In Venezuela sind sie müde geworden. Diejenigen, die Hoffnung auf Veränderung hatten. So auch die 27-jährige Andrea. Wie viele Menschen in dem lateinamerikanischen Land unterstützt sie Juan Guaidó, der sich im Januar 2019 zum Übergangspräsidenten ernannt und demokratische Neuwahlen versprochen hatte.
Der amtierende Präsident, Nicolás Maduro, war 2018 durch mutmaßlich manipulierte Wahlen an der Macht geblieben. Guaidó erhob sich und Venezuela schöpfte Hoffnung. Doch seither ist nichts passiert. Jetzt glaubt auch Andrea nicht mehr an Veränderungen. Ihre ganze Familie tut dies nicht mehr. Mitte 2019 sind sie geflohen, sie, ihr Mann und die zwei Kinder. Nach Peru.
Dort trifft Andrea Ende 2019 auf Maya Fleischer. Maya ist 20 Jahre alt, stammt aus Lohr und wollte nach ihrem Abitur ins Ausland. Über den Verein Main-Spessart für Peru entstand Kontakt zu Wolfgang Wackerbauer. Der ehemalige Priester aus Frammersbach lebt seit 2013 in Trujillo, einer großen Stadt im Norden Perus. Bei ihm kam Maya ab September 2019 etwa drei Monate unter. Sie arbeitete während dieser Zeit in der Förderschule "Centro de Educación Básica – Sagrada Familia", einer Einrichtung für Kinder und Jugendliche mit Autismus sowie Trisomie 21.
Ein "Herzensbeitrag"
Über ihren Gastvater lernt Maya schließlich Andrea kennen. Die beiden Frauen freunden sich an. "Andrea hat mir Schönes über ihre Heimat Venezuela erzählt. Aber dann sind wir auf ihre Fluchterfahrungen gekommen und die Ursachen dafür", sagt Maya.
Andreas Geschichte berührt sie. Als Maya zurück nach Deutschland reist, stellt sie einen etwa achtminütigen Beitrag für Radio Klangbrett zusammen, den Sender des Stadtjugendrings Aschaffenburg. Einen Beitrag mit Zitaten von Andrea, mit Hintergrundinformationen und Expertenmeinung über die Situation in Venezuela.
Mit diesem Beitrag hat Maya im Oktober den bayernweiten "radio for future"-Preis des JFF-Instituts für Medienpädagogik gewonnen (siehe Infokasten). Ein "Herzensbeitrag", wie Maya sagt.
Als sie mit Andrea ins Gespräch kommt, weiß Maya wenig über Venezuela. "Das erscheint uns aus Deutschland sehr weit weg", sagt sie. Über 50 Prozent der Menschen dort sind extrem arm, die Arbeitslosenquote beträgt 90 Prozent. Erschreckende Zahlen, denen aber das Konkrete fehle, um sie wirklich an sich heranzulassen, findet Maya. "Als ich mit Andrea geredet habe, habe ich bemerkt, wie allumfassend die Krise in ihrer Heimat ist. Politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich." Diese Krise, sagt Maya, habe für sie durch Andrea ein Gesicht bekommen.
Diesen Aspekt hebt auch die Radiopreis-Jury in ihrer Laudatio hervor. Die Rede hielt Medienpädagogin Melda Werstein vom JFF Institut. Darin heißt es: "Maya Fleischer gibt durch das Interview mit Andrea der jungen Generation in Venezuela eine Stimme. Ihrer Perspektivlosigkeit, aber auch ihren Hoffnungen."
Eine Stimme, ein Gesicht, das Maya auch über ihren Radiobeitrag hinweg bis in ihr Studium der Kommunikationswissenschaften in Bamberg verfolgt. "Die Lage aktuell in der Corona-Pandemie ist sowohl in Peru als auch in Venezuela katastrophal", sagt Maya. "Die meisten Menschen jobben dort als Straßenhändler oder Taxifahrer", erzählt sie. Und das ohne staatliche Absicherung. Wenn sie nicht mehr arbeiten können, greift kein Schutzschirm.
In Venezuela sei es noch weitaus schlimmer als in Peru. "Natürlich zerstört die Pandemie auch in Deutschland Existenzen", sagt Maya. Aber wenn sie die Bilder der Demonstranten hierzulande sehe, müsse sie doch den Kopf schütteln. "Da drüben verhungern Menschen", sagt sie. Es fehle an Wasser, Strom und Seife in Krankenhäusern. "Das rückt die Krise in unserer Industrienation schon in eine gewisse Perspektive."
Mit Andrea hat Maya noch Kontakt, sie sprechen regelmäßig über Videochat. Wenn alles wieder gut ist, hat Andrea gesagt, solle Maya sie besuchen. Dann in Venezuela. Denn so ganz hat Andrea die Hoffnung auf eine bessere Situation in ihrer Heimat noch nicht aufgegeben. Sie will zurück.