auf Gesetze
Im Schreiben an die Anlieger hat die Bahn auch den Paragrafen 315 des Strafgesetzbuches erwähnt. In ihm steht: Wer den Schienenverkehr dadurch beeinträchtigt, dass er Hindernisse bereitet, und so Leib und Leben beziehungsweise Sachen von erheblichem Wert gefährdet, wird im Falle der Fahrlässigkeit mit Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und fünf Jahren bestraft. Auch auf § 823 des Bundesgesetzbuches wies die Bahn hin. Er regelt die Schadenersatzpflicht.
Jedoch ist man sich bei der Bahn offenbar selbst der Tatsache bewusst, dass die Dinge, auf die man per Post so einfach hinweisen kann, in der Praxis mitunter nicht so leicht zu regeln sind. Deswegen wurde nun ein Ortstermin vereinbart. Der zuständige Mitarbeiter der Bahn wird sich mit dem für die Betreuung des Privatwaldes zuständigen Förster des Amtes für Ernährung Landwirtschaft und Forsten treffen, um nach einer praktikablen Lösung zu suchen. Auch ein Förster der Stadt, die in dem betreffenden Bereich ebenfalls Wald besitzt, wird dabei sein.
Ortstermin anberaumt
Eine denkbare Lösung ist eine Vereinbarung, wonach die Bahn ein Unternehmen mit der Beseitigung von allzu weit Richtung Schienen ragender Bäume beauftragt. Erfolgen könnte dies beispielsweise mit eigens dafür konzipierten Greif- und Sägebaggern. Die insgesamt vermutlich überschaubaren Kosten müssten dann freilich anteilig auf die betroffenen Grundbesitzer umgelegt werden. Denn: Eigentum verpflichtet.
Auch Bahn ist in der Pflicht
Das gilt allerdings auch für die Bahn selbst. Auch sie hat in den vergangenen Jahren ihre Verkehrssicherungspflicht entlang der Bahngleise augenscheinlich ziemlich vernachlässigt. Jedenfalls ist der Forstweg, der zwischen Schienen und Waldrand verläuft, von Büschen derart zugewuchert, dass man ihn kaum mehr befahren kann. Die Büsche stehen entlang der gesamten Strecke auf einem einzigen Grundstück. Es gehört der Deutschen Bahn.