"Wir waren Ende Februar die ersten Opfer der Krise und werden wohl die letzten sein, die wieder herauskommen!" Nicole Joa-Kohlmann von der Karlstadter Reisewelt Joa blickt sorgenvoll in das diesjährige Reisejahr. Seit dem Auftreten der ersten Infektionsfälle und vor allem seit den offiziellen Reisewarnungen ist das Geschäft mit mehr als 90 Prozent eingebrochen, genaugenommen zum Erliegen gekommen. Genau wie ihr geht es allen Kollegen im Landkreis.
Genau eine Buchung für Teneriffa im September und eine Nachfrage für eine Kreuzfahrt im November ist bei Gert Hofmann am Karlstadter Bahnhof eingegangen. Auch sein zweites Standbein, der Fahrkartenverkauf für die Deutsche Bahn, erbrachte in den ersten zehn Apriltagen weniger als 50 Euro Umsatz. Trotzdem kann er wie seine Kolleginnen von der Reisewelt Joa nicht die Hände in den Schoß legen. Er und seine Mitarbeiterin, für die er mittlerweile Kurzarbeit angemeldet hat, sind damit beschäftigt, eine Vielzahl an Stornierungen und Rückabwicklungen durchzuführen.
Jede Menge Stornierungen und Rückabwicklungen
"Wer seine Reise Corona-bedingt nicht antreten konnte, hat Anspruch auf Rückerstattung der Kosten und da sind wir für unsere Kunden aktiv", sagt Hofmann. Einen finanziellen Ausgleich dafür gibt es für die Reisebüros nicht, vielmehr müssen sogar meist auch die ausgezahlten Provisionen für die gebuchten Reisen zurückerstattet werden.
In der Reisewelt Joa gab es aber auch noch andere Herausforderungen zu lösen. Der Partner TUI hat in den vergangenen Monaten tausende Touristen mit 350 Flügen aus dem Ausland nach Hause zurückgeholt, zwei davon betrafen auch die Karlstadter Firma. In einem Fall hat man einem Kunden in der Südsee geholfen, Flüge umzubuchen. Als der Passagier aber im Flugzeug mit gültiger Bordkarte Platz nehmen wollte, war der Sitz kaputt - aussteigen, warten, neu buchen.
Umbuchungen mussten von Karlstadt aus auch in der Karibik und in Florida organisiert werden. "Das geht eben nur, wenn ein kompetentes Reisebüro zur Seite steht", so die Chefin. Wer online seine Reise bucht, spart zwar oft einiges an Geld, steht im Ernstfall aber womöglich im Regen.
Unternehmer blicken sorgenvoll in die Zukunft
Wie sehen die Reiseunternehmer ihre wirtschaftliche Zukunft. Wie ihre Kollegen im gesamten Landkreis ist der Blick nach vorne schon recht bang. Solide aufgestellte Firmen leben augenblicklich von der Substanz und von Rücklagen, die Mehrzahl der Mitarbeiter ist in Kurzarbeit. Entlassungen hat es noch nicht gegeben. Es wird allerdings befürchtet, dass langfristig 35 Prozent der 11 000 deutschen Reisebüros auf der Strecke bleiben könnten. Bundesweit sind rund 2,9 Millionen Menschen im weitesten Sinne von der Reisebranche abhängig.
Eine gewisse Hoffnung gibt es in diesem Jahr auf eine Reisesaison im späten Sommer und im Herbst, vor allem aber in Deutschland. Allerdings fragt Gert Hofmann dazu auch kritisch, wo dann all die Touristen im deutschen Raum hingehen sollen, welche hygienischen Auflagen es dann geben wird. "Zwei Wochen in einer Ferienwohnung am Ostseestrand mit beschränktem Ausgang ist auch nicht so prickelnd!"
Trend zu umweltbewusstem und nachhaltigem Urlaub?
Nachdenkliche Reisefachleute erhoffen sich für die Zeit nach Corona, dass sich die Kunden womöglich künftig bewusster und nachhaltiger verhalten könnten. Urlaub ist nötig und sinnvoll, aber wenn eine Woche Mallorca billiger ist als eine am Chiemsee oder wenn man mal schnell für ein langes Wochenende nach New York zum Shoppen düsen muss, stellt sich schon die Sinnfrage.
Reisebüroinhaber stellten am vergangenen Mittwoch bei einer Kundgebung in Schweinfurt ihre Situation öffentlich dar und forderten einen staatlichen Rettungsfonds für die gesamte Tourismusbranche. Sie wandten sich gegen die Rückzahlung der geleisteten Provisionen. Außerdem appellierten sie an die Verbraucher, Reisen im Büro zu buchen.
Die momentane Arbeit ohne Entlohnung sieht Joa-Kohlmann als Investition in die Zeit nach Corona: "Unsere Branche lebt vom Vertrauen der Kunden und das wollen wir bestätigen", sagt sie.
Eine Reihe von Reisbüros in Lohr, Marktheidenfeld und Gemünden äußerten sich sinngemäß wie die beiden Betriebe in Karlstadt.