"Aykut wollte immer groß rauskommen. Er wollte ein Held sein", sagt Selina Dalga über ihren Bruder. "Nun ist er ein Held." Tatsächlich: Türkische Medien haben groß in Videos und Artikeln über den 17-Jährigen berichtet. Aber der Anlass ist ein trauriger. Der in Karlstadt (Landkreis Main-Spessart) geborene und wohnhafte junge Mann ist beim Urlaub in der Türkei mit einem Moped schwer gestürzt und ums Leben gekommen. Fünf seiner Organe wurden entnommen und haben Leben gerettet.
Am 28. August, zwei Tage vor dem Ende seines Urlaubs in Igdir, dem Heimatort seiner Familie, fuhr Aykut von einer Hochzeit zurück, ohne Helm auf einem Moped. "Das ist dort so üblich. Die Mopeds stehen in den Ortschaften, jeder kann sie ausleihen, niemand trägt einen Helm", erklärt Selina (20). Aykut fuhr zu schnell, stürzte und knallte mit dem Kopf auf die Leitplanke. Er erlitt dabei sechs Schädelbrüche, es bildete sich ein Blutgerinnsel im Gehirn. Ein Obsthändler am Straßenrand alarmierte den Rettungswagen, nachdem das Kraftrad ohne Fahrer vorbeigerollt war.
Eltern mussten nicht lange überlegen
Noch am selben Tag wurde Aykut im Krankenhaus von Igdir fünf Stunden lang operiert und anschließend in ein künstliches Koma versetzt. Die ganze Familie, die ihren Urlaub eine Woche vor dem 17-Jährigen beendet hatte, flog wieder nach Anatolien. "Uns wurde gesagt, die OP sei gut verlaufen. Sein Körper reagiere auf die Medikamente, er sei stabil", erzählt Selina Dalga. "Wir hatten Hoffnung."
Am Montag, 2. September, sollte ihr Bruder aus dem Koma geholt werden. Stattdessen teilte Chefarzt Dr. Ragit Ilhan den Dalgas mit, dass Aykuts Hirntod eingetreten sei. "Und er fragte meine Eltern gleich, ob sie mit Organspende einverstanden seien. Sein Körper wurde bei dem Unfall kaum verletzt."
Murat und Selda Dalga berieten nicht lange und stimmten zu. Aykut wurden das Herz, zwei Nieren, die Leber und die Augenhornhaut entnommen. "Das Herz ging an einen 28-jährigen Mann in Istanbul. Die anderen Organe kamen ans Krankenhaus in Erzurum, über die Empfänger haben wir keine Informationen", sagt Selina Dalga. "Uns wurde nur gesagt, dass Aykuts Organe fünf Menschenleben gerettet haben."
Großes Medieninteresse
Türkische Medienportale wie CNN Türk und viele weitere berichteten groß über die fünffache Spende, filmten den Abtransport der Organe, interviewten den Chefarzt und Vater Murat. "Organspende ist in der Türkei nicht so weit verbreitet wie hier", erklärt Tuncay Dalga, der Cousin des Verstorbenen. "Manche Muslime glauben, der Körper muss komplett zurückgehen."
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland hat in einer Erklärung im Jahr 2013 Organspende ausdrücklich gebilligt mit dem Hinweis: "Organspende darf nur die letzte Wahl der Behandlung sein, wenn alle anderen Optionen nicht mehr helfen können." In der Erklärung heißt es auch: "Nach einer Organentnahme kann die Leiche nicht mehr unversehrt beerdigt werden." Für Schiiten, Anhänger der zweitgrößten Strömung innerhalb des Islams, "kommt Organspende nur infrage, wenn der Empfänger oder die Empfängerin auch Muslimin ist", heißt es in einer Informationsschrift der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Dr. Houiada Taraji, Frauenärztin und Mitglied im Bundesvorstand des Zentralrats der Muslime (ZMD) in Deutschland, erklärt: "Die Unversehrtheit wird heute mehrheitlich im übertragenen Sinne verstanden. Ein Leben zu retten wird im Islam höher bewertet als die körperliche Unversehrtheit eines Toten zu bewahren." In einer Kampagne hat der Zentralrat der Muslime für Organspende geworben, außerdem beteiligt er sich jedes Jahr am bundesweiten Tag der Organspende.
In Deutschland gibt es laut der Deutschen Stiftung für Organtransplantation (DSO) pro Jahr durchschnittlich 11,5 postmortale Organspender je eine Million Einwohner; in der Türkei sind es rund 7,5. Die Stiftung zählte 2018 deutschlandweit 955 postmortale Organspender, das sind 67 Prozent der möglichen Spender. Europaweit gibt es in Spanien die meisten Organspenden.
Aykut wurde in Karlstadt geboren und war islamischen Glaubens. Aber er war auch ein junger Deutscher, der ab und zu Alkohol trank. Er spielte gerne Fußball und half manchmal im Dönerladen seines Cousins aus. "Nach dem Urlaub wollte er in Würzburg seine Ausbildung zum Fachlagerist beginnen", sagt seine Schwester. Aber Aykut kehrte nicht mehr zurück nach Deutschland, er wurde schon am Tag nach seinem Tod in Igdir beerdigt.
Familie sucht Kontakt zu Organempfängern
In Karlstadt wird sein Vater Murat Dalga zurzeit oft von Verwandten besucht. Sie kommen aus Köln oder aus den Niederlanden. Keiner macht ihm Vorwürfe wegen der Organspende. "Es ist für uns alle ein Trost zu wissen, dass fünf andere Menschen jetzt leben. Aykuts Organe leben weiter", sagt Selina. "Manchmal sagt mein Vater, dass er jetzt fünf weitere Kinder hat."
Die Familie bemüht sich darum, Kontakt zu den Organempfängern zu bekommen. Dr. Ilhan will diesen vermitteln. "In der Regel bedanken sich wohl die Empfänger bei den Hinterbliebenen des Opfers, hat man uns gesagt", berichtet Selina Dalga. Die 20-Jährige besitzt schon länger einen Organspender-Ausweis. Viele der Verwandten und Bekannten sagen, sie werden sich nun auch als Organspender eintragen lassen. Wegen Aykut.
kommendes mitgefühl mitteilen
gleichzeitig bewundere ich ihre Entscheidung
und wünsche mir auch in Deutschland viele nachahmer