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LOHR
Das Familiengeheimnis
Carmelo Guercio aus Lohr ist der einzige in Deutschland, der nach einem streng geheimen Verfahren Hülsen für Oboen-Mundstücke fertigt. In der Branche ist er dafür berühmt.
Von unserer Mitarbeiterin Gabi Nätscher
 |  aktualisiert: 02.01.2012 17:14 Uhr

In seiner kleinen Werkstatt an der Lohrer Lehmskaute geht es international zu. Er liefert in die ganze Welt und ist mit seinem Produkt der einzige in Deutschland. Für die Herstellung hat er ein besonderes Geheimnis, das er niemandem verrät. Sein Produkt ist unscheinbar und klein, aber für Musiker, besonders Oboisten, äußerst wichtig: Carmelo Guercio fertigt Hülsen für Oboen-Mundstücke und ist in dieser Branche weltweit bekannt. Rund die Hälfte seiner Fertigung liefert er nach Japan, der Rest geht in die ganze Welt.

„Ich bin Dreher“, sagt der gebürtige Sizilianer bescheiden. Er ist mit 17 Jahren nach Deutschland gekommen, um zunächst in diesem Beruf zu arbeiten. Durch Zufall, nämlich über seinen Schwiegervater, kam Guercio dann dazu, Hülsen für Oboenmundstücke herzustellen: Nur in gute Hände wollte damals, 1978, der ehemalige Musiklehrer seiner Tochter, Siegfried Bulheller, seine bereits existierende Werkstatt abgeben.

Der Wombacher Erhard Siegler übernahm diese und bat seinen Schwiegersohn um tatkräftige Hilfe. Natürlich kam Carmelo Guercio sein Beruf als Dreher und Präzisionsschleifer auch zu Gute. „Da hab ich ein bischen Erfahrung, wenn was kaputt geht und ich muss was drehen“.

Seit dem Jahr 2000 ist Guercio hauptberuflich bei der Sache. Mittlerweile helfen ihm seine Frau Gertrud und auch manchmal die Töchter dabei – der Familienbetrieb blieb weiter bestehen. 2008 konnten sie die modernen Werkstatträume an der Lehmskaute beziehen.

„Profimusiker kann man nicht täuschen; die merken alles“

Carmelo Guercio, Dreher und Präzisionsschleifer

Die besondere Technik, mit der die angelieferten, einfachen, zylindrischen Messingrohre mit 0,2 Millimeter Stärke bearbeitet werden, hatte damals schon Bulheller erfunden. „Wir ziehen das Rohr in die gewünschte Form“, beschreibt Guercio den Unterschied. „So behält das Messig seinen Charakter“. Ähnliche Firmen in Frankreich oder Italien würden zum Beispiel schneiden und löten, aber das Ergebnis sei natürlich nicht das Gleiche. Häufig werde er gefragt, wie er das denn mache. „Aber das ist mein Geheimnis“, bleibt er verschwiegen.

Ein von ihm speziell angefertigter Dorn bringe das runde Rohr in die gewünschte konische Form, verrät er nur. Sogar einen Bauch könne er hineinmachen. „Das ist ja logisch, dass die Luft da nicht so schnell hindurchgeht, wie in einem geraden Rohr“ beschreibt er die Vorteile desselben.

Auch beim zweiten Teil, dem Korkstück, in das ein Loch gebohrt und die Metallhülse hineingeklebt wird, lässt Guercio äußerste Präzision walten: „Das muss auf den Hundertstel Millimeter stimmen, sonst passt es nicht“.

Diesen Unterschied würden gerade Profimusiker immer wieder merken, berichtet Guercio. „Die kannst du nicht täuschen, die merken alles!“ Seine Hülsen überzeugen immer wieder auch skeptische und „schwierige“ Musiker. So auch den bekannten Oboisten Albrecht Mayer von den Berliner Philharmonikern. „Der spielt jetzt auch mit meinen Blättern.“ Dieser habe von 1000 Hülsen eines anderen Herstellers immer nur rund 38 als geeignet befunden und verwendet.

„Er hat mein Zeug probiert und gemeint: 'Oh, klingt gut!'“, berichtet Guercio stolz. Wichtig sind ihm nämlich nicht der Profit, sondern die Künstler, die seine Arbeit schätzen. So pflegt er unter anderem auch auf der Frankfurter Musikmesse, die er jedes Jahr besucht, gute Kontakte zu Musikern und Musikhändlern, die sein Produkt vertreiben. Wenn er wieder einmal von einem Musiker eine CD mit Widmung geschickt bekommt, wo zum Beispiel steht: „Für Carmelo – Deine Hülsen sind spitze“ freut sich Guercio besonders: „Das macht Spaß bei meiner Arbeit.“

Seit 30 Jahren verbindet ihn auch eine enge Freundschaft mit dem japanischen Oboisten und Instrumentenbauer Yukio Nakamura, Gründer der Firma „Josef Oboe“ in Tokio. Rund die Hälfte seiner Hülsen liefert Guercio nämlich nach Japan – ein paar Tausend Stück pro Monat. „Josef“ hat Carmelo Guercio auch zu einem besonderen Highlight in seinem Leben verholfen und ihn im Juli dieses Jahres zum „Beijing International Oboe Festival“ nach Peking geholt. Auch in Tokio hat Guercio den befreundeten Kunden schon besucht.

Der Verdienst ist dem 61-Jährigen dann auch nicht das Wichtigste dabei. Nur 1,40 Euro bekommt er für das Einzelstück, für rund 2,60 Euro verkaufen es die Händler weiter. 22 Arbeitsgänge muss eine solche „Guercio-Hülse“ durchlaufen, bis sie fertig zum Verpacken ist. Das übrigens macht er am liebsten abends daheim vor dem Fernseher. So kann er auch noch die letzte Zeit nutzen. In Rente möchte er auch noch lange nicht gehen. So kann er die Ängste seiner treuesten Kunden zerstreuen: „Ich mache das noch lange weiter.“ Für 2012 hat er sich erstmal eine Dienstreise, diesmal in den Westen, nach Amerika, vorgekommen.

Familienbetrieb: In ihrer Freizeit hilft auch Tochter Corinna gerne mit. Hier ist sie am „Herzstück“ der Firma, der Maschine mit dem besonderen Dorn, mit dem die Metallhülsen gezogen, statt geschnitten und gelötet werden.
| Familienbetrieb: In ihrer Freizeit hilft auch Tochter Corinna gerne mit. Hier ist sie am „Herzstück“ der Firma, der Maschine mit dem besonderen Dorn, mit dem die Metallhülsen gezogen, statt geschnitten ...
Berühmt: Wichtiger als der Profit sind Carmelo Guercio die guten Beziehungen zu den Musikern, die mit seinen Hülsen spielen. Über CDs berühmter Oboisten mit anerkennenden Widmungen freut er sich besonders und zeigt sie stolz Werkstattbesuchern.
| Berühmt: Wichtiger als der Profit sind Carmelo Guercio die guten Beziehungen zu den Musikern, die mit seinen Hülsen spielen.
Das corpus delicti: Klein und unscheinbar, aber äußerst wichtig für Musiker ist die Guercio-Hülse, die für den guten Ton bei Oboen und Englischhörnern sorgt.
| Das corpus delicti: Klein und unscheinbar, aber äußerst wichtig für Musiker ist die Guercio-Hülse, die für den guten Ton bei Oboen und Englischhörnern sorgt.
 
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