Doppelte Premiere in der neuen Stadtbibliothek: Am Dienstagabend fand dort die erste Veranstaltung für die Öffentlichkeit statt. Zugleich war der Vortrag „Bedeutende Frauen in Philosophie und Geschichte!“ der Auftakt der von Stadtbibliothek, Volkshochschule und Kulturabteilung der Stadt Marktheidenfeld gemeinsam neu begründeten Kulturreihe „Wortkunst“.
Referent Florian G. Stickler, freute sich, dass im Zeitalter der Digitalisierung ein modernes Bibliotheksgebäude der Bedeutung des Buchs einen herausragenden Rang einräume. Er freute sich deshalb besonders, als erster an diesem Ort des Geists und der Kommunikation zu Gast sein zu dürfen.
Dass Bibliotheksleiterin Susanne Wunderlich zu diesem Ereignis unter einer sehr anspruchsvollen Themenstellung gerade 15 Gäste, meist Frauen, begrüßen konnte, sollte die Veranstalter nicht entmutigen. Neue Dinge müssen sich auch erst einmal ein wenig „einlaufen“ und kulturelle Themen, die nicht von vornherein dem gesellschaftlichen Mainstream entsprechen, sollten in einer Stadtbibliothek ebenso ihren Platz finden.
Stickler wies in seiner Einleitung darauf hin, dass die öffentliche Wahrnehmung von Philosophie und Geschichte in erste Linie von den Beiträgen von Männern dominiert werde. Dabei werde häufig übersehen, dass auch Frauen wesentlichen Einfluss auf die Geisteswissenschaften und den Lauf der Welt nahmen. Deshalb beleuchtete er eine kleine, individuelle Auswahl von Frauen, deren Wirkung von der Antike bis zur Gegenwart höchst bedeutsam gewesen sei.
Philosoph aus Würzburg
Der Würzburger Philosoph begann seine Betrachtung mit der altägyptischen Pharaonin Hatschepsut die um 1470 v. Chr. als Frau die Regierung in der 18. Dynastie des Neuen Reiches übernehmen konnte. Das damals vorherrschende Bewusstsein über die Macht der Sprache zeige sich darin, dass die Nachfolger der selbstbewussten Herrscherin bestrebt waren, ihre Person aus der Erinnerung zu tilgen. Auf der griechischen Insel Lesbos ließ im 6. Jahrhundert vor Christus die Dichterin Sappho mit ihrer Liebeslyrik aufhorchen: Sie könne, wie Stickler hervorhob, durchaus als frühe vorsokratische Philosophin verstanden werden.
Ein großer historischer Sprung führte in die Welt der mittelalterlichen Scholastik hin zur Kirchenlehrerin und Mystikerin Katharina von Siena (1347-1380). Die Ordensfrau und italienische Schutzpatronin habe großen Einfluss auf die katholischen Päpste im Zeitalter der Kirchenspaltung ausgeübt. Sticklers Blick richtete sich auch auf die Benediktinerinnen-Äbtissin Hildegard von Bingen (1098 -1179), die heute in erster Linie bei alternativer Medizin und Ernährung vertraut sei. Die katholische Kirchenlehrerin war Beraterin vieler Persönlichkeiten, eine geschätzte Predigerin und einflussreiche Mahnerin.
Dann leitete Stickler mit seinen Betrachtungen zur Gegenwart über. Zunächst erinnerte er an die Breslau geborene und in Auschwitz ermordete Ordensfrau, Frauenrechtlerin und Philosophin Edith Stein (1891-1942). An sie erinnern in Marktheidenfeld eine Straße und ein dort liegender städtischer Kindergarten. Sie war jüdischer Herkunft und konvertierte nach einer atheistischen Lebensphase zum Katholizismus, schloss sich 1933 dem strengen Orden der Unbeschuhten Karmeliterinnen an.
Die heilig gesprochene Schülerin des Philosophen Edmund Husserl gilt als bedeutende Vertreterin der Phänomenologie und wies Papst Pius XII. in Rom eindringlich auf von der NS-Diktatur in Deutschland ausgehenden Gefahren hin.
Begriff der Freiheit
Als die Philosophin des Existenzialismus werde die französische Schriftstellerin Simone de Beauvoir (1908-1986) betrachtet, deren feministisches Werk sich um den Sinn des Lebens und den Begriff der „Freiheit“ drehte. Als letzter Persönlichkeit wandte sich Stickler mit Hannah Arendt (1906-1975) vielleicht der Philosophin des 20. Jahrhunderts schlechthin zu. Die Schülerin von Martin Heidegger und Karl Jaspers befasste sich dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft sowie der Gefährdung der Freiheit in besonderer Weise.
Selbstbewusste Emigrantin
Die resolute und selbstbewusste Emigrantin von Deutschland in die USA blieb jedoch in erster Linie als Berichterstatterin des Eichmann-Prozesses in Israel und ihre Wendung von der „Banalität des Bösen“ in Erinnerung.
Nach seinem eineinhalbstündigen Vortrag hoffte Florian G. Stickler schmunzelnd darauf, mit seinem durchaus fordernden Vortrag die sprichwörtliche „Latte“ für seine Nachfolger in der neuen Stadtbibliothek „hoch“ gelegt zu haben.
Das wird sich bald zeigen, denn schon am Freitag, 13. April, will sich der frühere Koch und heutige Schauspieler Martin Menner an gleicher Stelle um 19 Uhr mit der Lesung aus dem Buch „Fein gehackt und grob gewürfelt“ von Julian Barnes in der Wortkunst-Reihe der Kulinarik zuwenden.