
Bernd Rottenbacher wird zum Halbjahr das Lohrer Gymnasium verlassen. Der Schulleiter wechselt nach siebeneinhalb Jahren ans Riemenschneider-Gymnasium in Würzburg. Er wird dort nicht nur Schulleiter sein, sondern als Seminarvorstand auch für die dort angesiedelte Ausbildung der Referendarinnen und Referendare tätig sein. Wir blicken mit ihm auf seine Erfahrungen und Entwicklungen in Gesellschaft und Schule.
Es ist die Suche nach einer neuen Herausforderung. Das Riemenschneider-Gymnasium ist ähnlich strukturiert und ähnlich groß. Der große Unterschied ist, dass ich für den Lehrkräftenachwuchs an Gymnasien zuständig sein werde, vor allem in den Fächern Deutsch, katholische Religionslehre, Ethik, Sport und Musik. Ich arbeite gerne mit jungen Kollegen. Sie werden Generationen prägen.
Jede Menge. Nicht äußerlich, ich habe eine generalsanierte Schule vorgefunden. Die Zeit der Corona-Pandemie war aber für mich sehr prägend. Ich war da zunächst Krisenmanager, erkannte aber auch: Die Zeit war ein Katalysator und hat Lücken, vor allem im Bereich der Digitalisierung, aber auch in anderen Bereichen der Schulentwicklung aufgedeckt. Wir haben heute in der 8. und 9. Jahrgangsstufe zwei Tablet-Jahrgänge. Das Kollegium hat sich in der IT massiv fortgebildet. Die auf Frontalunterricht ausgerichtete Sitzordnung wird mehr und mehr aufgebrochen. Wenn man den Bildschirm teilt, müssen nicht mehr alle zur Tafel schauen können.
In Lohr ploppt immer wieder das Problem Vandalismus auf. Ich bin weit davon entfernt, das unserer heutigen Schülergeneration anzulasten. Wir haben ein großes, offenes Gelände. Das wollen wir so. Es ist vielleicht der Preis der Offenheit, dass man mit Vandalismus, auch von Gästen, die das Gelände am Wochenende nutzen, rechnen muss. Den Generalverdacht einer Verwahrlosung, die unseren Schülern manchmal unterstellt wird, weise ich zurück. Wir haben in der Regel wohlerzogene, behütete, gute Schüler am Gymnasium. Wir haben Disziplin-Probleme, ja. Aber ich warne dringend vor Alarmismus.
Es wird sich entscheiden, wie man im Hinblick auf die Digitalisierung weiter verfährt. Digitalisierung darf nie Selbstzweck und einseitig sein, im Sinne wir lassen einfach alles zu.
Die Dänen rudern zurück, in Australien gibt es ein Verbot von Tiktok für unter 16-Jährige. Da wäre ich dafür. Man muss schauen, wie man einen Kompromiss findet. Das Tablet als Arbeitsgerät ist die Zukunft in vielen Berufen und im Studium. Wo man dringend etwas machen sollte, ist die private Handynutzung. Ich wünsche mir, dass in Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern sinnvolle Handyregelungen gefunden werden. Sie müssen gefunden werden, weil ein Weiter-so nicht wünschenswert ist.
Vielerlei. Wir haben eine ganz andere Problematik, was z.B. Mobbing angeht. Mobbing ist ein Begriff, der teils zu frühzeitig verwendet wird, daher mag ich ihn nur bedingt. Tatsache ist aber: Wer andere mobben will, hat durch das Handy die Möglichkeit, das wesentlich effektiver zu machen und es im Verborgenen zu betreiben. Das bedeutet, dass wir eine steigende Zahl an Opfern haben, was mir durchaus Sorgen bereitet. Weitere Themen sind politische Gewalt, Einflussnahme und sexualisierte Gewalt, die für mich bei pornografischen Seiten und Bildern beginnt. Dadurch, dass das jederzeit zur Verfügung steht, wird den Kindern ein Teil ihrer Kindheit genommen. Sie werden mit Themen konfrontiert, die sie nicht verstehen und wo wir nie genau wissen, was genau sie sehen und wie es auf sie wirkt. Bei Gewaltdarstellungen dasselbe.
Das kommt dazu. Aber Schlafdefizit sehe ich jedem Schüler an, wenn ich ihn drannehme. Beim Konsum von Pornografie stellt sich mir die Frage, wie ändert das die Sichtweise auf Männer und Frauen. Dass alte Rollenbilder wieder fröhliche Urstände feiern, sind Subbotschaften, die viel schwerer zu erfassen sind, auch in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung. Wenn man in Liedtexten hört, dass jede Frau eine Bitch ist, merkt man, dass viele gesellschaftliche Fortschritte dabei sind, zu erodieren. Das erfüllt mich mit Sorge. Hier ist dringender Bedarf an Medienpädagogik und, um die Kinder zu behüten, auch an Verboten und Abschalten. Ich bin sicher, dass es da Änderungen geben wird.
Ich höre das auch in den Gremien, zum Beispiel die Hinweise, dass Dänemark einiges wieder abschafft. Der Ball liegt im Spielfeld der Politik. Darauf wird Deutschland und Bayern reagieren. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens.
Mir hat kürzliche ein Jugendlicher erzählt, dass er lieber in der Zeit leben würde, als es noch keine Handys gab, weil er selbst schwer davon wegkomme und vor allem seine Kumpels nicht. Er würde oft lieber etwas anderes unternehmen. Fußballspielen zum Beispiel. Ist das nicht traurig?
Dazu muss ich sagen: Wenn man positive Angebote setzt, werden sie von den Jugendlichen angenommen. Wir haben dieses Schuljahr das erste Mal die bewegte Pause auch im Winter. Bislang war das ein Angebot hinten an der Streuobstwiese von Mai bis September. Es werden Bälle, Turngerät, Springseile und so weiter ausgeteilt. Dann haben wir gesehen: Beim ersten Regentag im Herbst saßen die Schüler in der Pausenhalle und haben am Handy gedaddelt. Ich habe deshalb mit der Fachschaft Sport angeregt, zu überlegen, ob wir das nicht auch im Winter anbieten können. Jetzt haben wir wintertaugliche Geräte und machen die bewegte Pause auf dem Pausenhof auf befestigtem Grund. Das ist ein voller Erfolg. Die meisten Schüler bis in die Oberstufe vertreibt sich die Zeit mit Spielen, Kicken und so weiter.
Eine große. Tut es auch schon. Man muss zwei Aspekte sehen. In der Oberstufe haben wir Aufgaben, die die Schüler zu Hause erledigen, wie zum Beispiel die Seminararbeit. Da bietet die KI die Möglichkeit zum Unterschleif. Da sind wir eher im Abwehrmodus. Ansonsten ist es wichtig, die KI nutzen zu lernen. Ich fordere die Schüler im Deutschunterricht auf, einen Aufsatz von der KI schreiben zu lassen. Sie sollen beurteilen, was macht die KI gut und wo sind Defizite. Man muss den Schülern deutlich machen, die KI ist keine Intelligenz im menschlichen Sinn. Sie kann immer nur zusammenstellen, was Menschen ihr vorgegeben haben. Diese Vorgehensweise ist produktiv. Oder ich gebe die Aufgabe, mal ein Bewerbungsschreiben von der KI erstellen zu lassen. Die Schüler sollen schauen, was gelungen ist, was nicht und es verbessern. Das führt zu einer kreativen Nutzung. Verbieten würde zu einem Hase-und-Igel-Spiel führen, das man letztlich nicht gewinnen kann.
Wir vermitteln ja schon immer Methoden der Recherche. Auch digital. Die Suche und das Bewerten von Inhalten im Internet muss gelernt sein. Wer das erste Ergebnis der Suchmaschine blind übernimmt, hat schon verloren. Das setzt sich mit der KI fort. Ich sage: Schreib mal einen Prompt (Anmerkung der Redaktion: eine Anweisung an das KI-Programm). Der Schüler bekommt eine Rückmeldung auf seine Anforderung und kann sie bewerten.
Das reine Wissen spielt keine so große Rolle mehr. Wenn ich beim Bewerbungsschreiben bleibe: Ich muss nicht mehr auswendig lernen, wie genau ein Geschäftsbrief aufgebaut ist. Das liefert mir die KI. Dass ich eine Kompetenz brauche, so eine Anforderung zu erstellen, steht aber außer Frage. Wir vermitteln auch sonst nicht nur Faktenwissen. Im Geschichtsunterricht zum Beispiel: Wenn ich den 30-jährigen Krieg durchnehme, da hat die KI mit Sicherheit alle Fakten drauf – von 1618 bis 1648. Aber was es bedeutet, wenn hier in der Region zwei Drittel der Bevölkerung sterben, wenn ganze Dörfer leer sind? Es ist brutal, wenn in den Städten eine Restbevölkerung zusammengepfercht dahinvegetiert. Was heißt das, einen Krieg zu erleben, wie jetzt in Gaza oder der Ukraine? Das liefert mir die KI nie. Da brauche ich die Kompetenz, die ich im günstigsten Fall in unserem Geschichtsunterricht erwerbe: Dass ich Mitgefühl dafür entwickele, wie es Menschen im Krieg geht. Das ist die Bildungsaufgabe jenseits der KI.
Ja. Wenn ich nicht davon überzeugt wäre, würde ich morgen nach Kanada fliegen und meine Zukunft als Holzfäller suchen. Das ist mein innerster Kern, dass ich davon überzeugt bin. Davon lebt mein Beruf.
Das ist eine Black Box. Ich denke, eine Reihe von Schülern war im vorigen Jahr durch die Ereignisse im September 2023 abgeschreckt.
Ja. Das ist mein persönlicher Eindruck. Ich habe auch Rückmeldungen, dass das kein Thema mehr sei. Wir sind ein Schulzentrum, froh und stolz, dass wir so offen sind. Aber wenn es wieder heißt, in Lohr gibt es Vandalismus und da ist auch wieder etwas am Nägelseezentrum passiert: Da kommen diese negativen Erinnerungen wieder hoch. Es heißt leider in Lohr allzu schnell: Die kriegen das nicht in den Griff. Dann entscheiden sich Eltern gegen uns, was schade ist.
Ich beginne mit einer positiven Meldung: Was früher Generationen beschäftigt hat – das Rauchen – das ist durch. Auch bei Alkohol habe ich nicht den Eindruck oder Rückmeldungen von Schulfahrten, dass das ein Problem darstellen würde. Wir haben ein Problem, dass das Thema altersmäßig nach unten gerutscht ist, z.B. in Form von Energy Drinks. Wir haben immer wieder jüngere Schüler, die dabei beobachtet werden, wie sie beispielsweise aus ihrem Spind Energy Drinks rausgeben und austeilen. Ich will nicht sagen, dass das die Einstiegsdroge ist, aber das Verhalten, das sie zeigen, erinnert schon sehr an Drogenkonsum. Das ist nicht kindgemäß und wird unterbunden. Was ein Problem werden wird, ist die Cannabis-Legalisierung. Da wird man schauen müssen, wie man damit an der Schule umgeht. Ich warne aber, wie bei den anderen Themen, vor einer Kriminalisierung einer Schülergeneration.
Die Frage habe ich mir interessanterweise nie gestellt. Nein. Da war meine analoge Jugend – zumindest für mich – gewinnbringender. Ich habe ab einem gewissen Alter viel gelesen, was ins Literaturstudium mündete.
Offenheit. Ich bin ein entschiedener Gegner, das Gymnasium als Eliteanstalt zu sehen. Meiner Meinung nach ist unser Bildungsangebot so toll, dass man es möglichst vielen zukommen lassen sollte. Wir sind in meinen Jahren hier Klimaschule geworden. Als Klimaschule waren wir unheimlich stolz auf diese Auszeichnung. Bis wir gemerkt haben, dass es besser wäre, wenn wir mit dem Klimaprojekt in die Breite gehen, dass möglichst viele Schulen Klimaschule werden.
Wenn Schüler nicht nach dem "Vogel friss oder stirb"-Prinzip lernen, sondern sich etwas mit modernen Medien erarbeiten und das Erarbeitete – das ist wichtig – wertschätzen, wenn es zu einer inneren Haltung führt, dass ich z.B. Literatur schlicht schön finde, dass ich zu den Menschen in der Ukraine, die Todesangst leiden, Mitgefühl habe, dann habe ich etwas erreicht.
Eine zunehmend größere. Wir haben in diesem Schuljahr die Verfassungsviertelstunde eingeführt. Ich bin ein großer Freund davon. Es muss klar sein, dass es um Werte geht. Man darf seine Meinung äußern, ja, aber Politik in Deutschland sollte immer werthaltig sein. Es geht um unverbrüchliche Werte, die in unserem Grundgesetz stehen. Ich denke, es ist zunehmend wichtig, dass wir diese politischen Werte im Unterricht thematisieren. Da ist die Verfassungsviertelstunde der richtige Ansatz.
Vertrauen. 99,9 Prozent aller Lehrer machen einen 100-prozentigen Job. Man sollte an uns mit dem Vertrauen herantreten, dass wir wissen, was wir tun.