(mh) Besondere Erinnerungen hat Nomy Lavie an das Novemberpogrom 1938. Diese hielt sie in einem Schreiben an Josef Laudenbacher fest und ergänzte sie bei ihrem Besuch im Januar.
„Den 9. November (1938) habe ich in Würzburg verbracht. In Karbach war die ,Kristallnacht‘ am 10. November. Meine Schwester und ich lernten in Würzburg an der jüdischen Volksschule, da wir nicht mehr in den deutschen Schulen lernen durften. Mein Vater war zufällig am 9. November in Würzburg, wo ich bei Freunden meiner Eltern war und in der Nacht wurde schon der Freund meines Vaters verhaftet. Wir hörten Scherben klingen.“
Nelly und Marta Heippert waren gegen Erstattung von Kost und Logis in der Würzburger Weingartenstraße zum Schulbesuch bei Fanny Steinhardt, Witwe des Weinhändlers Isidor Steinhardt und Schwägerin des Weinhändlers Sigmund Steinhardt, der am 9. November 1938 festgenommen wurde, untergekommen. Fanny Steinhardt, geborene Baumann, stammte aus Gemünden und war eine Schwester von Onkel Max Heipperts Frau Elsa, zu denen Nelly Heippert später nach Rishon LeZion auswanderte.
Nomy Lavie erinnert sich weiter: „Am 10. November, als wir zum Bus nach Karbach durch die Stadt gingen, sahen wir die zerstörten jüdischen Geschäfte. Die jüdische Schule war natürlich für lange Zeit geschlossen. Als wir nach Hause kamen, sahen wir unsere Mutter sehr besorgt wegen meines Bruders (Paul), der in Kitzingen in einer jüdischen Bäckerei arbeitete (und wo Onkel Max Heippert als Lehrer tätig war). Kurz danach kam ein Gendarm, der meinen Vater verhaftete. Ich schloss die Haustüre und ein wenig später wurde das Hoftor geöffnet und die Türe mit Gewalt aufgebrochen. Viele junge Burschen aus Nachbardörfern mit Hämmern und Beilen strömten in unser Haus. Sie schlugen und schmetterten alles zusammen, Fenster, Bilder an den Wänden, Lampen. Die Scherben flogen von allen Seiten. Ich höre heute noch die Geräusche von damals. Sogar den Marmor vom Waschtisch zertrümmerten die Leute. Wir zitterten vor Angst. Nie werde ich den Hass in den Augen der Menschen vergessen, die nur wenige Meter vor mit standen.
Nachher hatten wir kein Licht in der Wohnung. Wir hatten keine Ahnung, wo mein Vater war. Drei Wochen später kam er vom Gefängnis aus Lohr zurück. Er war nicht haftfähig für Dachau gewesen. Drei Brüder meines Vaters waren dort in Haft. Einer starb in Dachau.“ Ortsgruppenleiter Weigand (Lehrer in Urspringen) war sich nicht zu schade gewesen, von Ehefrau Jenny Heippert kurz vor der Entlassung noch Geld für die Freilassung zu erpressen.
An den Morgen des 11. Novembers erinnert sich Nomie Lavie auch noch: „Am frühen Morgen kam August Siegler und vernagelte die Fenster wenigstens mit Karton. Er brachte Glühbirnen, so dass wir wieder Licht hatten. Und Milch hat er uns gebracht, unsere Kuh war ja beim Nachbarn. Wir waren beschäftigt, Scherben und Schutt wegzuräumen. Außer August Siegler kam niemand. Es ist jetzt bald 70 Jahre her, aber ich kann es nicht vergessen!“
Auch nach dem Pogrom erinnert sich Nomie Lavie an Übergriffe auf ihren Vater, der als orthodox gläubiger Jude versuchte, verbliebene jüdische Ritualien zu verteidigen. Als er einmal blutig zusammengeschlagen wurde, hielt er trotzig sein Gebetbuch fest in den Händen und war so vollkommen wehrlos.