
Etwas überrascht war ich schon, als Willi Jaschek, 15-mal deutscher Kunstturnmeister, Olympionike 1964 in Tokio und vier Jahre später in Mexiko, erzählte, er kenne die Main-Post ganz gut. Sogar an das große Gebäude auf dem Würzburger Heuchelhof erinnert er sich noch.
Kein Wunder, denn der Sportler aus Heusenstamm nahe Frankfurt hat den Leuchtschriftzug mit dem Titel der Zeitung an dem Neubau installiert. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage kam er jetzt ins Frankenland. Am 2. September feierte er seinen 70. Geburtstag, und zwar im „Lamm“ in Heimbuchenthal – unter anderem mit seinem Turnerkollegen Günter Lyhs und dem Sänger Tony Marshall. Jaschek ist 1968 als Held von Mexiko bekannt geworden. Er turnte nämlich trotz gerissener Achillesferse weiter. Dadurch erreichte die deutsche Mannschaft, unter anderem mit Lyhs und Philipp Fürst, einen achtbaren 8. Platz.
Am vergangenen Wochenende waren Jaschek und viele ehemalige Sportler mit Partnern im Hotel „Löwen“ in Marktheidenfeld abgestiegen. Sie nennen sich selbst „Oldtimer-Olympia-Club“ (OOC) und treffen sich jedes Jahr woanders (wir berichteten bereits am Samstag). Die Namen sind den Jüngeren kaum geläufig, wohl aber der Generation 60 und 70plus.
Berni Schulze aus Duisburg zum Beispiel. Der 72-Jährige, der gut zehn Jahre jünger aussieht, war 15-mal deutscher Meister, zweimal Welt- und ebenso oft Vizeweltmeister im Rennkajak. 1968 in Mexiko gewann er sogar die Silbermedaille im Vierer, und er war auch 1964 in Tokio dabei. Er erklärt mir ganz fachkundig die Begriffe Kanu, Kajak und Kanadier. „Kanu ist der Oberbegriff. Beim Kajak unterscheidet man zwei Rennstrecken: das nicht-olympische Wildwasserfahren und den Wildwasser-Slalom, der ebenso zum olympischen Programm gehört wie die Flachwasser-Strecken im Einer, Zweier und Vierer. Im Kanadier kniet man und bewegt sich mit dem Stechpaddel vorwärts. Im Kajak erreicht man mit dem Doppelpaddel hohe Geschwindigkeiten.“
Muskelfaserriss
Von ihrer Olympiateilnahme 1972 in München schwärmt auch Christel Frese. Eigentlich müssten ihre Erinnerungen getrübt sein, denn die Deutsche, Europa- und Weltrekordlerin im 400-Meter-Lauf schied wegen eines Muskelfaserrisses vorzeitig aus. „Aber die Spiele damals waren ja die fröhlichen Spiele – bis zum Attentat auf die Israelis.“ Die Frohnatur und ehemalige Gymnasiallehrerin für Mathe und Erdkunde aus Euskirchen war auch sechsmal deutsche 400-Meter-Meisterin.
Zwei, die sich durch den Sport gefunden haben, sind Dr. Dieter Fingerle und seine Frau Uta. Dreimal standen sie ganz oben auf dem WM-Treppchen im Rollschuh-Paarlauf. Fünfmal wurden sie deutscher Meister. Zwei Dinge bedauert der Sportler: dass der Rollschuhsport heute nur noch schwach wahrgenommen wird und dass er mit seiner Frau nicht auch auf Schlittschuhe umgestiegen ist. „Die Weltmeister Marika Kilius und Manfred Schnelldorfer kamen vom Rollschuhsport und waren ja ausgesprochen erfolgreich.“ Er und seine Frau waren 1967 die letzten Paarlauf-Weltmeister aus Deutschland. „Für mich war der Sport immer nur eine angenehme Freizeitbeschäftigung. An erster Stelle stand immer der Beruf. Ich bereue das ganz und gar nicht.“ Das Städtchen Lohr kannte er schon vor dem Besuch der Gruppe am Samstag als zentralen Standort der Forschung von Bosch Rexroth. Fingerle war nämlich in leitender Funktion bei Bosch tätig.
Ein echter Strahlemann ist auch Hans-Georg Weil. Der Deutsche Mannschaftsmeister im Zwölfkampf der Turner vom TV Heusenstamm war Schreinermeister und lebt jetzt in Frankfurt am Main.
Hochdekorierter Handballer
Aus Haßloch in der Pfalz kommt Arno Scheurer. Er war hochdekorierter Handballer „mit der weitest- und meistgereisten Feldhandballmannschaft Deutschlands“, wurde aber bekannter als Funktionär: 1972 war er bei Olympia in München für die Eröffnungsfeier und die Schlussfeier zuständig und zwei Jahre später bei der Fußball-WM in Deutschland Organisationskoordinator.
Richtig reich ist kaum einer der Teilnehmer durch den Sport geworden. Allerdings gibt Willi Jaschek zu, dass ihm der Sport viel gebracht hat. Nach seiner Lehre als Elektriker in Offenbach wurde er 1977 Geschäftsführer, ein Jahr später Gesellschafter.
Die Liste der erfolgreichen Sportler, die jetzt in Main-Spessart weilten, wird komplettiert durch: Annemarie Schlosser-Flaig (fünfmal Weltmeisterin, sechsmal Deutsche Meisterin im Kunstradfahren, Karin aus dem Siepen (siebenmal Deutsche Meisterin, WM-Teilnehmerin im Badminton), Christine Ziser-Kreuzfeld (Welt- und Europameisterin, dreimal Vizeweltmeisterin und fünfmal Deutsche Meisterin, Bundestrainerin im Rollschuhlauf). Ehemalige OOC-Mitglieder sind oder waren Fußball-Masseur Erich Deuser, Rad-Weltmeister Rudi Altig, die Boxer Jürgen Blin und Dieter Kottysch sowie der langjährige Chef de Mission bei Olympia, Siegfried Perrey.
Früher, als sie noch fit waren, haben die OOC-Mitglieder die Bevölkerung stets mit Sport-Galas unterhalten. „Die waren alle ausverkauft“, erinnert sich Willi Jaschek.
Den vergangenen Samstag verbrachten die Gäste mit einer Stadtführung in Lohr, einem Besuch der Homburger Papiermühle und einer Weinprobe im Homburger Weingut von Hartwig Martin. Das nächste Treffen im kommenden Jahr führt sie in Hornberg im Schwarzwald wieder zusammen.




