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Neuhütten
Brandbomben: Neuhütten war ein Flammenmeer
Im Keller des Forsthauses suchten Neuhüttener Schutz, als die amerikanischen Soldaten in den Ort kamen. Die Stützmauer des Kellers unterm ehemaligen Forsthaus steht noch, der Eingang ist zugemauert.
Foto: Helena Karl | Im Keller des Forsthauses suchten Neuhüttener Schutz, als die amerikanischen Soldaten in den Ort kamen. Die Stützmauer des Kellers unterm ehemaligen Forsthaus steht noch, der Eingang ist zugemauert.
Helena Karl
 |  aktualisiert: 08.04.2020 02:10 Uhr

Der 1. April vor 75 Jahren markiert einen schwarzen Tag für das Dorf Neuhütten. Am Ostersonntag 1945 wurden während des Zweiten Weltkriegs Phosphorbomben über dem Ort abgeworfen

Rund 200 Einwohner haben in wenigen Stunden ihren Besitz verloren, schrieb der damalige Hilfspriester Adolf Hofmann in der Kirchenchronik. "Die Mitte von Neuhütten war nur noch ein riesiges Flammenmeer", heißt es weiter.

Bombardiert wurde der Ort, weil sich am Tag zuvor ein deutscher Divisionsstab einquartiert hatte. Am Vormittag des 1. April entdeckten amerikanische Aufklärer den Divisionsgefechtsstand und warfen Nebelbomben ab, die den Jagdbombern als Zielmarkierung dienten. Etwa gegen 13.30 Uhr begann der verheerende Luftangriff, heißt es in einem 1970 erschienen Rückblick aus dem Mitteilungsblatt der Gemeinde.

Als Zwölfjähriger dabei

Der Zeitzeuge Linus Kunkel war in jenen letzten Kriegstagen 1945 zwölf Jahre alt und hat seine Erlebnisse und die einiger Dorfbewohner und Augenzeugen in seinem Buch "So war das damals" festgehalten. Erschienen ist es 2005 im Selbstverlag der Gemeinde Neuhütten. Im Gespräch mit unserem Medienhaus erinnert Kunkel an diesen Tag und die nachfolgenden Ereignisse.

Auf einer damaligen Ortskarte hat Linus Kunkel die zerstörten Bereiche rot markiert.
Foto: Linus Kunkel | Auf einer damaligen Ortskarte hat Linus Kunkel die zerstörten Bereiche rot markiert.

Auch in seinem Elternhaus hatte sich ein deutscher Offizier eingerichtet. Während des Luftangriffs war Kunkel mit seinen fünf Geschwistern, seiner Mutter, seiner Tante sowie einigen Nachbarn und Soldaten zunächst im Keller dieses Hauses. Als die Scheune der Familie getroffen wurde und brannte, suchten sie Schutz in einem Stollen am Kindergarten.

Glockenturm stürzt zusammen

Von dort aus konnte er unter anderem beobachten, wie der Dachreiter der Kirche zusammenbrach und die Glocke in die Trümmer fiel. Dies beschreibt der 87-Jährige als "ein Bild, das ich wohl nie vergessen werde". Zusammen mit anderen Dorfbewohnern blieb die Familie über Nacht im Stollen. Es sei ein Moment des Glücks gewesen, als der Vater am nächsten Morgen zu seinen Kindern stieß und alle lebend vorfand.

Schüsse im Forsthauskeller

Andere im Dorf hatten nicht so viel Glück. Kunkel beschreibt in seinem Buch, wie einige Dorfbewohner im Keller des damaligen Forsthauses Schutz suchten als die amerikanischen Truppen am nächsten Tag eintrafen. Angeblich seien auch die Insassen des Kellers aufgefordert worden, die Tür zu öffnen. Als dies nicht geschah, hätten die Amerikaner durch die Tür geschossen, wobei eine Frau aus Aschaffenburg verblutete und eine andere schwer verletzt wurde.

Ein anderer Mann wurde am Ortsrand von einer explodierenden Granate getroffen und ist ebenfalls in einem Keller verblutet, berichten mehrere Zeitzeugen übereinstimmend im Buch. Außerdem sei ein Taubstummer erschossen worden. Der genaue Tathergang ist unklar.

Schüsse durch die Tür: Der noch bestehende Eingang zum Keller unter dem ehemaligen Forsthaus.
Foto: Helena Karl | Schüsse durch die Tür: Der noch bestehende Eingang zum Keller unter dem ehemaligen Forsthaus.

Viele andere haben teils schwere Verletzungen erlitten. "Rund ein Drittel des Dorfes wurde zerstört", sagt Kunkel. Die Menschen wohnten danach in ihren Kellern oder Kuhställen oder seien bei ihren Verwandten untergekommen. Man sei noch enger zusammengerückt als ohnehin schon. "Diese gegenseitige Unterstützung in der damaligen Notlage ist noch heute etwas ganz Besonderes für mich", erzählt der 87-Jährige.

Ausgangssperre verhängt

Nach der Eroberung sei zunächst eine Ausgangssperre verhängt worden, nur mittags durften die Anwohner das Haus für kurze Zeit verlassen. Besitzer von Nutztieren durften am Abend noch für eine zusätzliche Stunde raus, um diese zu füttern, berichtet Kunkel. Nach der Lockerung der Ausgangssperre in den nächsten Wochen versuchten die Bewohner, das Dorf wieder aufzubauen. Aufgrund fehlenden Baumaterials war das äußerst schwierig und habe Jahre in Anspruch genommen. Einige Familien hausten in Baracken, die ihnen aus Habichsthal von einer ehemaligen Niederlassung der deutschen Wehrmacht zur Verfügung gestellt wurden.

Auch die landwirtschaftlichen Tätigkeiten mussten schnell wieder aufgenommen werden, da die meisten damals Selbstversorger waren, erinnert sich Kunkel. Gemeinsam habe er mit seinem Vater von einem ehemaligen Kriegskameraden aus Ansbach ausrangierte Geräte abgeholt. Diese Reise sei äußerst beschwerlich gewesen, aber notwendig zum Überleben. Heute bewundert Kunkel seinen Vater, der schon im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte und verletzt zurückkam, für sein Durchhaltevermögen in dieser Zeit. Er habe beim Schreiben des Buchs gemerkt, dass nur wenige Leute noch Erinnerungen an diese Zeit haben. "Viel Schlimmes wird vergessen, nur so können die Menschen überhaupt weitermachen", meint der 87-Jährige. Für ihn sei die intensive Beschäftigung mit dem Thema heilsam gewesen und er habe viel Unterschwelliges aufarbeiten können.

 
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