Sie hätten immer gut gearbeitet, habe man ihnen versichert. Sie seien profitabel gewesen, habe man ihnen versichert. Trotzdem stehen am Donnerstagnachmittag Dutzende Menschen mit Plakaten und Trillerpfeifen auf dem Schneiderplatz in Altfeld, die bald ohne Job sein werden. "Das gierige Schneiderlein" steht auf den Plakaten und "Ausgequetscht und weggeworfen".
Vergangene Woche hat der französische Elektronik-Konzern Schneider Electric endgültig beschlossen, jene Pläne umzusetzen, die schon vor der Pandemie aus der Konzernzentrale kamen. Die Fertigung wird aus Marktheidenfeld nach Lahr im Schwarzwald verlegt. "85 auf einen Streich", so steht es auf einem Plakat, der über 400 Arbeitsplätze am Standort Marktheidenfeld werden wegfallen. Und das mitten in einer Pandemie, mitten in einer Arbeitsmarktkrise.
"Das ist soziale Kälte. Das stößt die Kollegen in eine ungewisse Zukunft", sagt Andreas Kleiner ins Mikrofon. Der Betriebsratsvorsitzende der Marktheidenfelder Niederlassung steht vor einem roten Van der IG Metall. Neben ihm stehen die Protestierenden in neon-gelben Westen, vom Schneiderplatz bis zum Eingang des Gebäudes hört ein Großteil der Besetzung zu. Sie sind zur Unterstützung gekommen. Kleiner fragt in die Runde, rhetorisch, wie das zusammenpasst: Rekordgewinne und Entlassungen.
Im vergangenen Geschäftsjahr erzielte der aktiennotierte Konzern, laut eigenen Angaben, einen Gewinn von 2,4 Milliarden Euro, etwa die Hälfte davon schüttete man Anfang Mai als Dividende an Aktionäre aus. Ein Rekordgewinn, sagt Kleiner ins Mikrofon. Eine Rekorddividende, sagt der eigene Jahresbericht. Ungefähr zum selben Zeitpunkt informierte das Unternehmen den Betriebsrat über die Verlegung der Fertigung.
Mitarbeiter befürchten Arbeitslosigkeit
"Verlegung": So etwa klinge natürlich besser als "Schließung". Aber eigentlich sei es genau das, sagen einige der betroffenen Mitarbeiter nach der Protest-Betriebsversammlung über ihre Arbeitsplätze. Wo sich der Betriebsratsvorsitzende Kleiner noch kämpferisch gibt – "Die Hoffnung stirbt zuletzt" – gehen sie davon aus, dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren werden.
Einer davon wird vermutlich Siegfried Kohlhepp sein. Er ist seit 16 Jahren im Betrieb. Einmal habe er das Spiel schon mitgemacht. Vor etwa zehn Jahren sei er seinem Arbeitsplatz nach Lahr hinterher gezogen. Das schaffe er nicht noch mal. "Ich bin 60. Welche Zukunft habe ich wohl am Arbeitsmarkt", fragt er. Neben ihm eine Frau. Sie will nur soviel zu sich sagen, dass sie alleinerziehend und seit 14 Jahren bei Schneider Electric ist. Für einen Arbeitsmarkt während und nach Corona müsste man flexibel sein, sagt sie. "Mit einem Kind bin ich das nicht." Sie erzählen noch Geschichten von betroffenen Kollegen, viele seien über 20 Jahre dabei. Einer davon habe gerade erst in Altfeld gebaut und sei im Januar eingezogen.
Geschäftsführer begründet den Schritt
Ein Anruf bei der "Gegenseite" der Demonstranten. Geschäftsführer Thomas Martis geht sofort ans Telefon, was bei einem Geschäftsführer in dieser Situation nicht selbstverständlich ist. Er sagt: "Ich habe volles Verständnis für die Situation der Mitarbeiter. Ein solches Thema geht an mir auch nicht spurlos vorbei. Seit mehr als zehn Jahren kenne ich viele Mitarbeiter." Er verstehe es auch, seinen Unmut kundzutun, an der unternehmerischen Entscheidung werde das aber nicht viel ändern.
Warum geht Schneider Electric so einen Schritt? Hintergrund der Umstrukturierung sei, dass man die gesamte Lieferkette des Unternehmens vereinfachen wolle, sagte Martis schon im Juni. Zehn Prozent würde das sparen, heißt es aus der Belegschaft. Zehn Prozent für 85 Mitarbeiter – das sei nicht viel, heißt es weiter.
Schon während der Versammlung forderten viele der Redner – darunter auch Betriebsräte von Procter & Gamble sowie Warema – unternehmerische und soziale Verantwortung von Schneider Electric. Geht es nach dem Betriebsrat, sollten die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Für das Unternehmen scheint das jedoch vom Tisch.
Wie geht es nun bei Schneider weiter?
Für beide Parteien geht es jetzt in die Verhandlungen über den Interessensausgleich, wo über die Zukunft der 85 betroffenen Mitarbeiter entschieden wird. Martis sagt: "Es gibt zahlreiche Alternativen für Mitarbeiter, die betroffenen Mitarbeiter könnten in andere Bereiche kommen, oder nach Lahr." Sein persönlicher Fokus in den Verhandlungen werde aber auf der Weiterbildung liegen, "aber nicht so profane Berufscoachings, sondern nachhaltige Weiterbildung, damit die Menschen bessere Chancen auf den Arbeitsmarkt zu bekommen." Ob es aber einen solchen Arbeitsmarkt für sie gibt, muss sich weisen.