
Der Bachlauf des Lohrbachs. Hier zwischen Neuhütten und Heigenbrücken liegt eine Wildnis-Oase, die vor Leben strotzt. Eisvogel, Reiher und Schwarzstorch gehen auf Fischjagd. Bachneunaugen, Köcherfliegenlarven, Amphibien und Libellen, Pfeilkraut und Igelkolben – sie alle gibt es hier. Ein Mikro-Urwald inmitten unserer Kulturlandschaft. Geschaffen von einem Ökosystemleister, Renaturierer und Wildnis-Architekten mit Feinsinn für Biotopvielfalt und Biodiversität: dem Biber.
"Wir brauchen ihn", betont Berit Arendt, Bibermanagerin für Nordbayern vom BUND Naturschutz in Bayern. Die meisten Sätze, die die seit zehn Jahren als Biberberaterin in Main-Spessart tätige Arendt zu hören bekommt, beginnen mit "Was wäre-wenn…". Was wäre wenn – der Biber den Gartenteich annektiert? Er im Dorf einen Damm baut? Beim Schwimmen einen Menschen beißt?
"Der Biber ist nicht der Weiße Hai und auch nicht unser Feind", sagt die Expertin. "Allerdings: Der Biber ist ein wildes Tier, das sich wehren kann." Dort wo sich der Biber einen Lebensraum erschlossen hat, seien Respekt und Vernunft angebracht.

Wer sich einer Biberfamilie mit Jungtieren nähert, überschreite eine Grenze und riskiere einen Angriff. Das sei jedoch nicht die Norm, meint Arendt, denn in der Regel flüchten Biber ins Wasser, wenn sie unsicher sind oder sich bedroht fühlen. Nur wenn sie verletzt sind und nicht fliehen können, oder wenn sie ihre Jungen schützen, wehren sie sich. "Das ist keine Aggressivität, das ist Instinkt." Man müsse bei jedem Wildtier mit gesundem Menschenverstand agieren, so Arendt und fragt: "Wer würde sich denn einer Bache mit Frischlingen nähern?"
Biber suchen mit zwei Jahren ein eigenes Revier
Biber leben monogam und bekommen etwa drei Jungtiere pro Jahr. Ab Mai/Juni kommen die Kleinen das erste Mal aus der Burg heraus, um in die zweijährige "Biberlehre" innerhalb ihrer Familie zu gehen. Danach machen sie sich auf die Suche nach eigenen Revieren. Zumindest die, die übrig bleiben. "Gut die Hälfte der Jungtiere kommt ums Leben." Sie haben Probleme mit der Umstellung von Muttermilch auf feste Nahrung und Feinde: Fuchs, Wolf, große Greifvögel, Raubfische und Hunde. Außerdem enden illegale Verfolgung und Verkehr oft tödlich.

Die Jungtiere, die überleben, begeben sich auf eine anstrengende Reise mit ungewissem Ausgang. Sie müssen durch bereits von Bibern besetzte Reviere, über Straßen und stranden dabei manchmal erschöpft in Gärten; dort bedienen sie sich an Gehölzen und Gemüsebeeten. "Wenn sich im Ort ein Bach, ein See oder Gartenteich befindet, bietet der den Tieren für kurze Zeit Sicherheit", so Arendt. Sind sie wieder bei Kräften, ziehen sie nach kurzer Zeit weiter.
Das Ziel der jungen Biber ist ein Platz am Wasser. Zum Schutz vor Feinden gräbt sich der Biber unter Wasser eine ansteigende Röhre in die Böschung; diese endet im Wohnkessel, seiner Schlafstätte und Kinderstube. Bricht der Bau an einer Stelle ein, legt er Äste, Schlamm und Steine auf; so entsteht die typische, von außen gut sichtbare Biberburg.
Der Biberdamm – ein Bauwerk mit Konfliktpotential
Konfliktpotential mit dem Menschen birgt vor allem sein anderes Bauwerk: der Biberdamm. Diesen baut er in kleineren Gewässern, um den Wasserstand anzuheben: So liegt der Eingang zu seiner Burg unter Wasser und er kann sich schwimmend leichter fortbewegen, um seine Nahrung suchen. Hinter dem Damm staut sich das Wasser. Landwirtschaftliche Wege werden temporär überschwemmt oder brechen über den Höhlen ein, auch Bäume werden gefällt.

"Wie lange lassen wir das noch zu?", so lautet eine Frage, die Arendt häufig hört. "Die Hiobsbotschaft ist: Wir werden lernen müssen, wieder mehr Natur neben uns ‚auszuhalten‘ und auch mit diesem Tier zusammenzuleben. Es geht!" Einmal schon war der Biber bei uns ausgerottet. Ein Fehler, der sich nicht wiederholen darf, meint Arendt. "Wir werden in Zeiten des Klimawandels den Biber und seine Wasserrückhalte-Leistungen noch schätzen lernen."

Dass der Biber in unsere Landschaft gehört und ein Recht hat, hier zu sein, davon ist Berit Arendt fest überzeugt; und auch davon, dass Biber und Mensch friedlich miteinander leben können. Das zu akzeptieren werde Zeit brauchen, sowie sachliche und konstruktive Gespräche. Es komme darauf an: Was lassen wir zu? Wie wichtig ist uns unsere Natur und wollen wir sie verstehen lernen?"
Begegnung von Mensch und Biber
Blutige Revierkämpfe hinterlassen die Tiere geschwächt und verletzt. Über dieses strenge Territorialverhalten reguliert sich die Biber-Population; viele verletzte Tiere sterben. Findet man einen verletzten Biber, hat Fragen zu oder Ärger mit ihm, sei zuerst die Untere Naturschutzbehörde (UNB) einzuschalten. Arendt appelliert: "Lassen Sie sich helfen!" Manche wenden sich erst nach vielen Jahren an die UNB – viele Jahre mit Schaden und Frust. Auf keinen Fall dürfe man selbst aktiv werden: Biber, Biberdamm und Biberbauten stehen unter strengstem Naturschutz; Eingriffe werden als Straftat geahndet.

"Der Biber macht Dinge, ohne uns zu fragen", so Arendt. Auch deshalb gebe es das bayerische Bibermanagement – es soll ein Miteinander möglich machen. "Wir haben verlernt, die Natur mit anderen Lebewesen zu teilen, doch sie gehört nicht uns allein – sie ist Lebensgrundlage für alles Leben." Der Mensch sei es, der ganz andere "richtig fette Probleme" verursacht habe: Flächenfraß, Klimawandel, Artenschwund und Verlust von Feuchtgebieten. "Konkurrenzdenken und Angst vor Flächen- und Kontrollverlust durch den Biber? Das ist im Vergleich dazu lächerlich."