„Lohr ist bunt“ und „Wir sind mehr“. Diese beiden Parolen bringen die Kundgebung der rund 750 Demonstranten auf den Punkt. Beide waren am Montag zutreffend, unstrittig und objektiv belegbar.
Da fällt auch nicht ins Gewicht, wenn AfD-Kreisvorsitzender Kurt Schreck die Demonstranten gegenüber dem Reporter als „fehlgeleitet“ einstuft, wenn ein Parteikollege moniert, Lehrer hätten im Pausenhof für die Kundgebung geworben. Zu deutlich war das Zeichen, das Bürger aus dem Raum Lohr setzten.
„Deutlich“ und „ermutigend“ bewertete es Mario Paul, „beeindruckt“ von dem „sehr großen Querschnitt“. Lohrs parteiloser Bürgermeister hatte die Privatinitiative von Thomas Nischalke unterstützt und dafür auch die beiden großen christlichen Kirchen sowie den Stadtrat mit ins Boot geholt. Nischalke ist zwar Betriebsrat bei Bosch Rexroth, IG-Metaller und SPD-Stadtrat. Doch angemeldet habe er die Kundgebung als Einzelperson, weil er das Gefühl gehabt habe: „Jeder denkt drüber nach – aber keiner macht was.“
Von der Resonanz überrascht war nicht nur er selbst, sondern auch Polizeichef Wolfgang Remelka. Der nahm die Sache sehr ernst – und das war gut so. Gelassen schreibt er im Pressebericht: „keine Sicherheitsstörungen gemeldet“. Gleichwohl agierte er mit Fingerspitzengefühl: Er stand mit nur drei Beamten vor der Turnhalle, rief die bereitstehende Verstärkung aus Aschaffenburg erst später in die Halle und forderte weitere Beamte aus Würzburg erst an, als die Veranstaltung dort zu eskalieren drohte.
Mit der Kamera aufgezeichnet
Ein Kollege dokumentierte mit der Kamera, was drinnen geschah. Das Material wäre zum Einsatz gekommen, „wenn die Situation gekippt wäre“, sagte Remelka auf Nachfrage: Um objektiv nachvollziehen zu können, wer wie oft, wie laut, wie nachhaltig und in welchem zeitlichen Abstand störte. Denn dies spielt eine Rolle bei der Einschätzung, ob es ein Straftatbestand ist. Es wäre nicht schlecht, „wenn der ein oder andere mal einen Blick in das Versammlungsrecht werfen würde“, verdeutlicht der Polizeichef. Demnach hat „jedermann Störungen zu unterlassen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern.“ Letztlich habe sich ein Großteil der AfD-Gegner, die in der Halle mehr als die Hälfte der Zuhörer stellten, am Riemen gerissen, nachdem er selbst und Versammlungsleiter Rainer Eich interveniert hatten.
Für Paul war es die erste Demo seit acht Jahren, die erste, an der er als Bürgermeister teilnahm. Er kam mit seiner ganzen Familie. Er stand in der ersten Reihe und rief mit: „Wir sind mehr!“ Als dann aber einzelne Grüppchen „Nazis raus!“ skandierten, hielt er bewusst den Mund. Den gleichen Ausgrenzungsmechanismus anzuwenden wie die AfD-ler sei „grundverkehrt“, erklärte er auf Nachfrage. Man müsse auch mit diesen umgehen wie mit jedem anderen Parteigänger.
So zu differenzieren, ist schwer, aber das Gebot der Stunde. Wie schwierig das ist, zeigt eine andere Situation: Ein AfD-Sympathisant aus Alzenau geht mit einer Tafel in Deutschland-Farben zur Halle. In die Wir-sind-mehr-Rufe mischen sich Pfiffe und Buhrufe. Wenig später zeigt sich der Mann noch einmal demonstrativ vor der Halle – und wird ausgebuht. „Warum sollte das Zeigen der Deutschlandflagge eine Provokation sein?“, fragt Paul. Doch kommt es auch auf die Absicht an. In Elsenfeld habe das genauso „funktioniert“, verriet der Provokateur dem Reporter. Der Kontext entscheidet.
Kaum vorstellbar, wenn tatsächlich „Das Lied der Deutschen“ gesungen worden wäre, wie Schreck es nach den Reden angekündigt hatte. Tatsächlich angestimmt wurde nur die Nationalhymne, also die dritte Strophe. Die erste, „Deutschland, Deutschland über alles“, wird bisweilen ganz anders gedeutet, als August Heinrich Hoffmann von Fallersleben es 1841 gemeint hatte.