„Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Ereignis nach 80 Jahren noch so aktuell ist“, sagte Helge Wilhelm Seemann bei der Lesung vor zwölf Zuhörern in der Stadtbibliothek Gemünden. Der in Gemünden lebende ehemalige Gymnasiallehrer beleuchtete „eine der schlimmsten kulturellen Katastrophen“, die die Nationalsozialisten am 10. Mai 1933 in Deutschland inszeniert hatten.
Nur noch mit der aufkommenden Christianisierung im siebten und achten Jahrhundert, als Missionare viele Werke und Überlieferungen vernichtet hätten, um nur noch den christlichen Glauben zuzulassen, sei die Bücherverbrennung zu vergleichen. „Unwiederbringliches wurde dabei vernichtet“, erklärte Germanist und Autor Seemann.
Als vor 80 Jahren in Deutschland die Bücher brannten, war der Weg frei für die „schlimmste Irrlehre des 20. Jahrhunderts“. Werke von bekannten Schriftstellern wie Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Sigmund Freud, Erich Kästner, Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Anna Seghers, Kurt Tucholsky oder Stefan Zweig wurden ausradiert, die Schriftsteller in einer Aktion aus der Dichterakademie ausgeschlossen. Es folgte die sogenannte Säuberung öffentlicher Bibliotheken. Ein Jahr später umfassten die „schwarzen Listen“ mehr als 3000 Titel verbotener Bücher und Schriften.
Nur noch „Schriftsteller der arischen Rasse“ wurden in die Akademie aufgenommen. „Juden waren undeutsch, waren Fremdlinge“, sagte Seemann. Jüdische Schriftsteller durften ihre Werke nur noch in hebräischer Sprache verfassen: „Schreibt ein Jude deutsch, so lügt er“, so habe eine der Parolen im Kampf „wider den undeutschen Geist“ gelautet. Der wahre deutsche Geist wurde in dem Buch von Hitlers Chefideologen Alfred Rosenberg „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“, festgelegt, der so genannten Bibel des Nazitums.
Am 10. Mai 1933 wurden in vielen deutschen Städten in öffentlichen Bücherverbrennungen Zehntausende von Werken geächteter Autoren vernichtet. Mit viel Aufwand theatralisch inszeniert vom „Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund“, jeweils mit den Worten der eingeteilten Rufer: „Ich übergebe der Flamme die Werke von . . .“
Helge Wilhelm Seemann las Ausschnitte aus Werken von Erich Kästner und Heinrich Mann sowie Kurt Tucholsky. Gerne hätten einige Zuhörer noch etwas über die Auswirkungen der Bücherverbrennungen auf die Stadt Gemünden sowie die Orte im Altlandkreis erfahren. Passend zum Thema widmet die Stadtbibliothek Gemünden den Ereignissen von 1933 eine kleine Ausstellung. Präsentiert werden eine Reihe von Büchern von bekannten Autoren, deren Werke bei den Bücherverbrennungen der Nazis ein Opfer der Flammen wurden.