
Mancher wird sich mit nostalgischen Gefühlen noch an das „Gatzerle“ erinnern, den roten Schienenbus zwischen Lohr und Wertheim. Seinen Namen hatte das auch liebevoll „Züchle“ oder „Wertheimer Bähnle“, in Wertheim „Lohrer Bahn“ genannte Personenzüglein von seinem quäkenden Warnton, den es ausstieß, wenn es sich näherte. Acht Bahnhöfe aus Buntsandstein gab es entlang der eingleisigen, nicht elektrifizierten Bahnstrecke.
Regulärer Schienenbus fuhr letztmals 1976
Das „Gatzerle“ hatte schon vor 40 Jahren, am 29. Mai 1976, seine letzte offizielle Fahrt von Wertheim bis nach Gemünden. 1976 kam auch das Aus für die damals noch zweimal täglich Güter fahrenden Dampfloks. Vor 25 Jahren, zum Jahresende 1992, war endgültig Schluss auf der Bahnlinie, dann wurde auch der Güterverkehr auf dem verbliebenen Streckenabschnitt Lohr–Trennfeld eingestellt. Zuletzt war nur noch ein Güterzug am Tag mit durchschnittlich 33 Tonnen Ladung gefahren.
Das Beste am Gatzerle, erzählt der Lohrer Wolfgang Dehm, waren die Sitzbänke mit umklappbaren Rückenlehnen, die es möglich machten, dass man entweder für sich saß oder sich gesellig gegenüber. Im Sommer konnte man sogar während der gemächlichen Fahrt die Tür öffnen und den immerhin leichten Fahrtwind am Eingang sitzend genießen. Für die Bauern auf dem Feld war das Bähnle wie eine rollende Zeitansage.
Bahnbetrieb seit dem Jahr 1881
Am 1. Oktober 1881 um 5.30 Uhr fuhr der erste Zug von Lohr in Richtung Wertheim. Eine Stunde später dampfte er wieder zurück. Zwischen Marktheidenfeld und Wertheim gab es drei Tunnel auf der Strecke. Der ursprünglich nicht vorgesehene Bahnhof Lohr-Stadt wurde erst ein Jahr später, am 15. Oktober 1882, eröffnet.

Außer den unmittelbaren Anliegergemeinden beteiligten sich an den Projektierungskosten auch Karbach, Marienbrunn, Sendelbach, Wombach, Windheim und Zimmern. Die Hoffnung war offenbar groß. Gar „eine Weltbahn, die den Norden mit dem Süden auf dem kürzesten Weg verbindet“, erhoffte sich der Lohrer Bezirksamtmann Nickel, wie er 1865 wissen ließ.
Verbindung mit der bayerischen Pfalz
Auch militärisch-strategische Überlegungen hatte es für den Bau gegeben, es sollte das bayerische Stammland mit der bayerischen Pfalz verbunden werden. Auf jeden Fall verband die gut 37 Kilometer lange Strecke das Großherzogtum Baden mit dem Königreich Bayern.
Schon in den Anfangsjahren jedoch war die Linie Lohr–Wertheim eine der „schlechtest frequentierten Strecken des ganzen bayerischen Eisenbahnnetzes“, wie die Betriebsabteilung der Königlich-Bayerischen Verkehrsanstalten im Mai 1885 dem Lohrer Stadtrat mitteilte. Kaum mehr als ein Dutzend Reisende wurden pro Zug gezählt.
Von Anfang an ein Zuschussgeschäft
Die Bummelbahn, die damals nicht schneller als 30 Stundenkilometer fahren durfte und langen Aufenthalt an den Bahnhöfen hatte, war vielen zu langsam. Auch der Güterverkehr brachte nicht den gewünschten Erfolg. Die Bahn erwies sich als Zuschussgeschäft.
Nach dem Zweiten Weltkrieg fuhren die Triebwagen-Garnituren bis zu 16-mal am Tag mainab- und mainaufwärts zwischen Lohr und Wertheim. Anfang der Siebziger Jahre unternahm die damalige Bundesbahn erste Versuche, den Personenverkehr der Nebenbahn einzustellen. Immer weniger Personen setzten sich in die Schienenbusse, auch weil sich Marktheidenfeld zur Schulstadt gemausert hatte und Schüler nun nicht mehr nach Lohr oder Wertheim pendeln mussten.
Vergebliche Proteste gegen die Stilllegung
Proteste gegen die Stilllegung halfen nichts, im Mai 1976 war Schluss mit dem „Gatzerle“. Ausgegatzt. Die Leute nahmen lieber das eigene Auto. Der Abschnitt Lohr-Bahnhof–Lohr-Stadt folgte am 22. Mai 1977.
Die letzte Sonderfahrt mit dem Schienenbus fand am 14. September 1991 von Lohr nach Lengfurt-Trennfeld statt. Aufgrund des stark zurückgegangenen Personen- und Güterverkehrs war der Bahnhof Kreuzwertheim von der Bundesbahn de facto schon im September 1967 aufgelöst worden.

Die Strecke Wertheim–Trennfeld wurde demontiert. Beim Abbau der stählernen Eisenbahnbrücke zwischen Kreuzwertheim und Wertheim kam 1984 ein junger Arbeiter ums Leben, als ein 70 Meter langes Brückensegment in den Main stürzte. Ein Teilstück der demontierten Mainbrücke wurde nach Schweinfurt verschifft, wo es eine seit 1946 bestehende Notbrücke der inzwischen ebenfalls stillgelegten Strecke Schweinfurt–Kitzingen ersetzte.
Tunnel als beliebtes Fledermausquartier
Durch den längsten der ehemaligen Bahntunnel, den 730 Meter langen Bettingbergtunnel, der als Refugium für Fledermäuse gilt, gibt es hin und wieder Führungen, eine Nutzung als Radweg wird immer wieder diskutiert. Ansonsten sind die Tunnel südlich von Marktheidenfeld heute funktionslos.
Der weiterlaufende Güterverkehr war auch kein Goldesel für die Bahn. Das Lengfurter Zementwerk wickelte den Zementtransport schon 1950 nicht mehr über die Schiene ab. Ab 1980 nahm das Güteraufkommen weiter rapide ab, nur noch sporadisch wurde nach Trennfeld gefahren. Die unaufhaltsame Verlagerung des Personen- und Güterverkehrs auf die Straße machte auch der verbliebenen Rumpfstrecke den Garaus. Die Beförderungsmenge ging in den letzten Jahren um etwa die Hälfte zurück.
Straßenbau auf alter Bahnlinie
Als erste Gemeinde hatte Rothenfels schon 1984 eine Streckenstilllegung beantragt. Das Argument: Die Bahnstrecke sei die einzig praktikable Trasse für eine Umgehung der autogeplagten Altstadt. Die Räume Lohr und Gemünden drängten zudem vehement auf den Ausbau der parallel zu den Schienen verlaufenden Staatsstraße als Zubringer zur A 3. Aus Gründen der „überregionalen Verkehrsverbindung, der innerörtlichen Verkehrsberuhigung, des Lärmschutzes und des Natur- und Landschaftsschutzes“ stimmte schließlich auch der Regionale Planungsverband Würzburg „ausnahmsweise dem Abbau der Bahnstrecke“ zu.
Nach der Stilllegung vor 25 Jahren wurde gleich Anfang 1993 mit dem Abbau der Schienen, Schranken und Signale südlich von Lohr begonnen.

Güterverkehr nur noch bis zur Lohrer Glashütte
Auf dem ehemaligen Bahndamm, etwa zwischen Rothenfels und Rodenbach, verlaufen hauptsächlich Radwege. In Rothenfels und Rodenbach entstanden tatsächlich Umgehungsstraßen auf Teilen der früheren Bahnflächen. Auch in Marktheidenfeld machte die Bahn Platz für den Straßenbau. Die ehemaligen Bahnhöfe sind heute meist in privater Hand.
Unvermutete S-Kurven in der Staatsstraße zeugen noch von der früheren Existenz der Eisenbahn. Lediglich auf dem Streckenabschnitt zwischen Bahnhof und Industriegebiet-Süd in Lohr findet heute noch Güterverkehr statt. Die Firma Gerresheimer Lohr erhält auf dem Schienenweg große Mengen von Soda und Sand zur Glasproduktion.
Über die Linie Lohr–Wertheim gibt es das Buch „Die Lohrer Bahn“ von Manfred Schneider und Viktor Jagodics.