Auch jüdische Bürger der Stadt Gemünden standen auf den Deportationslisten der Nationalsozialisten. Besonders traurig und betroffen macht das Schicksal des kleinen Richard Hamburger, Zögling des St.-Josefshauses Gemünden, schreibt Autorin Birgit Amann.
Schicksal der Deportierten
Amann, die Initiatorin der einjährigen Veranstaltungsreihe „Das St.-Josefshaus und seine Kinder“, die an die systematische Tötung von Mensch mit Behinderungen auch aus dem Gemündener Heim in der Nazizeit erinnerte, lässt das Thema nicht mehr los. So recherchiert sie einzelne Schicksale der Deportierten aus der Region. Über viele Wege und Umwege kam Amann zum Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der TU München, wo sie auch auf den Namen Richard Hamburger aus Burgsinn stieß.
Der Neunjährige litt an Epilepsie
Richard Hamburger wurde am 3. Januar 1931 in Würzburg geboren, er litt an Epilepsie. Gemeinsam mit seinen Eltern Elisabeth und Hugo Hamburger sowie den Geschwistern Hilde, Johanna und Fritz-Walter lebte er im unterfränkischen Burgsinn, in der Fellener Straße.
1939 spitzten sich die Anfeindungen der Nazis gegen die jüdische Bevölkerung immens zu – auch in Burgsinn. Besonders schicksalsträchtig erlebte die Familie dort die Ausschreitungen in der Reichspogromnacht: Die jüdische Synagoge wurde vollkommen verwüstet und zerstört, Hab und Gut der Juden rissen sich die Nationalsozialisten unter den Nagel. Hugo Hamburger und sein Bruder Oskar, ein jüdischer Kaufmann, wurden inhaftiert, sie kamen für zwei Tage in das Gefängnis nach Lohr.
Antrag auf Auswanderung
Nach der Haftentlassung stellten Richards Eltern einen Auswanderungsantrag für die Vereinigten Staaten, der auch genehmigt wurde. Ausreisen wollten die „Hamburgers“ auf dem Schiffsweg. Zunächst verlief alles planmäßig – bis kurz vor Abfahrt des Dampfers. Die Familie befand sich bereits an Bord, als Richard einen epileptischen Anfall erlitt. Das Schiffspersonal bemerkte den Vorfall und verwies die jüdische Familie sofort von Bord. Im sogenannten Dritten Reich galt die strikte Doktrin: „Kranke und Behinderte dürfen nicht ausreisen.“
1939 Aufnahme im Josefshaus
Die „Hamburgers“ kehrten zurück in die Heimat und planten nochmals, diesmal einzeln und getrennt voneinander, die erneute Auswanderung. Richard sollte nachgeholt werden. Zunächst jedoch kam der Junge zu einem Verwandten nach Mannheim, dann am 29. November 1939 in das St.-Josefshaus Gemünden.
Von dort aus nahm das Schicksal seinen Lauf: Auf Anweisung des Reichsinnenministeriums wird er am 4. September1940, gemeinsam mit fünf weiteren jüdischen Kindern des Josefshauses, in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar (München) verlegt. Von dort aus geht es in den Tod: Am 20. September 1940 wird der kleine Junge mit einem jüdischen Sammeltransport nach Schloss Hartheim (Linz/Österreich) deportiert und noch am Ankunftstag in der Gaskammer dieser Tötungsanstalt getötet. Zum Todeszeitpunkt ist Richard gerade einmal neun Jahre alt.
Tötungsanstalt Hartheim
Im Schloss Hartheim in Österreich richtete der Oberösterreichische Landeswohltätigkeitsverein 1898 eine Anstalt ein, in der bis zum Jahre 1940 unter der Obhut von Schwestern behinderte Menschen gepflegt wurden. Mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 und dem Gesetz über die Überleitung und Eingliederung der Vereine, Organisationen und Verbände vom 17. Mai 1938 wurde der Landeswohltätigkeitsverein am 10. Dezember 1938 aufgelöst und die Leitung der Anstalt der Fürsorgeabteilung der Gauselbstverwaltung übertragen.
Im Frühjahr 1940 wurde das Schloss zu einer Euthanasie-Anstalt umgebaut; die Bewohner wurden zu diesem Zeitpunkt auf andere Pflegeanstalten verteilt. Sie sollten zu den ersten Opfern der Tötungsanstalt Hartheim werden.
Der erste Transport erreichte Hartheim am 20. Mai 1940. Zwischen 1940 und 1944 wurden im Schloss rund 30 000 Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung sowie psychisch kranke Menschen ermordet. Es waren Patienten aus psychiatrischen Anstalten und Bewohner von Behinderteneinrichtungen und Fürsorgeheimen sowie Häftlinge aus den KZ Mauthausen, Gusen und Dachau sowie Zwangsarbeiter. Quelle: Gedenkort Schloss Hartheim