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LOHR
Brücken von Jerusalem nach Lohr
Karl Anderlohr
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:21 Uhr

Am späten Nachmittag des Palmsonntags hielt Stadtpfarrer Sven Johannsen eine seiner spirituellen Kirchenführungen in der Stadtpfarrkirche, die inzwischen einen großen Zuhörerstamm haben. Sie stand diesmal ganz im Zeichen der Passion, des Leidens Christi , zu dem Lohr durch die Karfreitagsprozession eine ganz besondere Beziehung hat. Musikalische Impulse setzten Kantor Alfons Meusert und die Männerschola der Kantorei mit Orgelwerken aus fünf Jahrhunderten, mit Gregorianischen Gesängen und Liedern.

Schon auf den ersten Blick erkennt der Kirchenbesucher in St. Michael die Hinweise auf das Leiden und den Tod Jesu Christi. Die Reliefs des Hochaltars sind den Geheimnissen des „Schmerzhaften Rosenkranzes“ gewidmet, der Ölbergstunde, der Geißelung, der Krönung mit Dornen, dem Weg mit dem Kreuz zum Golgota-Felsen und dem Tod am Kreuz.

Über dem Zelebrationsaltar hängt das 500 Jahre alte lebensgroße Kruzifix, das früher einen Platz auf der Nordseite des Mittelschiffs hatte.

Das Kreuz, so der Pfarrer, stand in den ersten Jahrhunderten des Christentums keineswegs im Mittelpunkt der Verehrung. Zu schwer war es, Juden, Griechen oder Römern den Glauben an einen Gott zu vermitteln, der den schimpflichsten Verbrechertod gestorben war. Paulus nannte im 1. Korintherbrief den Gekreuzigten „für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Gottes Kraft und Weisheit“. In Rom wurde bei Ausgrabungen ein Graffito gefunden, das einen gekreuzigten Esel zeigt. Vor ihm kniet ein Mensch und darunter stehen die spöttischen Worte „Alexamenos betet seinen Gott an.“

Symbol der Hoffnung

Vom Zeichen des Versagens und der Schande zum Symbol der Hoffnung und des Sieges wandelte sich das Kreuz im Bewusstsein der Christen, nachdem Kaiser Konstantin unter dem Einfluss seiner Mutter Helena in Jerusalem über den Stätten des Todes und der Auferstehung die Auferstehungskirche erbauen ließ (griechisch Anastasis, im Westen meist als Grabeskirche bezeichnet).

Heinz Schiestl schuf 1914 den Kreuzweg in der Lohrer Stadtpfarrkirche St. Michael. Im Bild die achte und neunte Station: Jesus begegnet den weinenden Frauen und Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz.
Foto: Fotos (2): Karl Anderlohr | Heinz Schiestl schuf 1914 den Kreuzweg in der Lohrer Stadtpfarrkirche St. Michael. Im Bild die achte und neunte Station: Jesus begegnet den weinenden Frauen und Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz.

Es gibt Berichte, dass es schon kurz darauf bei Pilgern der Brauch aufkam, der Aufforderung Jesu zu folgen: „Wer mein Jünger sein will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“, indem man betend den Weg ging, von dem man vermutete, dass hier Jesus sein Kreuz getragen hatte.

Natürlich hatten im westlichen Europa nur wenige Menschen die Möglichkeit zu einer Pilgerreise nach Jerusalem. So begann man allenthalben auch hier „Heilige Gräber“ anzulegen, entweder als eigene Kirchen in Form einer Rotunde (Beispiel Grünsfeldhausen) oder auch innerhalb größerer Kirchen. Im Barock wuchsen sich diese Heiligen Gräber zu üppigen Gebilden aus.

Die Tradition der 14 Kreuzwegstationen, wie sie heute üblich ist, entwickelte sich erst allmählich, unter maßgeblichem Einfluss der Franziskaner. Heute wird oft als 15. Station die Auferstehung angefügt. Auch die Gebete und Betrachtungen haben sich im Lauf der Zeit immer wieder geändert. Der Kreuzweg zum Valentinusberg entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Anregung dazu hatte schon ein halbes Jahrhundert zuvor Kaplan Georg Höfling gegeben, der erste Geschichtsschreiber seiner Vaterstadt Lohr.

Kreuzaltar aus dem Rokoko

Bei der letzten Kirchenrenovierung in St. Michael fanden die Zeichen der Passion ihren Platz im nördlichen Seitenschiff. Hier steht der Kreuzaltar aus dem Rokoko aus einer Karlstadter Werkstatt Herwith. Das Altarbild, das wesentlich älter ist, könnte von dem in Urkunden erwähnten älteren Kreuzaltar stammen. Daneben an der Wand hat ein Bild der Schmerzhaften Muttergottes seinen Platz gefunden. Sieben Schwerter symbolisieren die Schmerzen, zu denen es früher eigene Andachten gab.

Der Kreuzweg in St. Michael ist ein Werk von Heinz Schiestl aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg.

Am Karfreitag nach der Liturgie wird am Kreuzaltar das Antependium, die Platte an der Vorderseite des Altartischs geöffnet. Dahinter liegt eine fast lebensgroße Skulptur des Leichnams Jesu im Grab; am Fußende hält ein Engel die Totenwache. Die Figur ist ein Werk des Würzburger Bildhauers Josef Gerngras von 1926, der ein Jahr zuvor auch das Kruzifix vor dem Eingang zum südlichen Seitschiff geschaffen hatte. Sein Werkzeichen und die Jahreszahlen sind auf den Bildwerken zu erkennen.

Eine gewisse Ähnlichkeit mit Werken der Schiestl-Brüder ist nicht zufällig. Gerngras hatte die Schiestl-Werkstatt übernommen.

Hinweise auf frühere Heilige Gräber in St. Michael sind nicht bekannt; dass es sie gegeben hat, ist aber sicher anzunehmen.

Pfarrer Sven Johannsen schloss seine Ausführungen mit dem Hinweis: „Nichts beweist die Auferstehung Jesu, aber das ist unser Glaube.“

 
 
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