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LOHR
Der Nationalpark bewegt die Menschen
Wie würden Sie entscheiden? Bei einer, wenn auch nicht repräsentativen, Abstimmung über einen möglichen Nationalpark im Spessart überwogen bei der Podiumsdiskussion in Lohr tendenziell die ablehnenden, roten Stimmkarten.
Foto: Johannes Ungemach | Wie würden Sie entscheiden? Bei einer, wenn auch nicht repräsentativen, Abstimmung über einen möglichen Nationalpark im Spessart überwogen bei der Podiumsdiskussion in Lohr tendenziell die ablehnenden, roten Stimmkarten.
Johannes Ungemach
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:30 Uhr

Das Thema Nationalpark im Spessart zieht. Auf eindrucksvolle Weise zeigte sich das am Donnerstagabend in Lohr (Lkr. Main-Spessart). Dort stieß das argumentative Bruderduell zwischen den Brüdern Eberhard und Karl-Friedrich Sinner rund um einen von der Staatsregierung ins Spiel gebrachten möglichen Nationalpark im Spessart auf enormes Publikumsinteresse.

Schon eine Stunde vor Beginn war der Saal brechend voll

Schon eine Stunde vor Beginn gab es fast kein Durchkommen mehr. Am Ende drängten sich in der auf 200 Besucher ausgelegten Alten Turnhalle rund 400 Menschen. Sie erlebten einen phasenweise emotionalen, grundsätzlich jedoch von Sachlichkeit geprägten Diskussionsabend. Bei den Wortbeiträgen aus dem überproportional mit Vertretern aus Forstwirtschaft, Holzindustrie und auch Jägerkreisen besetzten Publikum überwogen deutlich die kritischen bis strikt ablehnenden Stimmen. Sichtbar wurde dies am Ende der gut zweieinhalbstündigen Diskussion bei einer symbolischen Abstimmung. In den in die Höhe gereckten Händen waren die eine Ablehnung des Nationalparks signalisierenden roten Kärtchen in der Überzahl.

Die Sinner Brüder haben vieles gemein, nur nicht die Meinung zum Nationalpark im Spessart

Wie unterschiedlich die Meinung zu einem Nationalpark im Spessart sein kann, zeigt sich exemplarisch an den aus dem Spessart stammenden Sinner-Brüdern. Beide sind gelernte Forstmänner. Der eine, Eberhard, war lange Jahre unter anderem als Minister in der Staatspolitik aktiv, der andere, Karl Friedrich, leitete viele Jahre den Nationalpark Bayerischer Wald.

Eberhard Sinner bezeichnete die beiden bestehenden Nationalparke in Bayern in seinem Plädoyer grundsätzlich als Erfolgsgeschichte. Der Spessart sei als Standort für einen dritten Nationalpark jedoch gänzlich ungeeignet. Es bestehe ein „sehr großes Risiko eines Misserfolgs“. Der Grund sei die Eiche. Jedes Exemplar dieser Charakterbaumart des Spessarts sei ein Ergebnis menschlichen Eingreifens in den Wald. Ohne die Unterstützung der Forstwirtschaft habe die Eiche im Spessart keine Chance gegen die im Kampf ums Licht deutlich konkurrenzstärkere Buche. Sie werde binnen 100 Jahren verschwinden. Die Eiche biete „Artenvielfalt hoch zehn“ und überdies „höchste ökonomische Wertschöpfung“ , so Eberhard Sinner.

Eberhard Sinner fürchtet die Schweinepest

Gegen einen Nationalpark sprächen auch die Schwarzwildbestände. Diese, so der ehemalige Verbraucherschutzminister, könnten in einem Nationalpark explodieren. Es drohe die Schweinpest.

„Heimat ist das Gewordene“, sagte Eberhard Sinner (72). Es gehe um Schöpfungsgeschichte. Im Spessart herrsche eine Harmonie zwischen Eichenkultur und Buchennaturwald. „Ich wünsche mir Abgeordnete, die den Charakter der Spessarteiche haben und vom Tief Horst nicht umgeweht werden“, sagte er mit Blick auf die Horst Seehofer zugeschriebene Idee eines dritten Nationalparks. Schon seit Jahren ist das Verhältnis Sinners zu Parteifreund Seehofer von einer deutlichen Distanz geprägt.

Der eine emotional, der andere mit abstrakterem Ansatz Der in Lohr beheimatete Eberhard Sinner appellierte in seinem Vortrag an das Heimatgefühl der Spessarter, setzte auf Emotionen und erntete dafür mehrfach kräftigen Beifall. Sein vor Jahrzehnten aus dem Spessart weggezogener Bruder Karl-Friedrich tat sich da schwerer. Zum einen sicher wegen der Zusammensetzung des Publikums, zum anderen wohl aber auch wegen seines etwas abstrakteren Ansatzes.

Er führte vor Augen, dass das Bewahren von großräumigen Naturlandschaften ein von der Bundesregierung ausgerufenes gesellschaftliches Ziel auch von internationalem Rang sei. Die deutsche Gesellschaft wünsche sich, dass Urwälder in der Dritten Welt geschützt werden, „doch hier bei uns soll es nicht gehen“, wunderte sich der 70-Jährige. In Deutschland machten Nationalparks aktuell 0,6 Prozent der Fläche aus. Damit stehe man im internationalen Vergleich an letzter Stelle, so Karl-Friedrich Sinner. Kernfrage: Will der Mensch Kontrolle abgeben und der Wert der Natur an sich anerkennen?

Es gehe auch im Spessart um die Kernfrage, ob der Mensch bereit sei, für einen Teil des Waldes auf Kontrolle zu verzichten und anzuerkennen, „dass Natur an sich einen Wert hat“. Aus dem Nationalpark Bayerischer Wald schilderte er, dass die Bevölkerung dort mittlerweile „stolz auf ihre Waldwildnis“ sei. Sie habe in einem Nationalpark überdies per Beirat ein größeres Mitbestimmungsrecht als im bewirtschafteten Staatswald. Gegen alle bestehenden Nationalparks in Deutschland habe es bei der Gründung aus der lokalen Bevölkerung teils heftige Widerstände gegeben.

Jedoch gebe es heute keine Region, die den Wunsch äußere, dass der Nationalpark wieder verschwinde, so Karl-Friedrich Sinner.

Er verwies auch auf den wirtschaftlichen Effekt eines Nationalparks, auf die mit ihm verbundenen millionenschwere Fördermittel und die direkt und indirekt damit verknüpften Arbeitsplätze. All die Wertschöpfung auch durch den gesteigerten Tourismus bleibe in der Region. Ein Nationalpark mehre den Lebenswert einer Region und sei daher mittlerweile auch für Unternehmen ein Standortvorteil, so Karl-Friedrich Sinner.

Aktuell seien im 42 000 Hektar umfassenden Staatswald des Spessarts nur rund 400 Hektar aus der Nutzung genommen. Dies 400 Hektar prägten jedoch die Artenvielfalt des gesamten Spessart. Wenn man mit einem Nationalpark einen deutlich größeren Bereich „aus den Fesseln der Bewirtschaftung“ nehme, entstehe „eine völlig neue Welt, wie wir sie heute nicht mehr kennen“.

Angst um Arbeitsplätze und vor Ungeziefer

Doch das Werben des ehemaligen Nationalparkleiters konnte längst nicht alle im Saal überzeugen. Forstunternehmer und Vertreter der Holzindustrie beschrieben einen drohenden Arbeitsplatzverlust, wenn der Holznachschub stocke. „Wir können nur Holz“, sagte beispielsweise Forstunternehmer Dietmar Reith aus Arnstein. Speziell die dicken Furniereichen gebe es nur in dem Bereich, der für einen Nationalpark infrage komme, sagte Richard Weis, Geschäftsführer des Lohrer Furnierwerks Mehling&Wiesmann. Ein privater Waldbesitzer warnte vor „Ungeziefer“, das sich rasant vermehre, wenn im Wald nicht ordentlich gewirtschaftet werde. Auch der ehemalige unterfränkische Forstpräsident, Dr. Hubert Nüßlein, sah ein erhöhtes „Risiko“ für Wälder, die sich selbst überlasse werden.

Der von solchen Redebeiträgen herausgeforderte Karl-Friedrich Sinner versuchte, um Vertrauen in die Selbstregulierungskräfte der Natur zu werben. Ein Nationalpark würde überdies nur rund zehn Prozent des Spessarts umfassen. Auf den übrigen 90 Prozent könne man wirtschaften wie bisher.

Schönauer: Deutschland muss sich schämen

Als einer der wenigen Befürworter eines Nationalparks meldete sich Sebastian Schönauer zu Wort, ebenfalls aus dem Spessart und stellvertretender Landesvorsitzender des Bundes Naturschutz. Man stehe beim Artenschutz in der Verantwortung für nachfolgende Generationen. Angesichts der wenigen Großschutzgebiete müsse sich Deutschland im internationalen Vergleich schämen.

Dem entgegnete Eberhard Sinner, dass Naturschützer jede Eidechse in einem Naturschutzgebiet retten wollten, ihnen aber die Eichen im Spessart offenbar egal seien.

Thorsten Schwab, Landtagsabgeordneter und Vorsitzender des den Abend organisierenden CSU-Kreisverbandes, sprach am Ende davon, dass man nun abwarten müsse, welches Angebot das Umweltministerium dem Spessart konkret unterbreite. Sein Fazit zu einem Nationalpark lautete: „Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm, wie befürchtet.“

Neben dem Spessart sind noch drei andere Regionen im Rennen

Aktuell, so Schwab, seien neben dem Spessart noch die Rhön, die Donauauen und ein Gebiet bei Kehlheim im Gespräch.

Nur im Spessart jedoch verfüge der Freistaat über zusammenhängende Eigenflächen im Ausmaß von mindestens 10 000 Hektar. Der Steigerwald, das erklärte Schwab auch, sei per Beschluss des Ministerrates aus der Nationalparkfindung definitiv ausgenommen.

Einer dafür, einer dagegen: die Brüder Karl-Friedrich Sinner (links) und Eberhard Sinner in Lohr.
Foto: Johannes Ungemach | Einer dafür, einer dagegen: die Brüder Karl-Friedrich Sinner (links) und Eberhard Sinner in Lohr.
 
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Kommentare
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  • N. R.
    Leider haben viele alte Leute so große Angst vor Projekten, wo mal was anderes gewagt wird als die Tradition.
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  • F. T.
    Vielen Dank für das Streitgespräch Sinner gegen Sinner. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Darf er auch, denn es handelt sich ja um ein hochinteressantes Gespräch zwischen den Brüdern Sinner um einen Nationalpark Spessart. Doch keine Diskussion über den Spessart, ohne dass das Wort Steigerwald fällt. So auch im Interview der Zeitung Main-Echo mit der Umweltministerin. „Jetzt ist zu klären: Was will die Region Steigerwald?“, so Ulrike Scharf. Wir vom Verein Nationalpark Nordsteigerwald wissen´s! Liebe Frau Umweltministerin, Ihren beherzten Einsatz für das Regionalentwicklungsprogramm Nationalpark wünschen wir uns im Steigerwald auch. Kommt der Steigerwald doch noch auf die Liste für Bayerns neuen Nationalpark? Denn einzigartig sind sie, die Ebracher Buchenwälder mit ihrem Mosaik aus Waldtypen auf engstem Raum.
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