Ein Leben ohne Kinder? Für Melanie und Lars Anders aus Erlenbach nahezu unvorstellbar. Gleich nach ihrer Heirat 2010 „sollte es losgehen“, wie der 32-Jährige heute scherzhaft sagt. Für viele Paare, die sich Nachwuchs wünschen, ist es völlig selbstverständlich, dass die Frau irgendwann schwanger wird. Doch bei Anders passierte über zwei Jahre lang nichts.
Tatsächlich ist es so, dass viele Faktoren zusammenkommen müssen, damit sich ein Embryo in der Gebärmutter einnistet und heranwächst. Bis es bei den beiden endlich so weit war, verging eine lange Zeit voller Höhen und Tiefen. „Zuerst haben wir uns keine Sorgen gemacht, als Melanie nicht schwanger wurde“, sagt ihr Mann, der Automatenführer in einem Marktheidenfelder Industriebetrieb ist. Die 26-Jährige ist Krankenschwester.
Beide arbeiteten im Schichtdienst, oftmals sahen sie sich nur kurz, weil einer von der Arbeit kam und der andere gleich darauf aus dem Haus ging. Viel Zeit zu zweit blieb da nicht. Doch Melanie Anders sagt: „Ich hatte von Anfang an so ein seltsames Gefühl.“ Was sie damit meint: „Ich wollte, dass abgeklärt wird, ob bei uns beiden alles in Ordnung ist.“
Obwohl sie mit ihren 22 Jahren noch sehr jung war, suchten sie eine Kinderwunschpraxis auf. Dort fanden körperliche Untersuchungen statt – die Befunde meldeten keine Auffälligkeiten; für die beiden eine Erleichterung. Es gab offensichtlich kein Hindernis, weshalb sie nicht schwanger werden sollte.
Das Paar versuchte es mit einer leichten Dosis Hormone, die den „terminoptimierten Geschlechtsverkehr“ unterstützt, wie es im Fachjargon heißt. Konkret bedeutete das: Es gab einen exakten Zeitplan – gar nicht so einfach zwischen den Schichtdiensten. Der Eisprung wurde zum optimalen Zeitpunkt mit Hilfe einer Spritze ausgelöst. Sie warteten immer wieder geduldig, ob sie schwanger wurde – ein halbes Jahr lang, Zyklus für Zyklus. Hatte es geklappt?
Nein, hatte es nicht. Die behandelnde Ärztin riet zum nächsten Schritt: Bei der intrauterinen Insemination (IUI) werden die Samenzellen mit Hilfe eines Katheters in die Gebärmutter gespritzt. Was einfach klingt, ist in Wahrheit ein aufreibender Prozess, insbesondere für die Frau. Bei der Übertragung der Spermien hat sie nicht selten Schmerzen, die Gefühle spielen verrückt. Und dann das ständige, quälende Warten.
Doch wieder halfen die Bemühungen nichts. Nach weiteren sechs Monaten war Melanie Anders immer noch nicht schwanger. Die Anweisungen wurden konkreter: „Ihr geht am Abend miteinander ins Bett. Am nächsten Tag um acht Uhr kommt ihr in die Praxis.“ So in etwa sagte es die Ärztin, erinnert sich Lars Anders. Und endlich tat sich etwas: Es wurde festgestellt, dass sich seine Spermien nicht bewegten. Etwas, das in der Eingangsuntersuchung nicht untersucht wurde.
Melanie Anders fühlte sich erleichtert. „Für mich war das der Beweis, dass ich meinem Bauchgefühl vertrauen kann. Wir wussten endlich, woran es lag, dass ich nicht schwanger wurde“, sagt sie. Die Ärztin erklärte auch sofort, dass die fehlende Motilität, so der Fachbegriff, nicht zwangsläufig bedeute, dass die Spermien nicht befruchtungsfähig seien. „Wir haben noch eine Option in der künstlichen Befruchtung“, wussten die beiden. Ihre Familien waren verständnisvoll und reagierten betroffen.
Melanie und Lars Anders nahmen hohe Kosten in Kauf. Insgesamt zahlten sie für eine Punktion rund 3500 Euro. Inbegriffen sind die Kosten für Laboruntersuchungen, Medikamente, Ultraschalluntersuchungen und die Anästhesien. Weil die junge Frau noch nicht 25 Jahre alt war, zahlte die Krankenkasse bei den ersten drei Versuchen keinen Zuschuss. Insgesamt versuchte es das Paar sechs Mal und zahlte rund 15 750 Euro aus eigener Tasche.
Ihr Kinderwunsch war ihnen viel wert. „Um die Kosten machten wir uns wenig Gedanken“, sind sich die beiden einig. „Wir wollten später sagen können, dass wir alles versucht haben“, ergänzt Lars Anders. Um das stemmen zu können, verzichtete das Paar auf Urlaub. „Und wir wussten, dass uns im Notfall unsere Familien unterstützen“, sagt Lars Anders.
Die Phase der Befruchtung der Eizellen außerhalb des Körpers (In-vitro-Fertilisation) war besonders für Melanie Anders wieder eine schwere Zeit. Über zwei Wochen lang bekam sie zusätzliche Hormone. „Ich fühlte mich so, wie ich mir die Wechseljahre vorstelle: Schweißausbrüche, Stimmungsschwankungen, Übelkeit“, erzählt sie. Heute kann sie darüber lachen. Damals war es eine Tortur. „Ich ziehe den Hut vor meinem Mann, der das mit Ruhe und Gelassenheit nahm“, sagt sie.
Wieder erlebten sie ein ständiges emotionales Auf und Ab. Sie bangten darum, ob es klappte. Doch wieder nichts: Nach fünf Versuchen war Melanie Anders noch immer nicht schwanger. Sie war gefrustet. „Ich fühlte mich so unausgeglichen und ausgelaugt“, erinnert sie sich. „Wir hatten uns zwangsläufig irgendwie damit abgefunden, dass wir keine eigenen Kinder bekommen werden.“
„Wir hatten uns zwangsläufig damit abgefunden, dass wir
keine eigenen Kinder
bekommen werden.“
Den letzten Versuch unternahmen sie nur, weil noch ein paar der Eizellen im Labor eingefroren waren. Auch wenn ein kleines Fünkchen Hoffnung blieb, rechneten sie auch beim sechsten Mal mit einer Absage. Sie bekamen so oft einen negativen Befund, warum sollte es jetzt geklappt haben?
Melanie Anders kann sich noch genau erinnern: Das Telefon klingelte, morgens, nach der Nachtschicht im Krankenhaus. Das konnte sie nicht leiden. Sie wollte schlafen. „Frau Anders, die Ärztin möchte sie sprechen . . .“ Und dann erfuhr sie, dass sie schwanger sei. „Zweimal musste ich nachfragen, ob es tatsächlich stimmt“, sagt sie. Danach hat sie zu Hause noch einen Urintest gemacht. Und war immer noch nicht restlos überzeugt.
Lars rief sie während der Frühschicht an. Seine Reaktion: „Es war einfach unglaublich, ich hatte nicht mehr damit gerechnet.“ Das Glücksgefühl sei unbeschreiblich gewesen. Erst als die Mutter zwei Wochen später ihre Kleinen zum ersten Mal auf dem Ultraschall sah, wurde ihr bewusst, dass es jetzt tatsächlich so weit war. Sie bekamen Zwillinge! Ob Mädchen oder Jungen, das spielte keine Rolle. Dann merkte sie schnell, dass ihr Körper sich veränderte. „Meine Oberweite ist gewachsen“, lacht sie. Bis zur zwölften Woche hatten die beiden gezittert, ob alles gut würde. Blieben sie schwanger? Man habe Angst, dass das Glück plötzlich ein Ende haben könnte.
Doch es ging gut. Melanie Anders hatte außer Sodbrennen und Rückenschmerzen keine Probleme. Nur beim Autofahren merkte sie bald, dass sie nicht mehr so flexibel wie früher war. Und während andere gegen Ende der Schwangerschaft nicht mehr in ihre Umstandshosen passen, hat sie dieses Problem schon nach wenigen Wochen.
Das Paar genoss die traute Zweisamkeit, bevor mit den Kindern schlaflose Nächte, volle Windeln und ein kaum zu stillender Hunger einziehen würde. Und sie erledigten alles, was man mit der Geburt der Kinder braucht: Sie holten den Zwillingswagen ab, richteten das Kinderzimmer ein, nähten Babykleidung und kauften ein neues Auto.
Der größte Wunsch des Paares: zwei gesunde Kinder, die möglichst nahe am errechneten Geburtstermin auf die Welt kommen. Das hat nicht geklappt, denn Jona und Lina sind sieben Wochen zu früh, Anfang März, auf die Welt gekommen. Auch wenn die Frühchen derzeit noch auf der Intensivstation sind, geht es ihnen den Umständen entsprechend gut, lassen die stolzen Eltern ausrichten.
Kinderwunschbehandlungen
Schätzungsweise zehn bis 15 Prozent der deutschen Paare bleiben ungewollt kinderlos, heißt es auf der Internetseite des „Zentrum für Reproduktionsmedizin, Medizinische Genetik, Pränataldiagnostik“ Würzburg. In vielen Fällen hilft es nachzuforschen, woran das liegt. Mit Hilfe gezielter Diagnostik und Therapie könne bei über der Hälfte der Paare durch eine Behandlung der Kinderwunsch erfüllt werden.
Damit sich die gesetzliche Krankenkasse an den Kosten einer künstlichen Befruchtung beteiligt, müssen Paare in Deutschland einige Voraussetzungen erfüllen: Beide Partner sind mindestens 25 Jahre alt, die Frau ist höchstens 39 Jahre, der Mann ist höchstens 49 Jahre, das Paar ist verheiratet, Ei- und Samenzellen stammen vom Paar.
Die Kasse zahlt in der Regel 50 Prozent der Kosten für ärztliche Behandlung und Medikamente, manche Kassen übernehmen auch weitere Leistungen. Den Zuschuss gibt es aber nur für maximal acht Inseminationen. dfi
Interessant wäre für mich eine Story ohne Happy End. Doch am Ende erfolglose künstliche Befruchtungen scheinen ein Tabu-Thema zu sein. Wenn man immer nur am Ende erfolgreiche Kinderwunsch-Stories liest, könnte das am Ende anderen Paaren unrealistische Hoffnungen machen.