
Ganz intensiv erleben die hiesigen Abgeordneten die Corona-Pandemie. Eine Vielzahl von Bürgern und Unternehmern wendet sich mit ihren Problemen, Sorgen und Nöten an sie. Die beiden Bundestagsabgeordneten Alexander Hoffmann (CSU) und Bernd Rützel (SPD), die diese Woche in Berlin weilen und die wir zwischen Sitzungen erreichen, haben sogar extra Corona-Telefonsprechstunden abgehalten. "Das läuft über alle Kanäle, die Leitungen glühen", sagt Hoffmann, sein Handy hängt immer am Netz. Rützel sagt: "Es war meine intensivste Zeit bisher, es war aber auch befriedigend."
Alexander Hoffmann erzählt, er habe bei Anrufen am Anfang immer den Vergleich mit einer Handbremse gezogen, bei der es besser sei, man ziehe sie etwas an, "als wenn wir merken, wir hätten sie viel früher anziehen müssen und sind jetzt schon an die Wand gefahren". Er sei positiv überrascht gewesen, weil es für die massiven Einschränkungen zur Corona-Eindämmung vor allem am Anfang breite Zustimmung gab: "Alle haben gesagt, es ist genau richtig, sogar diejenigen, die in den ersten Wochen sehr unmittelbar betroffen waren."
Viele Betroffene brauchten jemanden zum Reden
Sehr schnell meldeten sich bei dem CSU-Abgeordneten Betroffene mit sehr speziellen Problemen, etwa jemand, der in Argentinien festsitzt oder ein Ehepaar mit einem aus Haiti adoptierten Kind – ein Fall, der sich über Monate hingezogen habe. Viele brauchten jemandem zum Reden, hatten erhebliche Existenzangst, wussten nicht mehr weiter und konnten nachts nicht mehr schlafen. Vor allen Dingen Gastronomen, aber auch Messebaufirmen, Busunternehmer oder Brauereien traf es hart.
Hoffmann, der im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz sitzt, bekommt weiterhin jeden Tag Anfragen. "Ich kann mich an keinen Tag erinnern, wo nicht irgendwas gewesen wäre." Er glaubt, dass es wichtig ist, sich da nicht aus der Affäre zu ziehen. Am Karfreitag habe ihm etwa einer geschrieben: "Ich muss überlegen, ob ich am Dienstag ein KfW-Darlehen über 600 000 Euro aufnehme oder ob ich Insolvenz anmelde." Hoffmann: "Das ist natürlich ein Moment, wo ich nicht sagen kann, du es ist jetzt Ostern, wir telefonieren am Dienstag mal." Er habe ihn noch am Karfreitag angerufen.
Rettungspakete für bestimmte Branchen sind gerade ein großes Thema
Mittlerweile gehe es oft um Rettungspakete für bestimmte Branchen, etwa Reisebüros. Die Anfragen kämen zu 70 Prozent von denjenigen, die beruflich Konsequenzen durch Corona erleben. Es gab aber auch Fälle, bei denen jemand nicht über die Grenze kam, etwa Pflegekräfte oder Familienangehörige. Da konnte er es direkt an seinen parlamentarischen Staatssekretär im Bundesinnenministerium geben oder über sein Büro Rückholaktionen von Auswärtigem Amt oder Botschaften unterstützen.
Irgendwann seien auch Fragen nach Lockerungen gekommen. Vor allem Unternehmer, die schwer getroffen waren, hinterfragten, ob es denn so extrem hätte sein müssen und ob es weniger strikte Maßnahmen und damit weniger wirtschaftlicher Schaden nicht auch getan hätte.
Hoffmann erlebt zum Teil krude Verschwörungstheorien
Waren Anfragen bis dahin eigentlich immer wahlkreisbezogen, änderte sich das in den vergangenen vier, fünf Wochen. Kritische Stimmen gebe es unter den Anfragen nach wie vor wenige, aber inzwischen bekomme er über Facebook oder per Mail aus dem gesamten Bundesgebiet Zuschriften von Leuten, die die Maßnahmen generell hinterfragen. Darunter seien solche, die sie aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen hinterfragen, aber auch kleiner Teil mit Verschwörungstheorien. "Da sind dann auch Leute dabei, da wundert man sich", so Hoffmann.
Als Merkel in Quarantäne war, habe einer, diesmal ausnahmsweise aus dem Wahlkreis, vermutet, dass jetzt die Amerikaner im Kanzleramt säßen und Merkel verräumt sei. Einen, den er schon länger kennt und der per Whatsapp seltsame Dinge verschickt, hat er auch mal angerufen: "Du, ich will jetzt nur mal von dir wissen: Glaubst du den Scheiß?" Der teile heute immer noch so ein Zeug. "Da merkt man, dass man argumentativ nicht rankommt", sagt Hoffmann.
Er macht sich Sorgen, dass die Demokratie Schaden nimmt durch Verschwörungstheorien. "Da muss sich jeder drüber im Klaren sein, was er damit anrichtet, wenn er so was unkommentiert weiterverbreitet." Irgendwer glaubt's am Ende. Er hat festgestellt, dass Rechtspopulisten die diffusen Ängste für sich nutzbar machen wollen und jetzt bei den Impfgegnern fischen.
Rützel: "Seit März ist das explodiert"
Sein Bundestagskollege Bernd Rützel sagt über die letzten Monate: "Das war ganz extrem viel, seit März ist das explodiert." Er und sein Mitarbeiter im Büro hätten noch nie so viel zu tun gehabt wie in den vergangenen Monaten. Meist vom Homeoffice in Schaippach aus sei er in den vergangenen Monaten den ganzen Tag in Videokonferenzen und Telefongesprächen gewesen. Dazwischen hätten noch Sitzungen im menschenleeren Berlin stattgefunden. "Das war wie eine Geisterstadt", erzählt er.
Rützels gleich am Anfang eingerichtete Telefonsprechstunde, sei "sehr, sehr gut" gelaufen. Es hätten sich sogar Leute, die gar nicht aus dem hiesigen Wahlkreis sind, gemeldet. "Die Leute hatten ein ganz, ganz großes Informationsbedürfnis." Gleich am Anfang ging es vor allem um Soforthilfe, etwa von Tourismusunternehmen. Im Tourismusausschuss habe er sich immer wieder für die Jugendherbergen eingesetzt.
Ungeahnte Probleme bereiteten anfangs die KfW-Darlehen
Auch Firmen aus der Gastronomie wandten sich an Rützel. "Die haben nicht gewusst, wie es weitergeht." Anfangs sei bei KfW-Darlehen das Problem gewesen, dass 90 Prozent von staatlicher Seite und zehn Prozent von der Hausbank kamen, woraufhin die Hausbanken aber die komplette Summe prüfen mussten und die Firmen oft deswegen kein Geld gekriegt haben. Das zweite Paket, bei dem der Staat 100 Prozent der Ausfallbürgschaften übernimmt, habe manche Firma gerettet.
Auch Rützel berichtet, dass Kontakte mit Betroffenen oft keine einmalige Sache waren, sondern sich über längere Zeit hinzogen. Häufig sei ein längerer Briefwechsel mit den jeweiligen Stellen nötig gewesen. Auch viele Privatleute, die etwa ihre Miete nicht zahlen können, meldeten sich, oder Leute, die nicht wussten, wie sie es mit Kinderbetreuung machen sollen.
Rützel erlebt großes Verständnis für Corona-Maßnahmen
Bei den Bürgern habe "sehr großes Verständnis" für die Corona-Maßnahmen geherrscht. "Es ist kein Zufall, dass es vom Gesundheitlichen her so gut gelaufen ist bei uns", glaubt der Abgeordnete. Glücklicherweise habe hierzulande niemand von der Beatmungsmaschine weggezerrt werden müssen. Verschwörungstheoretiker seien auf ihn keine zugekommen. Die wenige Kritik an Corona-Maßnahmen, die ihn erreichte, gab es allenfalls auf Facebook in Form von Kommentaren, die Absender kenne er meist nicht.