
Anscheinend gibt es Eckartshofen nicht. Keiner in Lohr kennt es. Nicht einmal Google. Es spuckt verzweifelt Eckartshausen aus. Doch gibt es handfeste Indizien, dass Eckartshofen kein Hirngespinst ist: Es hat ein eigenes Ortsschild und einen eigenen Maibaum. Und das schon seit über 50 Jahren – von einer Corona-Pause abgesehen.
Eckartshofen ist ein stiller Mikrokosmos für sich im Norden des Karlstadter Ortsteils Wiesenfeld, jenseits des Ziegelbachs. Die Straße führt nach Massenbuch und zur Ruine Schönrain. 50 Anwesen, einige mit Nebengebäuden, Scheunen und Ställen. Viele wurden nach der Maibaum-Premiere gebaut.
Damals gab es in Eckartshofen keine Straßennamen
Blick in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Ziegelbach heißt "Thalgraben". Eckartshofen, das sind acht Höfe. Im Orts- und Postlexikon von 1865 werden Erlenbach und Rettersbach als zu Wiesenfeld gehörige "Weiler" genannt, Eckertshofen als "Einöde". Wiesenfeld hat etwas mehr als 1000 Einwohner – knapp 200 weniger als heute.
Die "Entfernung von der Mutterkirche" wird im Schematismus 1857 mit "1/12 Stunde" angegeben – also fünf Minuten. Amtliche Straßennamen gibt es nicht. Die Häuser sind durchnummeriert. Die Nummer eins ist dem ersten gleich hinter der kleinen Brücke über den Bach links zugeordnet. Bis zum Wiesenfelder Kirchturm sind es 325 Meter Luftlinie. Von Haus eins folgen links der Straße zwei bis fünf, rechts geht es zurück mit den Häusern sechs bis acht.

"Merken Sie was?", sagt Willi Kohlhepp. Der 72-Jährige wurde im Haus eins geboren, als achtes von neun Geschwistern. Sein Vater, ein Bauer aus Rettersbach, hatte es zwölf Jahre zuvor gekauft. Von hier aus, heute Eckarthofer Straße 25, sieht Kohlhepp Maibaum und Ortsschild. Dass Wiesenfelds Häuser von hier aus durchnummeriert wurden, hält er für denkbar. Das nährt den Stolz der Eckartshofer.
Häuserblockweise geht es dann weiter im Uhrzeigersinn. Die Kirche hat Nummer 129. Das Letzte, die 161, ist ein Eckhaus auf halbem Weg zwischen Kirche und Ziegelbachbrücke, heute die Eckertshofer Straße 7. Hier wurde die bekannteste Wiesenfelderin geboren: Dr. Ruth Westheimer, die am 4. Juni 96 Jahre alt wird. Aufgewachsen in Frankfurt, als Zehnjährige mit einem Kindertransport in die Schweiz gebracht, überlebte die Jüdin den Holocaust und wurde in den USA zu einer Pionierin der Sexualaufklärung. Bereits zu Lebzeiten beschreibt eine Tafel am Haus ihren Lebensweg.
Gerade einmal acht Höfe
Zurück in den heimlichen Ortsteil des Stadtteils: Als Kohlhepp dort aufwuchs, waren es - wie 100 Jahre zuvor – immer noch acht Höfe. Fünf Küh, ein paar Pferde und Schweine, zwölf Hektar Land, hatte sein Vater. "Aber ich war nicht geboren für die Landwirtschaft", lächelt der, der seine Brötchen als Maler und Tüncher, später als Lackierer verdiente. Zwischendurch war er auch mal in der Ziegelei tätig.
Die Ziegelei. Ziegel und Röder, das sind in Wiesenfeld Synonyme. Erich Röder wurde 1971 geboren, im Jahr der Maibaum-Premiere. Er wohnt in der Straße "Zur Ziegelei", nach der als dritte Straße noch die "Tongrube" dazukam. Eigentlich müsste sie "Zur neuen Ziegelei" heißen. Über 100 Jahre lang hatte es schon eine Ziegelhütte am südöstlichen Ortsausgang gegeben, im Ziegelhüttengrund. Anfang des 20. Jahrhunderts habe sein Großvater diese übernommen, so Röder. 1967 habe er sein Wohnhaus gebaut, sei mit dem Werk umgezogen.
Dann kam die Bahn. Seit 1986 fährt der ICE 600 Meter nördlich der Tongrube im Mühlbergtunnel Richtung Gemünden, Ziel Fulda. Die Röders müssen ihre alte Tongrube aufgeben, bekommen ein Gelände auf der anderen Seite der Trasse zugewiesen, am Fuße des "Junge Stendel", dem einstigen Schlittenberg für die Eckartshofer Kinder. 1996 verkaufen die Röders. Die Ziegelei geht durch drei Hände. Sechs Jahre später ist Schluss. In den Flachbauten wird seit 2004 Styropor recycelt. Die Tongruben inzwischen wertvolle Geotope, die Einöde zur Siedlung herangewachsen.

Den eigenen Maibaum, erzählt Willi Fritsch, hätten sie aus einer Laune heraus aufgestellt, als "lockere Sache" mit Umtrunk. Inzwischen eine 50-jährige Tradition. Rund vier Dutzend Eckartshofer seien da gewesen, davon "zwei Tische von den alten", so der 74-Jährige. Einige seien im Dorf gewesen, wo die Sänger die Maifeier ausgerichtet haben. Der Konkurrenzkampf - "wer hat den größeren?" - ist offenbar passe. "So streng sehen wir das heute nicht mehr." Ein paarmal sei er schon umgesägt worden, so Kohlhepp, "einmal von Auswärtigen". Heuer blieb alles ruhig.
Wiesenfeld mit seinen offiziellen und inoffiziellen Ortsteilen kommt auf vier Maibäume. Eine Besonderheit: das Ortsschild am Ziegelbach. Das wird im Juni abgebaut. Dann lieg es elf Monate in einer der alten Scheunen.

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