Der Marktheidenfelder Verleger Horst Bröstler hat erneut ein Buch über das Werk des Malers Hermann Gradl (1883–1964) veröffentlicht. Der Band „Am Rhein entlang“ zeigt gut 80 Gemälde, Studien und Zeichnungen mit spätromantischen Rheinlandschaften in grün-braunen Farben, Gradl-typischer Tristesse und ebensolcher Langeweile.
Der Herausgeber ordnet ihnen recht willkürlich Gedichte, Volks-, Trink- und Rheinlieder zu. Zwischen volkstümlichem Kitsch wie der „Fischerin vom Bodensee“ und deutsch-nationalem Pathos wie „Es braust ein Ruf wie Donnerhall“ können einem große Poeten wie Heinrich Heine leidtun, denn ihre Werke werden gedankenlos eingeordnet, was sie zeitlebens verachteten.
Bröstler greift mit dem Buch auf eine Ausstellung in der Kölner Domgalerie von Ed. Arthur Schmidt aus dem Jahr 1927 zurück. Dort wurden 250 Gemälde, Ölstudien und Zeichnungen zum Verkauf angeboten, die bei fünf Reisen seit 1925 entstanden waren. Ein damit verbundenes Buchprojekt, das Bröstler nun aufleben ließ, kam damals nicht zustande.
Der Verleger setzt seiner Veröffentlichung ein Vorwort voran, in dem er unverdrossen an der in Marktheidenfeld geborenen Künstlerpersönlichkeit weiterstrickt. Gradl sei ein „lebensbejahender, reiselustiger Mensch“ gewesen. Dabei habe Gradl die Eindrücke für seine „herrlichen Gemälde in verschiedenen Größen“ gesammelt. Keinerlei Erwähnung findet die kritische Rezeption, die Gradls antimodernes Werk und seine spätere Verstrickung in die NS-Kunstdiktatur in den letzten Jahren verstärkt und wissenschaftlich untermauert erfuhren.
Gradls spätromantische, in Form wie Motiv über alles Moderne hinwegsehende Gemälde schufen für ein Bürgertum, das durch die Folgen der Industrialisierung, des Ersten Weltkriegs und der Revolution in der Weimarer Republik tief verunsichert war, ein sehnsuchtserfülltes Trugbild. Bröstler erklärt dieses Wegsehen so: „Gradl hatte den Mut, das Unwesentliche wegzulassen!“
Darin trifft er sich mit der zeitgenössischen Bewertung aus der im Buch abgedruckten Einführung des Zeitgenossen und Kunsthistorikers Dr. Paul Kutter aus München, der in Abgrenzung zum damals in Mode gekommenen Malstil der Neuen Sachlichkeit formulierte: „Auch in diesem Verneinen, diesem ,Aus-dem-Weg-gehen‘ kann die romantische Neigung Gradls gefunden werden.“
Kutter führt dabei auch einen künstlerischen Lehrvater Gradls an. Der Maler Hans Thoma (1839–1924) war gerade für seine Landschaftsbilder von Teilen der Kunstkritik zum „Lieblingsmaler des deutschen Volkes“ emporgeschrieben worden. Auch er bediente pittoresk gerne alle die, die sich nicht mit den modernen Zeiten auseinandersetzen wollten.
Die nationalsozialistische Kunstideologie bemächtigte sich später des Werks Thomas und machte es so zum volkstümlichen Gegenbild von Diktatur, Weltkrieg und Völkermord. Hitler ließ Dutzende Gemälde des „urdeutschen Malers“ für das geplante Führer-Museum in Linz rauben oder ankaufen. Für Thomas Werk hatte dies die Konsequenz, dass es nach der NS-Diktatur in den „Giftschränken“ deutscher Museen landete. Gerade bemüht sich eine Ausstellung im Frankfurter Städel-Museum darum, den Werken ihren kunstgeschichtlichen Stellenwert zurückzugeben.
Bei Gradl verhält sich das Ganze völlig anders. Er genoss die Protektion der Nationalsozialisten und Hitlers, die ihm lukrative Aufträge einbrachte und zum Direktor der Nürnberger Kunstakademie machte. Dort setzte er die erwünschte Kunstpolitik durch. Nach 1945 sah Gradl darüber hinweg, erklärte sich als unpolitisch und profitierte weiter von alten Seilschaften.
Dem Herausgeber Horst Bröstler ist das alles nicht die geringste Fußnote wert. Sein Buch leistet so keinerlei Beitrag zu einem vertieften Verständnis von Gradls Werk. Es bleibt in der Leugnung der Tatsachen banal und ähnlich öde wie viele Gradl-Bilder.
Hermann Gradl / Hans Thoma
Buchtipp: „Am Rhein entlang – Gemälde und Zeichnungen von Hermann Gradl“, Herausgeber: Horst Bröstler, Marktheidenfeld, 2012 (ISBN: 3-927439-32-0).
Ausstellungstipp: „Hans Thoma – Lieblingsmaler des deutschen Volkes“, bis 29. September im Städel-Museum in Frankfurt (Schaumainkai 63); Öffnungszeiten: Di. und Fr.-So., 10 bis 18 Uhr, sowie Mi. und Do., 10 bis 21 Uhr.
ONLINE-TIPP
Informationen im Internet: www.staedelmuseum.de