Rund 2500 Menschen werden im Bezirk Unterfranken jährlich gegen ihren Willen stationär in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen. Nur bei rund 30 von ihnen kommt es dann tatsächlich zu einer gerichtlich angeordneten Zwangsbehandlung. Mit solchen Zahlen zeigte der Ärztliche Direktor des Bezirkskrankenhauses Lohr, Dominikus Bösch, die Notwendigkeit des am Dienstagnachmittag dort neu eröffneten Krisennetzwerks auf.
"Ziel ist es, Unterbringungen gegen den Willen der Betroffenen zu vermeiden. So kann ein Krisendienst eine unglaubliche Hilfe auch durch seine Netzwerkkontakte sein", so Bönsch in seiner Rede vor den geladenen Zuhörern aus verschiedenen Einrichtungen und Institutionen. Die Aufgabe eines Krankenhauses für Psychiatrie sei vor allem, Menschen in psychischen Notsituationen Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen. "Aber wir sind kein Auffangwerk für alle Aufräumarbeiten, die auf der Straße oder in den Kneipen erfolgen", betonte der Krankenhausdirektor.
Schwierige Startposition
Und schon jetzt sei die Arbeit des Krisennetzwerks spürbar. Die Beratungsstellen nähmen Kontakte auch zu Polizei und Behörden auf. "So kommen die Patienten nicht mehr ungefiltert zu uns", so Bönsch. Sein besonderer Dank ging an die Leiterin der Krisenleitstelle, die Ärztin Simona Kralik: "Sie hat die Aufgabe des Aufbaus dieser Leitstelle in unserem Krankenhaus in geradezu idealer Weise umgesetzt."
In einer "schwierigen Startposition" hätten der Koordinator des Krisennetzwerks, Daniel Kilian, sowie Psychiatriekoordinatorin und Inklusionsbeauftragte Anne-Katrin Jentsch am Anfang gestanden: "Das Gesetz war da und sollte so schnell wie möglich umgesetzt werden", so Bönsch. Ein weiterer Dank ging an den Bezirkstagspräsidenten Erwin Dotzel (CSU): "Sie scheinen das Ganze geradezu zur Chefsache gemacht zu haben."
"Leuchtfeuer in Unterfranken"
Als ein "Licht am Ende eines Tunnels" bezeichnete Dotzel das Krisennetzwerk Unterfranken. "Dieses Leuchtfeuer ist überall in Unterfranken zu sehen, aber das Herz dieser einzigartigen Einrichtung schlägt hier in der Leitstelle im BKH Lohr", so Dotzel. Seit 1. März gebe es die Möglichkeit, das Krisennetzwerk telefonisch zu erreichen – zuerst tagsüber und seit 1. Juli auch rund um die Uhr.
"Jeder von uns kann in eine seelische Notlage geraten. Da kann es bereits genügen, wenn am anderen Ende des Telefons jemand zuhört, mit dem Betroffenen die Situation bespricht und Orientierung gibt", machte Dotzel klar. Innerhalb kürzester Zeit hätte sich das Krisennetzwerk Unterfranken als Erfolgsmodell erwiesen. Schon in den ersten 100 Tagen hätten rund 1100 Anrufe die Leitstelle erreicht.
Suizid verhindern
In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Moderator Daniel Kilian, Paul Strobel, dem Leiter des Sozialdienstes in Werneck und Mitglied der Steuerungsgruppe, der Psychiatriekoordinatorin Anne-Katrin Jentsch und der Leiterin der Lohrer Leitstelle, Simona Kralik, wurde schnell klar, wie wichtig ein Angebot rund um die Uhr ist. An einem Beispiel zeigte Kralik auf, dass es bei einem geplanten Suizid oft einen "kleinen Moment" gebe, in dem der Betroffene noch aufnahme- und kontaktfähig sei. Hier ansetzen zu können sei nur möglich, wenn das sofort geschehen könne.
"Eine fachlich fundierte Kriseninterventionsmöglichkeit ist eine ganz alte Forderung", informierte Paul Strobel die Anwesenden. "Oft sind Angehörige überfordert mit einer akuten Situation daheim, und der Betroffene stimmt einer stationären Einweisung nicht zu. Hier kann eine psychiatrisch fachkompetente Hilfe vor Ort helfen."
"Eine Krise ist noch keine Krankheit. Unsere Aufgabe ist es, zu helfen, diese Krise zu meistern", erläuterte Simona Kralik. "Eine stationäre Aufnahme sollte nur dann erfolgen, wenn es auch wirklich notwendig ist. Dies kann vorher schon abgeklärt werden. Im Anschluss an die Feierlichkeiten gab es Gelegenheit für alle, die neu renovierten Räume der Krisenleitstelle zu besuchen.