Anton verzieht die Mundwinkel zu einer weinerlichen Grimasse. Unter die Augen hält sich der Neunjährige Tränen so groß wie erwachsene Handflächen. Er wiegt sich hin und her, mimt den traurigen Griesgram. Im nächsten Moment beginnt er zu kichern. Zusammen mit seinem Freund Mauro hat er die Tropfen gebastelt, aus Pappe und blauem Tonpapier. Die beiden sitzen auf dem Boden des Jugendzentrums in Lohr. Neben ihnen werkeln Kinder und Betreuer an Regenwolken, an einer Sonne und, wie immer, wenn alles zusammenkommt, an einem bunten Regenbogen.
Die Jungs sind zwei der rund 40 Kinder und Jugendlichen, die in der zweiten Osterferienwoche die Kreativtage des Lohrer Juze besuchen. Am Mittwoch, dem zweiten Kreativtag, verteilt sich das Getümmel auf den Innenraum der zwei Gebäude. Das Wetter ist mies, am Vortag war auf dem Außengelände viel los, sagt Juze-Leiterin Kerstin Heine. "Das Graffiti war das Coolste", sagt Anton und zeigt durchs Fenster auf das Banner, das am Gitter hinter dem Basketballkorb hängt. In leuchtenden Farben setzt sich ein "JUZE" gegen den grauen Regentag ab.
Bühnenbild für Tanzshow
In den Innenräumen der beiden Juze-Gebäude gibt es mehr als genug zu tun. An Maltischen und quer auf dem Boden verteilt hantieren die Kinder mit Pinseln, Bastelscheren und jeder Menge Farbe. Die viel zu großen Tränen, für die Anton, Mauro (9) und Colin (10) zuständig sind, werden Teil eines Bühnenbilds. Es sind auch keine Tränen, sondern Regentropfen, die später an Wolken baumeln. "Manchmal gibt es Sonnentage, manchmal Regentage. Beides geht vorbei. Und an schlechten Tagen gibt es schöne Regenbögen", erklärt Heine die Bedeutung des Aufbaus.
Er soll fotografiert und am 22. April mit einem Beamer auf die Bühne der Lohrer Stadthalle projiziert werden. Dann ergänzt er einen der sechs Tänze, die in der ersten Osterferienwoche für die Abschlussshow des Ferienprogramms entstanden sind. Haptisches Bühnenbild gibt es nicht. Stattdessen ergeben die gebastelten Werke eine Ausstellung im Foyer der Stadthalle. Sie ergänzt die Aufführung, die neben den Tänzen aus weiteren Showacts besteht.
Im Bau nebenan föhnen zwei Mädchen ein Rechteck aus Pappkarton. Farbspritzer übersähen die Fläche, manche so dick, dass der Föhn beim Trocknen helfen muss. Betreuerin Anna Lattin erklärt: Das wird ein Handyhintergrund. Im nächsten Raum steht das zugehörige Gerät, ebenfalls aus Pappkarton und so hoch, wie die Kinder groß sind. Verschiedene App-Motive lassen sich seitlich vor den Hintergrund schieben.
Weitaus größer als sonst
Die Themen der Tänze und Ausstellungsstücke haben die Kinder und Jugendlichen selbst mitbestimmt. Entstanden ist das "Gefühlswetter", aber auch: Wie nehme ich mich selbst wahr, wie will ich von anderen wahrgenommen werden? Was macht mir Kummer, was bereitet mir Freude? Große Fragen, die schon die Kleinsten beschäftigen, weiß Lea Wagner. "Man vergisst manchmal, wie weit sie schon sind", sagt sie. Früher war Wagner selbst Juze-Kind, heute ist die 28-Jährige Tanzpädagogin und studiert Soziale Arbeit. Sie hat in der ersten Ferienwoche einen Hip-Hop-Kurs geleitet – auch für den gibt es schon jede Menge Bühnenbild.
Zum ersten Mal findet das Show-Ereignis "Juze in Motion" in der Lohrer Stadthalle Platz. Zwei mal im Jahr zeigen Kinder und Jugendliche in Kursen erarbeitete Tänze, bisher stets in Turnhallen oder kleinen Sälen. Jetzt heißt es: "Juze in Motion on Stage" – auf der großen Stadthallenbühne. Die Resonanz sei zuletzt immer größer geworden, sagt Kerstin Heine. Dazu habe der Lions Club Lohr-Marktheidenfeld das Juze finanziell dabei unterstützen wollen, die Auswirkungen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche aufzufangen.
Einfach wieder spielen
"Wir wollten etwas machen, das lange wirkt", schildert Heine den Prozess der Ideenfindung. Am Ende fiel die Entscheidung, die gewohnte Tanzshow größer und langfristiger aufzubauen. "Alle sollen das Gefühl bekommen, etwas geschaffen zu haben." Wenn es so weit ist, werden je nach Bestuhlung rund 700 Gäste das Ergebnis bestaunen können – die Kosten für die Stadthalle trägt die Stadt, nachdem auch Bürgermeister Mario Paul die Idee unterstützen wollte. Kurse, Material und Betreuungskosten sind von der Förderung des Lions Club und einer Corona-Sonderförderung des Bayerischen Jugendrings bezuschusst worden.
Was lange Zeit für Kinder ganz normal war, komme jetzt langsam wieder, sagt Kerstin Heine. Unbeschwert drauf los spielen, statt plötzlich dazusitzen und sich zu fragen: "Hallo Fremder, was machen wir jetzt?" Im vergangenen Jahr sei das noch stärker zu beobachten gewesen, das diesjährige Ferienprogramm mache aber Hoffnung. "Die Kids genießen es, wieder zusammen zu sein." Was bleibt, sind ein paar teils kuriose Veränderungen. "Sie reden lauter. Nicht im negativen Sinn, kein Schreien und Streiten. Vielleicht liegt das am Online-Unterricht, ich weiß es nicht." Konflikte gebe es nicht merklich mehr als früher. Auffällig sei aber, dass schneller Betreuer dazu gerufen werden, weil die Selbstregulation in der Gruppe fehlschlägt. Die Gruppenaktivitäten des Juze förderten hier die Selbstständigkeit. "Wir haben schon einige Rückmeldungen von Eltern gekriegt, die Veränderungen bemerken", sagt Heine.
Graffiti mit Stift und Papier
Die Kinder gehen mit der wiedergewonnenen Ausgelassenheit ganz unterschiedlich um. Da sind Quatschköpfe wie Anton und Mauro, die sichtlich froh sind, wieder etwas zu erleben. Da ist der achtjährige Louis, der über Ostern in Berlin war und fernab vom Getümmel Pappmaché in einen Fernsehturm verwandelt. Da ist die sechsjährige Marie, die den Pinsel in den Farbtopf tunkt und ganz leise über den bemalten Pfeil auf dem Tisch vor ihr sagt: "Das hab ich mit einer anderen gemacht." Gefragt, wie es war, während Corona nicht viel machen zu können, sprechen die Kinder nur darüber, wie es ist, wieder hier zu sein.
Auch nach dem Mittagessen prasselt der Regen unermüdlich gegen die Juze-Fenster. Im Obergeschoss sammelt sich rund die Hälfe der Kinder zum Kinderkino. Bis Kerstin Heine die Horde für den Film zur Ruhe bringen kann, vergehen zehn Minuten. Irgendwann ist es still und der Beamer wirft Otto Waalkes "Der 7bte Zwerg" an die Leinwand. Auch Anton und Mauro schauen zu. Eigentlich hätte es am Nachmittag wieder einen Graffiti-Workshop geben sollen, der fällt jetzt wortwörtlich ins Wasser. Doch Graffitikünstler Jakob Steigerwald lässt die Kids nicht hängen: Graffiti, das geht auch mit Stift und Papier. Das wird er ihnen beweisen.