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Karlstadt
Der Täter ist häufig ganz nah: Wie können Eltern ihre Kinder vor sexualisierter Gewalt schützen?
Bei einem Vortrag im Karlstadter Kinderhaus zeigte Präventionsberaterin Tina Ehrenfeld auf, wie Eltern ihre Kinder schützen können und auf was sie achten sollten.
Während der Corona-Pandemie wurden in 6,5 Prozent aller Haushalte in Deutschland Kinder gewalttätig bestraft. (Symbolbild)
Foto: Maurizio Gambarini. dpa | Während der Corona-Pandemie wurden in 6,5 Prozent aller Haushalte in Deutschland Kinder gewalttätig bestraft. (Symbolbild)
Dorothea Fischer
 |  aktualisiert: 27.04.2023 16:23 Uhr

Gewalt – vor allem gegenüber Kindern – ist zwar verboten. Doch daran hält sich nicht jeder*. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern ihre Kinder schützen. Auch Mitarbeitende in Kindertagesstätten (Kitas) müssen sich zum Wohl der ihnen anvertrauten Kinder mit dem Thema Gewalt, unter anderem sexualisierter Gewalt, auseinandersetzen.

Tina Ehrenfeld, Leiterin des Kinderhauses "Zur Heiligen Familie" in Karlstadt, hat eine Weiterbildung zur Präventionsberaterin gemacht. Die zweifache Mutter informiert und sensibilisiert andere Einrichtungen, Eltern und Vereine für das Thema. Bei einem Elternabend in der Karlstadter Kita erklärte sie, wer die potenziellen Täter (sexualisierter) Gewalt sind, wie sie vorgehen, um das Vertrauen der Kinder zu gewinnen, und warum Eltern oft nichts von einem Missbrauch bemerken.

Wie schützt das Gesetz Kinder vor Gewalt?

Gewalt ist grundsätzlich verboten – egal ob im Elternhaus, in Kita, Schule oder anderswo. Gewalt bedeutet, jemand macht etwas mit dem Kind, das es nicht möchte und wobei es sich schlecht fühlt, etwa weil es Schmerzen hat, es sich bedroht fühlt oder unangenehm angefasst wird. Allen voran das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) regelt, dass Kinder ein Recht auf Pflege und Erziehung unter Ausschluss von Gewalt, körperlichen Bestrafungen, seelischen Verletzungen und anderen entwürdigenden Maßnahmen haben. Ins Detail gehen dabei zum Beispiel Leitlinien und Präventionsordnungen der Träger einer Kita.

Tina Ehrenfeld, Präventionsberaterin und Leiterin des Kinderhaus 'Zur Heiligen Familie' in Karlstadt.
Foto: Dorothea Fischer | Tina Ehrenfeld, Präventionsberaterin und Leiterin des Kinderhaus "Zur Heiligen Familie" in Karlstadt.

Wer sind die Täter sexualisierter Gewalt?

Täter sind vor allem Menschen aus dem Umfeld der Kinder, denen sie vertrauen. Einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zufolge missbrauchen vor allem Familienmitglieder und Menschen aus dem näheren Umfeld Kinder. Am häufigsten wurden Bekannte genannt, etwa der Nachbar, der auf die Tochter aufpasst, aber auch (vermeintliche) Freunde der Familie oder ein Onkel.

Wie gewinnen Täter das Vertrauen ihrer Opfer?

Täter planen ihr Verhalten perfide. Sie wenden gezielt Testrituale an, berühren das Kind scheinbar aus Versehen, geben ihm Kosenamen. Haben sie das Vertrauen gewonnen und wehrt sich das Opfer nicht, überschreiten die Täter Grenzen und nehmen zunehmend sexualisierte Handlungen vor. Die Wahrnehmungen des Opfers werden durch die Steigerungen der Handlungen "vernebelt". Die Täter teilen etwa Geheimnisse mit den Kindern, heben sie in einen Sonderstatus. Die Opfer bekommen auf der Suche nach Zuwendung das Gefühl, dass der Täter zu ihnen steht.

Warum bemerken Eltern oder nahestehende Menschen oft nichts von einem Missbrauch?

Wenn der Täter das Opfer so manipuliert hat, dass es nicht über die Taten spricht, merken nahestehende Menschen oft nichts davon. Vielleicht haben sie eine vage Ahnung, wollen aber niemanden vermeintlich zu unrecht verdächtigen. Schließlich kümmert sich der Täter "liebevoll" um das Kind. Sie denken, dass so jemand niemals zum Täter werden könne. 

Was können Eltern präventiv gegen (sexualisierte) Gewalt an Kindern tun?

Eltern und Vertrauenspersonen sollten einem Kind genau zuhören, was es zu erzählen hat und ihm immer unvoreingenommen glauben. Sie sollten offen mit dem Kind über Gefühle sprechen – die eigenen und die des Kindes. So lernen Kinder, dass es in Ordnung ist, Wut oder Trauer auszudrücken. Es ist wichtig, gemeinsam als Familie viel Zeit zu verbringen. Kinder lernen im Umgang mit anderen soziale Kompetenzen zu entwickeln. Dazu gehört es auch, zu streiten und verzeihen zu können.

Eltern sollten Kunstnamen für Geschlechtsteile vermeiden und stattdessen alle Körperteile beim Namen nennen. So fällt es im Falle eines Missbrauchs leichter, darüber zu reden. 

Was sollten Eltern besser nicht tun?

Manche Experten raten, dass Eltern mit ihrem Kind ein Codewort vereinbaren sollen. Wird das Kind von einem Fremden angesprochen, soll es mit dem Wort sicherstellen, dass der Fremde tatsächlich von den Eltern geschickt wurde. Davon rät Tina Ehrenfeld ab. Ein solches Codewort macht Kindern Angst. Zudem ist die Gefahr groß, dass Kinder es im entscheidenden Moment vergessen. Besser ist es, Kindern klar zu machen, dass sie wegrennen und laut um Hilfe rufen oder an der nächsten Türe klingeln sollen.

Wann sollten Eltern oder nahestehende Menschen hellhörig werden?

Ein Kind teilt im Durschnitt sieben Mal mit, bis nachgefragt oder ihm geglaubt wird, dass etwas Unangenehmes passiert ist. Oft bemerken Eltern nicht, was das Kind mitteilen möchte, weil ihm schlichtweg die Worte dafür fehlen. Es ist wichtig, ihm zuzuhören, wenn es etwas erzählt, das es beschäftigt.

Tina Ehrenfeld hält einen Vortrag im Kinderhaus 'Zur Heiligen Familie' in Karlstadt zum Thema 'Prävention vor (sexualisierter) Gewalt'.
Foto: Dorothea Fischer | Tina Ehrenfeld hält einen Vortrag im Kinderhaus "Zur Heiligen Familie" in Karlstadt zum Thema "Prävention vor (sexualisierter) Gewalt".

Was können Eltern tun, wenn sie einen Verdacht auf Missbrauch haben?

Gibt es einen Verdacht, sollten Eltern das Verhalten des möglichen Täters beobachten und sachliche Hinweise sammeln. Sie können auch andere Kinder anhören, die etwas mitbekommen haben könnten. Erhärtet sich der Verdacht, kann man Hilfe bei jemanden holen, dem man vertraut, etwa bei anderen Verwandten oder auch in der Kita.

Was tun Kitas präventiv gegen (sexualisierte) Gewalt an Kindern?

Es gibt regelmäßige Schulungen, ein Schutzkonzept und einen Verhaltenskodex für die Mitarbeitenden. Darin ist etwa vermerkt, wie man einem Kind beim Anziehen hilft; oder dass Küssen von Kindern durch Mitarbeitende untersagt ist. Kinder können schon in der Kita ihre Rechte ausüben lernen, zum Beispiel bei der Abstimmung darüber, wie die Osternester aussehen soll, die die Kinder basteln werden.

Eine große Rolle spielen Beobachtungsbögen, in denen die Erzieherinnen und Erzieher die Entwicklung der Kinder dokumentieren und mit den Eltern besprechen. Nur wenn Eltern bestärkt werden, auf Auffälligkeiten zu achten, und für Gefahren sensibilisiert werden, können ihnen Anomalitäten auffallen.

Was tun Kitas bei einem Verdacht auf (sexualisierte) Gewalt an Kindern?

Wenn ein Kind vermehrt blaue Flecken oder schwere Verletzungen hat, dokumentieren das die Mitarbeitenden der Kita. Spätestens wenn das ein zweites Mal vorkommt, informieren sie das Jugendamt.

Sollte man Kinder für die Gefahren (sexualisierter) Gewalt sensibilisieren?

Besonders wichtig ist es, dass Kinder von klein auf lernen: Mein Körper gehört mir, niemand darf mich zu Körperkontakt mit anderen zwingen. Je älter Kinder werden, desto mehr kann man ihnen zumuten. Es gibt eine große Auswahl an Bilderbüchern zu den Themen "Ich und mein Körper" oder "Ich gehe nicht mit Fremden mit". Allerdings sollte man darauf achten, Kindern keine Angst zu machen. Auf der Welt passiert sowieso schon viel Schlimmes. Kinder sollen stattdessen dem Leben vertrauen und stark sein. 

* Wie Studien beweisen, geschieht ein Missbrauch in der Mehrheit der Fälle durch Männer. Frauen spielen eine völlig untergeordnete Rolle. Deshalb werden im Text ausschließlich männliche Bezeichnungen verwendet.

Hier gibt es Hilfe

Über präventive Erziehung gegen sexuellen Missbrauch informiert die Internetseite des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs Johannes-Wilhelm Rörig unter https://beauftragte-missbrauch.de.
Das Hilfetelefon sexueller Missbrauch ist kostenfrei und anonym erreichbar unter Tel.: (0800) 2255530. Das Angebot ist auch online erreichbar unter www.hilfe-telefon-missbrauch.online. Anfragen können auch per E-Mail gestellt werden: beratung@hilfetelefon-missbrauch.de
Quelle: dfi
 
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