
Die Gründung der Stadt Karlstadt durch den Würzburger Bischof Konrad von Querfurt (1198 – 1202) um das Jahr 1200 bildete im Zusammenwirken mit der Höhenburg jenseits des Maines einen wichtigen Stützpunkt des fürstbischöflichen Gebietes bei der Sicherung der nördlichen Grenzen. Der Baugrund für die zukünftige Stadt wurde aus dem Gebiet des frühfränkischen Zentralortes Karlburg ausgegliedert. Als Bebauungsfläche diente das relativ ebene Gelände gegenüber der Karlsburg. Das Flussufer bildet den westlichen Abschluss des Stadtmauerrings, der sich in einem etwas flachen Halbkreis nach Osten ausgreifend um das Stadtgelände zieht.
Das Anlegen der planmäßigen Gründungsstadt war um das Jahr 1200 ein bautechnisches Großunternehmen. Die von Norden nach Süden verlaufende Hauptstraße und die vom Main nach Osten ziehende Maingasse/Alte Bahnhofstraße treffen sich am Marktplatz und unterteilen die Stadt in vier Viertel. Die Nord-Süd-Ausdehnung entlang der Hauptstraße beträgt zirka 411 Meter, die West-Ost-Achse der Maingasse/Alte Bahnhofstraße ist etwa 342 Meter lang. Das ergibt eine Grundfläche von knapp 12,5 Hektar, die Karlstadt von Anfang an zu den größeren Städten des Hochstifts zählen lässt.
Zehn Jahre Befreiung von allen Steuern und Abgaben
Die Funktion der sich im Aufbau befindlichen und von wehrfähigen Bürgern besetzten und befestigten Stadt ist aus einer Urkunde des Bischofs Otto von Lobdeburg (1207 – 1223) vom Jahre 1219 ersichtlich. Darin versprach der übernächste Nachfolger des Stadtgründers Konrad von Querfurt den gegenwärtigen und zukünftigen Bewohnern auf zehn Jahre Befreiung von allen Steuern und Abgaben. Dafür mussten sie aber die Stadt innerhalb von sechs Jahren mit einer zweckmäßigen Mauer umgeben. In jedem Jahr sollte ein bestimmtes Stück davon aufgebaut werden.
Die Errichtung der etwa 1330 Meter langen und durchschnittlich fünf bis sechs Meter hohen Mauer stellte als bislang größte gemeinschaftliche Einzelbauaufgabe in der jungen Stadtgeschichte äußerste Anforderungen an Geld und Arbeitskräfte. Der Ausbau war in weiten Bereichen um 1236 bereits so weit gefestigt, dass die junge Stadt der „Rienecker Fehde“ standhielt. Bei der Fehde zwischen Würzburg und den Rieneckern wurde der Ort Karlburg im Maintal in Schutt und Asche gelegt. Jedoch fehlen Hinweise dafür, dass im Laufe der Auseinandersetzung auch die Karlsburg auf dem Bergsporn über Mühlbach eingeäschert wurde.

Die um 1200 entstandene Hohe Kemenate (Hauptstraße 56) in der Nähe des Oberen Torturmes legt die Funktion eines Ministerialensitzes nahe. Hier waren, wie in anderen Städten auch, bischöfliche Dienstmannen zur Verstärkung der Wehrhaftigkeit angesiedelt. Die Verwaltung dieser Zeit ist im Nordteil der unter Julius Echter erweiterten Amtskellerei zu suchen.
Der ehemalige Buelinshof, ein romanisch-frühgotischer Wohnturm mit Saalgeschoss, einem einzigen durchgehenden Raum mit Kamin im oberen Stockwerk, beherbergt seit 1918 die Polizeiinspektion. Das Gebäude gehört damit neben der Hohen Kemenate, zur ältesten Bausubstanz der Stadt. Wie die Hohe Kemenate zum Oberen Tor im Süden, so liegt der Komplex Hauptstraße 9/11 zum ehemaligen Unteren Tor nach Norden. Auch hier waren Ministeriale ansässig. Die Nähe des steinernen Wohnturms zum jeweiligen Stadttor macht es wahrscheinlich, dass der adelige Bewohner im Kriegsfall die Verteidigung in diesem Stadtteil zu leiten hatte.
Bau begann mit der Mauer an der Ostseite
Zunächst wurde die Ostseite der Stadtmauer zum freien Feld hin mit einer starken Mauer in der Höhe von fünf bis sechs Metern umgeben, deren ältesten Teile noch aus dem 13. Jahrhundert stammen dürften. Dort musste durch den der Stadtmauer vorgebauten Zwingergraben ein stärkerer Schutz der Stadtbewohner gewährleistet werden. Von den Zwingertürmen haben sich in der Jahnanlage noch zwei dreiviertelrunde, zur Stadt hin offene, Turmreste mit Maulscharten erhalten. Das Bruchsteinmauerwerk hierfür entstand im 15. und 16.Jahrhundert.
Ein relativ flacher Stadtgraben schloss sich an, der im flussnahen Bereich mit Wasser gefüllt gewesen sein mag. Ein Ring von Gärten grenzte außerhalb des Stadtgrabens den engeren Stadtbereich ab. Die westliche Stadtseite war durch den Main einigermaßen geschützt, die Stadtmauer zum Main hin stammt aus dem 14. und 15. Jahrhundert und verfügte über eine Höhe von sieben bis acht Metern. Auf der Mauerkrone zog sich um die Stadt ein teilweise überdachter Wehrgang. Auf den Wehrgang führten die „Greden“ - von lat. „gradus“ – genannte steinerne Stufen.
Ab Mitte des 16.Jahrhunderts ging eine Bauwelle durch die Stadt, wie die vielen Jahreszahlen an den Häusern zeigen. Das Material mochte zum Teil aus der im Bauernkrieg 1525 zerstörten und nunmehr endgültig aufgelassenen Karlsburg stammen. Mit deren Wegfall als Festung war der Bischof bestrebt, Karlstadt stärker zu sichern und so einen Ausgleich zu schaffen.

Anno 1549 ließ Bischof Melchior Zobel vor den oberen Stadtturm einen Torbau südlich des Grabens stellen, der im Kriegsfall den Zugang von Würzburg her erschweren sollte. Dieses Torhaus auf der äußeren Grabenseite war durch eine hölzerne Brücke mit dem bündig in die Stadtmauer gesetzten Stadtturm verbunden. Bei Gefahr konnte das innere Brückenteil hochgezogen und der Stadteingang mit einem Fallgitter und vier starken Torflügeln verschlossen werden.
Der letzte Obere Stadttürmer Karl Weiglein verlor im Jahr 1896 beim Hochziehen von Reisigwellen auf das äußere Treppenpodest das Gleichgewicht und stürzte auf einen großen Reisighaufen. Da der Türmersturz glimpflich verlaufen war, erhielt der Türmer den Spitznamen „Weigleinskatz“ und der Obere Stadtturm den bis heute gebräuchlichen Namen „Katzenturm.
Das Schnellertor
Die Karlstadter wollten das östlich der Stadtmauer gelegene und 1673 eingeweihte Kapuzinerkloster (heute Stadtverwaltung) gut erreichen. Mit fürstbischöflicher Erlaubnis wurde die Stadtmauer, in Verlängerung der Achse vom Maintor nach Osten hin, durchbrochen und mit einem sogenannten „Schneller“ ab 1684 die direkte Verbindung zwischen Stadt und Kloster hergestellt. Der Schneller war eine Fallbrücke über den Stadtgraben hinweg, die im aufgezogenen Zustand die Toreinfahrt verschloss. Dieses gegenüber den anderen drei Toren wesentlich kleinere „Schnellertor“ war in der Hauptsache wohl nur für Fußgänger gedacht. Wegen Baufälligkeit wurde das Schnellertorhaus bereits im Jahre 1852 eingelegt.

Im Oktober 1854 wurde der Betrieb der Eisenbahn aufgenommen und der Bahnhof errichtet. Dadurch war die Verbindung zum Kapuzinerkloster abgeschnitten. Man durchbrach deshalb dort die Stadtmauer straßenbreit und führte den Zugang zur Bahnstation um die Brauerei Siligmüller herum, die seit 1819 den Betrieb auf dem Gelände des hier bereits teilweise aufgefüllten Stadtgrabens aufgenommen hatte. Den Weg zum Kapuzinerkloster und in die Felder östlich der Stadt ermöglichte die „Klosterschranke“, die im Frühjahr 1961 endgültig geschlossen wurde und aus der „Schnellergasse“ wurde die Bahnhofstraße.
Letzte Ausbauphase der Stadtbefestigung
In der Stadtkirche St. Andreas wird ein Ölgemälde von zirka 1640 aufbewahrt. Die Darstellung im unteren Bildteil zeigt die Ansicht der wehrhaften Stadt. Entlang der östlichen Stadtmauer - vom Katzenturm zum Unteren Torturm - sind auf diesem sogenannten „Bräutigambild“ vier Türme abgebildet. Dies waren rechteckige, nach hinten offene Schalentürme. Ein einziger hat sich als „Turm am Nürnberger Hof“ in dieser Form bis heute erhalten.
Im Jahr 1880 erfolgte am östlichen Ende der „Büttnergasse“ ein Mauerdurchbruch, dabei wurde der Wehrturm eingelegt und ein bereits bestehender Durchlass erweitert. Die Brauerfamilie Siligmüller trat Teile des Stadtgrabens ab, die über einen Fahrdamm nunmehr bis zum Bahnhof verlängert werden konnte. Aus der „Büttnergasse“ wurde die Neue Bahnhofstraße, aus der „Schnellergasse“ die Alte Bahnhofstraße.
Niedergang und Auflassung der Stadtbefestigung
Die Stadtmauer hatte mit Verbesserung der Feuerwaffen endgültig an Bedeutung verloren. Große Ausgaben verursachten deren Reparaturen und der Unterhalt der Türme. Mit Auflösung des Fürstbistums Würzburg und dem Übergang des Landgerichts Karlstadt an Bayern um 1814 wurden baufällig gewordene Teile daher nicht mehr erneuert und die Stadtmauer stückweise abgebrochen. In den Bürgermeisterrechnungen des 19. Jahrhunderts ist vermerkt, dass an Karlstadter und Mühlbacher Maurermeister erhebliche Summen für Abbruchkosten zu bezahlen waren. Brauchbare Ziegel, Holzbalken und Mauersteine wurden an die Meistbietenden versteigert, das übrige Steinmaterial zerkleinert und zum Straßenbau verwendet.
Im Dezember 1819 erwarb der Bierbrauer Franz Siligmüller Gelände an der Nordostseite der Stadt. Die Mauerkrone der Stadtmauer wurde eingelegt, die Steine zum Bau des Wohnhauses verwendet. Mit der Anlage von Bierkellern im Stadtgraben begründete Siligmüller die Braugeschichte der Frankenbräu. Dort befindet sich heute die Tiefgarage II mit der darüber liegenden Geschäfts- und Ladenzeile „Am Schnellertor“.
Um für die angrenzenden Häuschen Licht und Luft zu schaffen, wurde beim Bau der Mainbrücke um 1880 die Stadtmauer zwischen Katzenturm und Mühlturm teilweise abgebrochen und damit der davor liegende Stadtgraben aufgefüllt, dabei verschwand auch der Dicke Turm im südwestlichen Zwingerbereich. Die als einengend empfundene Stadtmauer zwischen dem 1896 erbauten Postamt in der Büttnergasse und der Unteren Hauptstraße wurde um das Jahr 1900 ebenfalls niedergerissen und auf dem eingeebneten Stadtgraben die Jahnanlage angelegt.
Vom schutzbietenden Charakter der einst mächtigen Stadt künden heute noch das Obere Tor, der Katzenturm, der Mühlturm - heute Brückenturm, der Maintorturm, der Rote Turm sowie der Mauerturm am Nürnberger Hof und die zwei Zwingertürme in der Jahnanlage. In den letzten Jahrzehnten wurden immer wieder kleinere Reparaturen an der gesamten Stadtmauer durchgeführt.
Beim Abbruch der Frankenbräu und der Bebauung des Schnellertorgeländes wurde die gesamte Mauer einer gründlichen Prüfung unterzogen. Sie wurde gegen weiteren Verfall gesichert und damit die Überreste einer ehemals wehrhaften Befestigung der Nachwelt erhalten. Insgesamt erstreckte sich der Stadtmauerbering über eine Gesamtlänge von 1330 Meter. Davon sind etwa 82 Prozent in äußerlich gutem Zustand bis heute erhalten geblieben.
Literatur: Nach Aufzeichnungen der verstorbenen Stadtarchivpfleger Franz Schwarz und Werner Zapotetzky.
Zum Autor: Seit 1995 ist Georg Büttner Kreisheimatpfleger für den Altlandkreis Karlstadt. Sehr profitiert habe er nach eigenen Worten von Franz Schwarz. Dieser war einer seiner Vorgänger als Kreisheimatpfleger. Bei Spaziergängen mit ihm durch Karlstadt habe er viel von dessen reichen geschichtlichen Wissen lernen können, das er schon seit 1975 bei Stadtführungen weiter gibt. Mit Gleichgesinnten gründete Büttner 1972 den Historischen Verein Karlstadt, der seit 1983 das Stadtgeschichtemuseum Karlstadt betreibt.
Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter www.mainpost.de/geschichte_mspL.