Wer eine neue Partei gründet, macht alles besser, als die, die gerade das Sagen haben. Jeder Amateur kann zum Populisten werden, auch der Kabarettist Mathias Tretter. Seine "Partei ohne Parteien" ist so eine Gründung – fiktiv auf der Bühne. Im Gegensatz zu anderen hat Tretter in seinem zweistündigen Programm etwas zu sagen. Allerdings kamen nur 90 Gäste, die den gebürtigen Veitshöchheimer beim Kabarettabend der Linsenspitzer in Erlenbach hören wollten.
Vermutlich lag das vor allem daran, dass das Veranstaltungsplakat mehr abschreckte als anlockte, so einige der Zuschauer. Provokant zeigt es das Konterfei des 46-Jährigen, der bereits mehrere Kabarettpreise erhielt: Die Haare in der Stirn, schwarze Brille, knallrote Lippen, dazwischen eine Kippe. Irritierend ist das Tattoo. "Pop" steht dort in großen Buchstaben.
Was ist die Steigerung von Jammern? Trettern!
Die Abkürzung steht für vieles, was den Abend ausmachte, nicht nur "Politkomik ohne Predigt". Sie spannte den Bogen über Populismus bis hin zu Plaudereien aus der Ehe. Hier bediente sich Tretter gängigen Klischees: "Wissen Sie, was die Steigerung von jammern ist? Trettern." Trotz des Abklatsches dessen, was man in der Comedy immer wieder hört, nahm Tretter seine Zuhörer mit. Gekonnt sprang er in verschiedene Rollen, erzählte von seinem "digital native" Sohn, den pseudophilosophischen Gesprächen mit einem Freund oder den Problemen der Geschlechteridentität.
Er dachte laut über die neue Maßeinheit "ein paar Klicks entfernt" nach. Er fragte sich, warum es nicht "im Internet schwabbeln" heiße, wo doch die meisten eher einen Bierbauch als den Adoniskörper eines Surfers hätten. Als "Windowing" bezeichnete der Kabarettist das, was es früher oft gab: Männer in Doppelrippunterhemden und kittelschürztragende Frauen, die sich aus dem Fenster lehnen und das Gesehene lautstark kommentieren; ins heutige "Denglisch" übersetzt: "analoges Chatten am Interface zwischen privatem und öffentlichem Raum."
Tretter spulte Programm ab, ohne mit den Gästen zu interagieren
Schade, dass Tretter sein Programm vor den etwa 90 Gästen in der Festhalle in Erlenbach nur abspulte, ohne mit ihnen zu interagieren. Dem Spiel mit der Sprache unaufhörlich konzentriert zu folgen, war eine Herausforderung. In manchen Passagen reihte Tretter Adjektive scheinbar wahllos aneinander, erfand neue Wörter, verschachtelte Sätze, wurde schneller und schneller und schaffte es dennoch, das Gesagte auf den Punkt zu bringen.
Er scheute nicht davor zurück, die Erkenntnisse großer Philosophen, Evolutionstheoretikern und Künstlern zu vereinen. Eine Viertelstunde Berühmtheit sagte einst Andy Warhol jedem Menschen voraus. Pech nur, "dass die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs höher ist, als die eines Menschen". Tretter ahmt vermutlich Warhols Aussehen in seinem "Pop"-Programm nicht ganz zufällig nach.
Der Kabarettist rief das Zeitalter des Amateurs aus. Jeder könne an Castingshows teilnehmen, sich als Journalist austoben. Der Hass auf Profis hab den USA Donald Trump beschert. Bescheiden fügte Tretter hinzu: "Ich will nicht über ihn reden. Ich bin ja selbst Komiker." Über das "Phänomen" Helene Fischer, einen "trällernden Eintopf in Hotpants", der echte Popstars wie David Bowie imitiere, wollte er indes schon reden.
Äußerungen wirkten stets unterhaltsam und nur selten abgehoben
Egal ob Politiker, die Bundeskanzlerin, deutsche Parteien oder Religionen: Jeder bot sich als Lästerobjekt für den Leipziger Anti-Populisten an. Nur als Atheist könne man alles richtig machen. "Das sind die nettesten Menschen, weil sie nicht nett sein müssen", so das Fazit.
Mit seinen Äußerungen wirkte er stets unterhaltsam und nur selten abgehoben – etwa, wenn die Zukunftsprognosen wie in einem Sciencefictionfilm klingen. Wer den Tod von Diana, die Mondlandung und die Terroranschläge am 11. September 2001 in eine Verschwörungstheorie packt, der kann das selbst nicht glauben. "Ich erzähle es trotzdem überall rum."