Die „Bunten Siebziger“ haben in Marktheidenfeld einen besonderen Farbtupfer aufgedrückt bekommen: Eine der ersten Bürgerinitiativen in ganz Bayern hat hier den Willen der Bevölkerungsmehrheit durchgesetzt. Sie hat den Bau eines Gefängnisses auf dem Dillberg, auf dem heutigen Elau/Schneider-electric-Gelände verhindert.
Es sollte das Gefängnis in der Würzburger Ottostraße entlasten. Laut MdL Walter Zeißner (Karlstadt) habe Würzburg seinerzeit kein Interesse an einer neuen Justizvollzugsanstalt (JVA) gehabt, erinnert sich Altbürgermeister Armin Grein.
„Landratsamt für Karlstadt, Finanzamt für Lohr und Gericht für Gemünden – da blieben für uns nur noch Außenstellen übrig.“ Er habe sich verpflichtet gefühlt, Marktheidenfeld wieder aufzuwerten, und wenn es durch die geplante JVA sei.
Damals sahen die Befürworter das geplante Gefängnis, wie es seinerzeit hieß, als Segen an. Keiner dachte wegen der schwierigen Dillberg-Erschließung daran, dass hier später einmal ein Gewerbegebiet mit hohem Steueraufkommen entstehen würde. Heute sehen auch Verfechtern der Einrichtung die Verhinderung als gute Entscheidung.
Bemerkenswert ist nicht nur, dass in den ersten zaghaften Anfängen von Bürgerbewegungen und Bürgerbewegungen in den 70-er Jahren das von Willy Brandt hochgehaltene „Wagnis Demokratie“ in Kauf genommen wurde.
Mit Adi Krebs hat kein Kommunalpolitiker, sondern ein gesellschaftlich ebenso anerkannter wie engagierter Neu-Marktheidenfelder zusammen mit vielen Mitstreitern Weitsicht und Mut zur Konfrontation gezeigt und sich dadurch bei manchem Kommunalpolitiker – sagen wir es gelinde – viele Sympathien verscherzt. Heute ist der Groll schon längst verflogen.
Die folgende Chronologie soll keine minutiöse Abfolge der Fakten darstellen, sondern den „alten“ Hädefeldern die Erinnerung an den Beinahe-Gefängnisstandort beleben und den „neuen“ Mitbürgern vor Augen führen, dass ihre neue Heimat politische Mündigkeit zeigte.
Als 1976 das bayerische Justizministerium ein Gelände für eine neue JVA suchte, meldete sich Armin Grein in München. Die positive Antwort aus der Landeshauptstadt sollte aber vorerst noch geheim bleiben. Es bemühten sich auch andere Kommunen um den JVA-Standort. Alle hatten den Ausgleich bestimmter Zentralitätsverluste durch die Gebietsreform im Auge, unter anderem:
• Einnahmen für die Kommune durch Verkauf des Geländes, einlaufende Beiträge für eine Erschließungsstraße, mehr Einkommensteuerbeteiligung für die Stadtkasse; • Steigerung der Wirtschafts- und Kaufkraft, Aufträge für Einzelhandel, Handwerker und Betriebe;
• Zuzug von rund 200 Beamten; mehr Ausbildungsplätze.
Die JVA sollte 500 Insassen aufnehmen, rund zehn Hektar Fläche benötigen, auf etwa zwei Hektar sollten 80 Wohnungen entstehen. Bausumme: 25 Millionen Mark.
Einen Ausgleich für den Abzug zentraler Behörden in die neue Kreisstadt Karlstadt über Freizeiteinrichtungen und Industrieansiedlung (auf dem Dillberg) erachtete der Stadtrat als sehr schwierig. Und weil es sich bei den Insassen „nur“ um Straftäter mit maximal zwei Jahren Haft handeln sollte, könne man damit leben. Im August 1977 sprach sich eine Besichtigungskommission aus München für Marktheidenfeld, nicht für Würzburg aus. Der Stadtrat beauftragte Bürgermeister Grein, das Vorhaben voranzutreiben.
Dann kam der 4. April 1978. 56 Marktheidenfelder gründeten eine Initiative gegen den Bau der JVA. Sie beschloss sofort eine Unterschriftenaktion. In den ersten zehn Tagen unterschrieben 2200 Bürger, bis einschließlich 29. Mai 2463. Krebs: „Ein Schock für die Befürworter.“
Er erinnert sich: „Armin Grein und die Stadträte der Freien Wähler hofften auf die eigenen Argumente und nahmen den Antrag der BI auf, eine geheime Bürgerbefragung durchzuführen.“ Die BI meinte, die heimische Wirtschaft ginge eh meist leer aus, weil die Versorgung ohnehin durch JVA-eigene und schon beauftragte Betriebe erfolgt wäre. Und einen guten Ruf bekomme die Stadt nicht.
Es folgten gemeinsame Info-Fahrten mit dem Stadtrat in Gefängnisse wie Frankenthal, Aichach, Adelsheim, Bruchsal, Ebrach, Bernau am Chiemsee, die BR-Sendung „Jetzt red i“ griff das Thema auf, anonyme Drohbriefe landeten in den Briefkästen der BI. Zwischenzeitlich sickerte aus München durch, dass man sich wohl doch für Würzburg entscheiden werde.
Nach heftiger Diskussion quer durch die Fraktionen stimmte der Stadtrat trotzdem mit 12:7 Stimmen für den FW-Antrag auf Bürgerbefragung.
Diese wurde am 15.Oktober 1978 zusammen mit der Landtags- und der Bezirkstagswahl durchgeführt. Das Ergebnis: 6529 Stimmberechtigte, 5010 Abstimmende, 2172 Ja-Stimmen (43,3 Prozent), 2707 Nein-Stimmen (54,13 Prozent), 131 ungültige Stimmen (2,6 Prozent). In der Kernstadt waren mehr als 60 Prozent gegen die JVA, aber auch in den Ortsteilen war man davon in der Mehrheit nicht begeistert.
Armin Grein hat sich mit der Situation nicht nur abgefunden: „Im Nachhinein müssen wir froh sein, dass kein Gefängnis, sondern ein stattliches Gewebegebiet auf dem Dillberg entstanden ist.“
Adi Krebs gehörte übrigens auch zur Gruppe der Bürger, die im Jahre 2004 einen Bürgerentscheid herbeiführten, bei dem sich über 70 Prozent der Marktheidenfelder gegen ein „Kristallbad“ statt des Maradies aussprachen.
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