"Wer wird bei der Laterne steh'n, wenn sich die späten Nebel dreh'n?" Marlene Dietrichs Chanson "Lilli Marleen" leitete am Samstag die Lesung der in Berlin lebenden Schauspielerin Claudia Michelsen in der Stadthalle Lohr ein.
Stadthallenmanager Thomas Funck hatte die ausgezeichnete Schauspielerin für Kino, Fernsehen und Theater nach Lohr geholt. Bereits mit Beginn ihrer einstündiger Lesung wurde klar, dass Michelsen – selbst für ihre Wandelbarkeit bekannt – mit ihrer warmen Stimme und Ausstrahlung der so schillernden wie tragischen Persönlichkeit Marlene Dietrich nahe kommen würde.
Angst vor der Einsamkeit
Unter dem Titel "Sag mir, wo die Blumen sind" rezitierte die 1969 in Dresden geborene Künstlerin vor 25 Gästen Aufzeichnungen der 1992 verstorbenen Dietrich, deren Tochter Maria Riva und Aussagen von Regisseur Josef von Sternberg. Die Hollywood-Diva und Chanson-Sängerin Marlene Dietrich wurde am 27. Dezember 1901 als Marie Magdalene Dietrich in Berlin-Schöneberg geboren. Nur ihre Französischlehrerin habe ihre kindliche Angst vor der Einsamkeit erkannt und verscheucht, schrieb sie nieder.
Rilke als Wegbegleiter
Und: "Irgendwann in der Weimarer Republik war der Krieg zu Ende. Ich hatte eine wunderschöne Kindheit und Jugend und bin dank meiner Mutter gut vorbereitet auf das Leben." Ihre Wegbegleiter seien Goethe, Bach und Rilke gewesen.
Hoffnungslos verliebt
Nach abgebrochenem Violin-Studium nahm sie Unterricht an der Max-Reinhardt-Schauspielschule in Berlin. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann und Regisseur Rudolf Sieber kennen. "In ihn war ich hoffnungslos verliebt. Er war blond und schön und er liebte mich." Der Film "Der blaue Engel" unter der Regie von Josef von Sternberg war der Startschuss zu Dietrichs rasanter Karriere in Hollywood.
Bisexualität und Glitzerkleider
Ihr Markenzeichen wurden neben hautengen Glitzerkleidern Frack und Zylinder. Dem damals vorherrschenden klassischen Bild einer Frau entsprachen weder ihre Kleidung noch ihre Bisexualität. Von 1930 bis 1937 lebte sie in Hollywood und nahm die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Über von Sternberg schrieb sie: "Er ist mein Freund und Beschützer. Ohne ihn bin ich wie ein Schiff ohne Steuer."
Die Liebe ihres Lebens
Die Liebe ihres Lebens jedoch war der französische Schauspieler Jean Gabin. Er war ihr 1941 nach Hollywood gefolgt. "Ich war seine Mutter, seine Schwester, Freundin und vieles mehr", so Dietrich. Seite an Seite zogen sie in den Krieg, er als Panzerkommandant, sie als Frontfrau zur Truppenunterhaltung amerikanischer Soldaten. Als entschiedene Gegnerin des Naziregimes wurde sie von amerikanischen Soldaten bejubelt, von deutschen Kritikern als Vaterlandsverräterin gehasst.
Eine gemeinsame Zukunft in der Nachkriegszeit gelang Gabin und Dietrich nicht. Er verließ sie. Als ihr "Manifique" 1976 in Paris starb, schrieb sie verzweifelt nieder: "Wo bist du, du Liebe meines Lebens? Die Zeit heilt nicht. Die Narben schmerzen so sehr wie die Wunden."
Einsamer Tod in Paris
Nach mehreren Stürzen auf der Bühne zog Dietrich sich Mitte der 1970er von der "Show" zurück. Sie starb im Mai 1992 in Paris eigenen Worten zufolge "ernstlich verwundet". Ihr Leben endete einsam mit Alkohol und Tabletten.
In der Stadthalle erklang am Ende von Michelsens Lesung das Lied, das Dietrichs Leben zusammenfasste. Trotz ihres Erfolgs war es gepeinigt von Selbstzweifeln und der Suche nach Liebe und Anerkennung. Oder kurz gefasst: "Sag mir, wo die Blumen, die Gräben, die Männer sind. Wo sind sie geblieben?"