Lange Gänge, gemeinsame Mahlzeiten, gemeinsame Gebete und Messen, die eigene Klosterzelle: So sah das Leben von Schwester Magdalena Stauder aus, als sie noch im Kloster Neustadt wohnte. Seit Herbst 2019 hat sich einiges in ihrem Leben geändert. In ihrer kleinen Wohnung ist Platz für die verschiedensten Bedürfnisse: Es gibt eine Gebetsecke mit einer Kerze, einen Arbeitsplatz und eine bequeme Couch. Das wichtigste an der Wohnung aber ist ihre Lage: Sie liegt mitten drin in Marktheidenfeld, im Geschwister-Scholl-Ring 12.
Sie war 20 Jahre alt, als sich Magdalena Stauder entschloss, in den Dominikaner Orden einzutreten. Ins Kloster wollte sie eigentlich nie. Doch in ihr gärte es. Sie wollte in die Welt, helfen. "Berufe wie Entwicklungshelfer gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht", erzählt sie. Geboren und aufgewachsen in Mainz-Bretzenheim, traten damals viele Menschen aus ihrer Pfarrei in einen Orden ein oder gingen ins Priesterseminar. 1967 fasste sie ihren Entschluss.
Drei Jahre später, am 30. Mai 1970 legte sie ihre Profess ab: Ihr ewiges Gelübde, mit dem sie sich für immer an die Ordensgemeinschaft gebunden hat. Das jährt sich nun zum 50. Mal. Aufgrund Corona feiert Schwester Magdalena ihre "Goldene Profess" allerdings nur im engsten Kreis in einer Liturgischen Feier. Bemerkenswert: Auch Schwester Hilke, die derzeitige Priorin von Neustadt, feiert an diesem Tag ihre Goldene Profess. Beide stammen aus dem gleichen Ort und sind zusammen bei den Dominikanerinnen eingetreten.
Überlegungen: Wie können die verbliebenen Schwestern im Kloster ihre Bestimmung noch leben?
"Danach wollte ich eigentlich in die Mission, nach Südafrika. Doch die Apartheid machte mir einen Strich durch die Rechnung", erzählt Schwester Magdalena. Sie blieb in der Region und arbeitete auf dem Volkersberg in der Jugend- und Erwachsenenbildung sowie danach im Kindergarten Ansbach. Danach leitete sie 13 Jahre lang einen Kindergarten in Dießen am Ammersee. Ab dem Jahr 2000 kam sie als pastorale Mitarbeiterin nach Marktheidenfeld. Ihr Wohnort blieb aber immer Neustadt - bis zum Herbst 2019.
Seitdem lebt die 73-jährige Dominikanerschwester in Marktheidenfeld, sozusagen als Außenposten des Klosters. Hintergrund waren die Überlegungen: Wie können die verbliebenen Schwestern im Kloster ihre Bestimmung noch leben? Weltweit gibt es noch 105 Schwestern, die zu den Neustadter Dominikanerinnen gehören. 35 von ihnen leben in Deutschland, 18 im Kloster Neustadt, neun in Pflegeheimen in Lohr und Marktheidenfeld. Ihr durchschnittliches Alter ist 81 Jahre. Früher hat der Orden davon gelebt, dass die jungen Schwestern in der Welt Krankenhäuser, Schulen und Behinderteneinrichtungen betrieben. Heute müssen die Klöster aufgegeben werden, wie zuletzt Dießen, weil die Schwestern selbst pflegebedürftig sind.
Anblick einer Ordensschwester löst bei den Menschen manchmal etwas aus
"Was kann zum jetzigen Zeitpunkt unser Auftrag sein?", beschreibt Klaus Roos, geistlicher Begleiter der Ordensgemeinschaft, eine der Fragen, die die Klosterbewohner heute beschäftigen. Individuelle Lösungen mussten her. "Für manche Schwestern ist es gut, im Kloster weiterzuleben", sagt er. Für Schwester Magdalena aber bot sich ein anderer Weg an. "Der Gedanke war: Da sitzt eine Schwester und hat Zeit." Sie verwirkliche das, was die Kirche als ihren Auftrag ansieht: Bei den Menschen zu sein und Freude und Kummer mit ihnen zu teilen.
Dass bei manchen Menschen der Anblick einer Schwester etwas auslösen kann, hat er selbst erlebt. Er war mit einer Ordensschwester unterwegs, als diese auf einer Autobahn-Raststätte von einem Mann zielstrebig angesteuert und angesprochen wurde. Noch besser ist, wenn die Schwester vielen Menschen bereits bekannt ist: Seit 2000 ist Schwester Magdalena in der Region, war Gemeindereferentin in Marktheidenfeld. Hat Familiengottesdienste und Kommunionsvorbereitungen gemacht. Gründete erst vor kurzem wieder einen Gebetskreis.
"Pfarrer Becker hat zu mir gesagt: Geh' raus zu den Leuten. Du kannst das", erzählt die Schwester. Sie hatte anfänglich noch Zweifel, ließ sich aber darauf ein. Und hat seit dem viele starke Erlebnisse gehabt. Die meisten Begegnungen ergeben sich zufällig, beim Bäcker, im Kaffee, auf der Straße oder bei ihr vor der Haustür. "Manchmal schütten die Menschen mir ihr Herz aus und fragen danach: Warum erzähle ich Ihnen das eigentlich?", beschreibt sie. Manche klingeln aber auch bewusst an ihrer Tür. Oder kontaktieren sie per Telefon oder WhatsApp. Ihr Privileg: Die Zeit, die sie sich für jeden Einzelnen nehmen kann. "Wer hört heutzutage noch zu?", stellt sie die Frage. Auch in der Pfarrei seien die Leute hoch beschäftigt.
Operationsschwester oder Ordensschwester?
Dass sie eine Ordensschwester ist, sieht man der 73-Jährigen dabei nicht auf Anhieb an. Selten trägt sie ihre Ordenstracht. "Mir ist wichtig, dass ich nicht an solchen Dingen festgemacht werde. Die meisten kennen mich als Mensch", sagt sie. So kommt es, dass sie schon einmal gefragt wurde, ob das "OP" auf ihrem Klingelschild, das eigentlich ihr Ordenskürzel ist und für "Ordo Praedicatorum" steht, "Operationsschwester" heißt. Sie sei weniger für den Körper, als für Kopf und Geist zuständig, habe sie geantwortet.
Vor allem jetzt in Corona-Zeiten ist die Schwester gefragt: Von morgens bis abends kommen WhatsApp-Nachrichten rein oder es klingelt das Telefon. "Die Leute beschäftigt, wie sie mit der Situation umgehen sollen", erzählt sie. Sie bekommt aber auch viele Mut machende Texte, Bilder oder Videos. Die schickt sie an diejenigen weiter, die sie momentan gebrauchen können. "Vielen ist es auch wichtig, dass ich ihre Gedanken mit ins Gebet trage", erzählt sie. Mit alldem versucht sie zu vermitteln: Gemeinsam können wir das aushalten.
Unerfüllter Traum: In die Welt hinaus fahren und Kirche im Wohnwagen zu machen
Wo geht sie selbst hin, wenn sie mal reden will? "Ich kenne so viele Menschen auf der ganzen Welt, die stets ein offenes Ohr oder eine offene Tür haben", sagt sie. Und dann erzählt sie von ihrem Traum: Der Idee, mit ihrem Bruder Kirche im Wohnwagen zu machen: Loszufahren in die Welt, zu den Menschen. Daraus ist leider nichts geworden. Ihr Wohnwagen ist sozusagen stationär: im Geschwister-Scholl-Ring 12. Doch der Effekt ist ähnlich: Sie geht zu den Menschen und die Menschen kommen zu ihr.