"Der Klimawandel muss uns vieles hinterfragen lassen", sagte Pierre Ibisch in seinem Vortrag "Die Klimakrise und der Wald – wie nun weiter?" in Lohr. Infrage stellte der Professor für Nature Conservation an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde auch die vorherrschende Forstwirtschaft. Denn "der Wald ist keine Holzfabrik", sondern sei ein komplexes Ökosystem. Forstliche Begriffe wie Waldbau will der Biologe am liebsten gar nicht mehr hören.
Zu hinterfragen sei auch unser Holzkonsum: Ist es sinnvoll, diesen Wertstoff, der über Jahrzehnte heranwachse, "innerhalb von Minuten im Kamin zu verbrennen"? Solche "heißen Fragen müssen wir angehen", forderte Ibisch, und zur Bewältigung der Krise "alles zusammen denken". Denn man stehe gemeinsam "vor diesem Schlamassel, das die Menschheit angerichtet hat".
Leistungen mehr honorieren
Leistungen des Waldes für das Ökosystem müssten mehr honoriert werden, vielleicht durch einen "Waldpfennig". Das sei ein politischer Auftrag und darum hoffte der Referent auf ein neues Waldgesetz, das in diese Richtung gehe. Jedenfalls sei es richtig, von Klimakrise zu sprechen, "weil sich da etwas zuspitzt". Man habe die Treibhausgase noch nicht im Griff, das Jahr 2023 sei weltweit der nächste Schritt in die Heißzeit. Um so wichtiger werde die Anpassung an den Klimawandel. Dabei könnte Wald durch Kühleffekte und seine Funktion für den Wasserkreislauf eine wichtige Rolle spielen – wenn er nicht selbst unter Hitze und Trockenheit leiden würde. "Tragisch", befand Ibisch.
Für einzelne Baumarten sieht es besonders schlimm aus. Es sei "überraschend, wie schnell es geht, dass sich die Fichten entschieden haben, nicht mehr mitzumachen". Inzwischen gebe es in Deutschland Hunderttausende Hektar Waldflächen ohne Wald. Auch Kiefernbestände brechen flächig zusammen, sogar Hochwälder aus Buchen "lösen sich auf". Ganze Landschaften verändern sich.
Ibisch untermauerte seine Analyse mit Daten aus der Forschung und mit Satellitenbildern. Darauf ist zu sehen, wie innerhalb weniger Jahre immer mehr Lücken in Wäldern auftreten. Wo das Kronendach erst einmal aufgerissen ist, kann Hitze bis zum Boden gelangen und Trockenheit um sich greifen. Ein Teufelskreis beginnt.
Beispiel Lohrer Stadtwald
Dass es anders geht, zeigte Ibisch am Beispiel des Lohrer Stadtwalds auf. Dort seien die Kräfte der Selbstregulierung trotz forstlicher Nutzung erhalten worden, weshalb dieser Wald bei extremen Wettersituationen nicht so verwundbar sei. An dieser Stelle gab es Beifall vom Publikum für Bernhard Rückert, den langjährigen früheren Leiter des Lohrer Forstes.
"Wir sollten mit dem Ökosystem arbeiten, nicht dagegen", sagte Ibisch. Den Förstern müsse bewusst sein, dass sie mit der Waldnutzung "am Thermostat drehen", denn Wald bleibe in Hitzeperioden deutlich kühler als andere Flächen, wie Ibisch anhand von Messdaten aus dem Weltraum darstellte.
In Deutschland gebe es jedoch etwa 1,95 Millionen "Waldfragmete", von denen fast 98 Prozent kleiner als ein Quadratkilometer seien. "Eine sehr naturferne Situation", sagte Ibisch. Demgegenüber sei der Spessart ein herausragendes Waldgebiet, "ein großer Block, der nicht so stark zersplittert ist".
Doch was sollte man nun auf den großen Flächen machen, wo der Wald bereits Opfer des Klimawandels geworden ist? Sie abzuräumen und aufzuforsten, hält Ibisch für falsch. Seiner Meinung nach sollte möglichst viel Holz liegen bleiben, weil das Schatten für den Boden spendet und Substrat für Mikroorganismen liefert. Dann könnte sich der Wald vielleicht von selbst erholen und vielfältiger als zuvor wieder aufwachsen.