Die Teillegalisierung von Cannabis ist nach Ansicht von Dominikus Bönsch ein "Selbstversuch mit noch offenem Ausgang, dem sich Deutschland unterzogen hat". Der Ärztliche Direktor des Bezirkskrankenhauses (BKH) Lohr informierte am Donnerstag über die Folgen von Cannabis-Konsum auf die Psyche und die Auswirkungen der neuen gesetzlichen Regelungen in einer gemeinsamen Veranstaltung mit der Volkshochschule Lohr-Gemünden.
Deren Leiterin Susanne Duckstein sprach von einem aktuellen Thema und "erheblichem Diskussions- und Handlungsbedarf". Dieser war auch daran zu erkennen, dass rund 80 Zuhörerinnen und Zuhörer in den Festsaal des BKH gekommen waren. Der Titel der Veranstaltung "Viel Rauch um nichts?" erinnerte Bönsch an den gleichnamigen "Kiffer-Film, den ich während meines Studiums gesehen habe".
Nach seinen Angaben stehen psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen mit gut 35 Prozent an der Spitze der Gründe für stationäre Behandlungen. Bei ambulanten Behandlungen seien es nur 13 Prozent. Das bedeutete, dass das ambulante Angebot bei solchen Erkrankungen "extrem dünn" sei.
Risiko einer Psychose
Cannabis hat laut Bösch akut eine berauschende und entspannende Wirkung. Bei langfristigem Konsum könne es zur Entwicklung einer Abhängigkeit, Angst, Unruhe, Schlaflosigkeit und einem Psychose-Risiko kommen. Auf die Frage einer Zuhörerin, ob es auch zu körperlicher Abhängigkeit kommen könne, meinte Bönsch, die Unterscheidung zwischen körperlicher und psychischer Abhängigkeit sei "völlig irrelevant" und gehöre in den "Mülleimer der Geschichte".
Als Psychiater sei er unglücklich über den Cannabiskonsum, weil er in die Entwicklung des Gehirns eingreife. Das menschliche Gehirn befinde sich bis zu einem Alter von etwa 25 Jahren in einer "massiven Umbauphase hin zu einer Hochleistungsmaschine". Das Hirn gewinne erheblich an Effizienz, häufig genutzte Verbindungen würden schneller, andere verschwänden. Erst mit circa 25 Jahren sei das Hirn "aus dem Gröbsten 'raus".
Laut Bönsch gibt es einen Zusammenhang zwischen frühem Cannabiskonsum (vor dem 15. Lebensjahr) und einem deutlich erhöhten Risiko für Schulabbruch, vermindertes Bildungsniveau, berufliches Scheitern und Arbeitslosigkeit. Cannabis in jungen Jahren führe zu kognitiven Einschränkungen bei Gedächtnis, Konzentration, abstraktem Denken, Reaktionszeit und Aufmerksamkeit. Vor allem Gedächtnislücken seien "der Klassiker".
Kritik an Mengengrenzen
Zum Psychose-Risiko erläuterte Bönsch, Cannabiskonsum könne bei ansonsten unauffälligen Menschen mit einer ungünstigen genetischen Disposition Psychosen auslösen und den Verlauf deutlich verschlechtern. Das bedeute aber nicht, dass jeder Konsument eine Psychose entwickle.
An der neuen Teillegalisierung von Cannabis kritisierte der Ärztliche Direktor, die Prävention sei "nur ein Feigenblatt". Zudem sei ihm völlig unklar, "wer sich diese Mengen ausgedacht hat". In einem durchschnittlichen Joint befänden sich 0,2 bis 0,3 Gramm Cannabis. Zu Hause aufbewahrt werden dürften 50 Gramm. Wer diese Menge in einem Monat rauche, "macht daneben wenig anderes".
Keine Studien zu Grenzwerten
Weitere Probleme seien die Mengen an Cannabis, die Klubs produzieren könnten, "wenn sie es ordentlich machen", nach Bönschs Worten zehn bis zwölf Tonnen im Jahr, die Qualitätskontrolle und die Fahrtauglichkeit und Arbeitstüchtigkeit. Jetzt erst würden Grenzwerte diskutiert, obwohl es dazu noch keine Untersuchungen gebe: "Da können sie genauso gut würfeln."
Auf die Frage aus dem Publikum, ob hohe Grenzwerte nicht den Schwarzmarkt fördern würden, meinte Bönsch: "Sie glauben doch nicht, dass der Schwarzmarkt durch dieses Gesetz ein Gramm weniger verkauft?" Er frage sich, "warum man alles, was bei Alkohol schiefgelaufen ist, mit einer anderen Substanz wiederholen muss".
Zum medizinischen Cannabis meinte Bösch, darum sei in den letzten Jahren eine "große Industrie aufgebaut worden". Im Vergleich dazu sei die Studienlage "schlichtweg enttäuschend". Es gebe wenige Indikationen für medizinisches Cannabis in der Palliativmedizin, Spastik und beim Lennox-Gastaut-Syndrom (eine Epilepsie-Erkrankung).
"Äußerst schädliche Substanz"
Für eine Wirkung gegen Schmerzen gebe es "keinen Wirksamkeitsnachweis". Die Studienlage gebe eine "Verschreibung gegen Schmerzen nicht her". Aber vor allem bei chronischen Schmerzen griffen nicht nur Patienten, sondern auch Ärzte "nach Strohhalmen".
Zusammenfassend stellte Bönsch fest, Cannabis sei aus psychiatrischer Sicht eine gefährliche und äußerst schädliche Substanz für Menschen (vor allem Männer) unter 25 Jahren. Eine Legalisierung werde mit hoher Wahrscheinlichkeit die bereits hohe Inzidenz psychiatrischer Erkrankungen weiter verstärken.
Lebhafte Diskussion
Simone Hoffmann, die Leiterin des Selbsthilfebüros des Roten Kreuzes, stellte Hilfsangebote vor. In der anschließenden Diskussion wurde das Thema noch unter verschiedenen Aspekten beleuchtet. Zum Einsatz von Cannabis bei Depressionen erklärte Bönsch, kurzfristig könne es eine entspannende Wirkung haben, langfristig sei es "eine Katastrophe". Denn Cannabis verstärke depressive Symptome und verhindere Verhaltensänderungen.
Auf die Frage, ob die Behandlungsplätze ausreichten, sagte der Ärztliche Direktor, in US-Staaten mit Cannabisfreigabe würden die Notaufnahmen deutlich häufiger genutzt. In Deutschland seien diese ohnehin schon bis zur Oberkante voll. Er gehe von kontinuierlich steigenden Zahlen aus, erwarte aber nicht, "dass in den nächsten Jahren eine Katastrophe ausbricht".
Zu Cannabis als Einstiegsdroge führte Bönsch aus, die Einstiegsdrogen seien in Deutschland bunter geworden. Bei der Einlieferung von Patienten werde häufig festgestellt, dass diese unterschiedliche Substanzen konsumierten. Wer Drogen nehme, neige dazu, auch andere auszuprobieren.
Ob es einen Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Position und Drogenkonsum gibt, muss laut Bönsch differenziert gesehen werden. Alkohol- und Drogenkonsum gebe es in allen Gesellschaftsschichten, aber die Art der Drogen variiere oft mit dem Einkommen. Drogenkonsum sei ein gesellschaftliches Phänomen, das man nicht mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht erklären könne.