
Rote Bäckchen und kaum eine Falte – dass der älteste Karlstadter am Sonntag seinen 100. Geburtstag gefeiert hat, sieht man ihm nicht an. Doch neben diesen Äußerlichkeiten verfügt Alfred Hock über weitere erstaunliche Besonderheiten. Dazu zählt sein hervorragendes Gedächtnis. Auch erfindet immer wieder originelle Lösungen für kleine Probleme des Alltags. Und er könnte vor rund vier Monaten einen Weltrekord aufgestellt haben. Da ist er in einem Segelflugzeug über dem Saupurzel zwei Loopings mitgeflogen.
Wer im Web “Guinnessbuch der Rekorde”, „ältester Mensch“ und „Looping“ kombiniert, wird enttäuscht. Nichts taucht da über den ältesten Looping-Passagier in einem Segelflugzeug auf. Vielleicht ist es Alfred Hock. Am 1. September 2019 verwirklichte er einen lang gehegten Traum und ließ sich von Fluglehrer Florian Zaschka zweimal auf den Kopf stellen. Noch einmal wolle er das aber nicht machen, sagt der 100-Jährige jetzt: „Das ist nicht so einfach, das drückt ganz schön nach unten.“

Erste Segelflüge in den 1930er Jahren
Anschließend ließ sich Alfred Hock das Ereignis in seinem Flugbuch dokumentieren. Dort sind alle seine Flüge seit 1936 eingetragen. Als 16-Jähriger hatte er mit anderen Gleichaltrigen auf dem Saupurzel im offenen Schulgleiter "Grunau 9" seine ersten Flugversuche unternommen. Das waren zunächst nur „Rutscher“, um sich hineinzufühlen in die Position des Piloten am Steuerknüppel. Nach zehn solchen Versuchen durfte er damals den ersten „Sprung“ mit dem Segelflugzeug machen.

Trotz der Begeisterung fürs Segelfliegen war Alfred Hock dem zeitintensiven Flugsport aus beruflichen und familiären Gründen ferngeblieben. Erst als Rentner wurde er wieder passives Mitglied. Jetzt, bei seiner Geburtstagsfeier im Segelfliegerheim, ernannte Vorsitzender Burkhard Vogel das "aktive passive Mitglied" zum Ehrenmitglied. Diese Formulierung hat ihren Grund. Denn regelmäßig fährt Alfred Hock mit seinem roten Kadett auf den Saupurzel, repariert den Windenschlepp-Fallschirm oder schleift Tische und Bänke ab, um sie neu zu streichen. „Da halte ich die Jungen immer mal an, dass sie mithelfen.“
Das Morsealphabet präsentiert
Mit spitzbübischem Stolz beweist Hock eine Merkfähigkeit, so auch vor den rund 60 Gästen im Segelfliegerheim. Dort befestigte er eine Liste mit dem Morsealphabet an einer Leinwand. Er hatte einen Zeigestock vorbereitet, mit dem ein Assistent auf die Buchstaben hinter ihm deuten durfte. Unter dem Applaus der Gäste präsentierte er korrekt alle 24 Buchstaben plus die Umlaute. Beispiel: K ist "lang kurz lang". Die richtigen Antworten untermalte er mit Fingergesten in der Luft.

Bekommt er zu Hause Besuch, verblüfft er auch diesen gerne. „Da, frag mich mal ab“, sagt er und reicht einen kleinen Stapel Karteikärtchen. Auf der Vorderseite steht der Name der Person oder Firma, auf der Rückseite die dazugehörige Telefonnummer. Sein „Repertoire“ von 354 Festnetz- und 29 Handynummern reicht von den Burglichtspielen und Gastwirtschaften bis zu x-beliebigen Nummern wie dem eines Geschäfts für Naturheilmittel in Baden-Württemberg. „Das kenn ich überhaupt nicht“, sagt Hock verschmitzt. Hauptsache, die Nummer stimmt.
Ob er einen Trick für seine Gedächtnisspiele hat? Ein bisschen schon: „Mit 0176 zum Beispiel fängt die Nummer der Liesl Karlstadt an“ – beziehungsweise die des Gastwirts Rainer Kenner. Diese Parallele zieht er, um sich alle anderen Nummern in dieser Kombination zu merken. Einzelne Ziffern prägt er sich nie ein, sondern stets Zweier- oder Dreierpäckchen.
Wenig Alkohol
Und der Trick fürs Altwerden? Da zuckt Alfred Hock mit den Schultern. Bewusst hat er nie danach gestrebt. Abstinenzler ist er nicht, doch Alkohol kommt für ihn nur in kleinen Mengen infrage. Geraucht hat er ein bisschen für ein paar Jahre, dann aber dafür lieber kein Geld mehr ausgegeben.


Dass Alfred Hock überhaupt so alt werden durfte, ist ein riesiger Glücksfall. Im Krieg kam er mehrmals nur knapp davon. Bei Kaschau, heute Kosice in der Slowakei, „lagen wir in einem Erdloch mit einer Tür drüber, als die Russen uns mit schwerer Artillerie beschossen“. Ein Splitter drang von oben in die linke Schulter ein und wurde unterhalb des Schulterblatts herausoperiert, war also nicht weit vom Herzen entfernt durch den Körper gedrungen. Nach der Genesung ging es wieder an die Front. Und wieder bekam er einen Splitter ab. Als er später bei Rothenburg in amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet und auf einem Sattelschlepper zusammen mit den anderen umquartiert werden sollte, beschossen Deutsche den Transport. „Neben mir erlitt einer einen Kopfschuss.“
Dabei hatte der Krieg für den Karlstadter vergleichsweise ungefährlich begonnen. Im Zugbegleitkommando fuhr er neun Monate lang immer wieder über die Alpen nach Italien. „Wir transportierten zum Beispiel Telegrafenmasten, Motoren, Benzin oder Torpedos.” Im Süden nahm er gelegentlich einen Tag Urlaub, um sich etwa Venedig oder Pompeji anzusehen.
Höchstprämie für einen Verbesserungsvorschlag
Nach dem Krieg baute er zur Zeit der Währungsreform mit seinem Vater das Haus im Karlstadter Krönleinsweg. 1947 hatte er seine Frau Rosa Kunkel geheiratet. 1957 kam Tochter Ingrid zur Welt, fünf Jahre später Sohn Wolfgang. Schon vor dem Krieg hatte Alfred Hock bei der Firma Josef Schweitzer in der Karlstadter Hauptstraße Polsterer und Tapezierer gelernt und drei Jahre bei Möbel-Weber in der Würzburger Juliuspromenade als Polsterer gearbeitet. Doch nach dem Hausbau ging er in den 1950er Jahren zu Opel in Rüsselsheim und polierte dort chromblitzende Stoßstangen, ehe er sich 1962 in Karlstadt mit einer Polstererwerkstatt selbstständig machte.
Noch heute berichtet er über seine Verbesserungsvorschläge bei Opel. Für einen bekam er sogar die damalige Höchstprämie von 2500 Mark. Als seiner Frau das Treppensteigen immer schwerer fiel, konstruierte er für sie in Eigenregie einen Treppenlift. Vor zweieinhalb Jahren starb sie mit 97 Jahren.
Seitdem lebt er alleine in der Wohnung im Dachgeschoss seines Hauses. Und die Ideen gehen ihm nicht aus. So hat er kürzlich eine Erfindung für einen kleinen Helfer im Alltag gemacht, die aber noch nicht reif ist zur Veröffentlichung. Ein Segelfliegerfreund war so begeistert davon, dass er sie erst zum Patent anmelden will. Mit Zukunftsgedanken ist bei Alfred Hock auch mit 100 noch lange nicht Schluss.
